Samstag, 18. Oktober 2014

UN POLIZIOTTO SCOMODO (1978)














CONVOY BUSTERS

Italien 1978
Regie: Stelvio Massi
DarstellerInnen: Maurizio Merli, Olga Karlatos, Massimo Serato, Nello Pazzafini, Luigi Casellato, Roberto Messina u.a.


Inhalt:
Francesco Olmi arbeitet bei der römischen Mordkommission. Er ist nicht nur ehrgeizig, sondern auch schießwütig und darum als Polizist wohl etwas umstritten. Böse Zungen würden vielleicht sogar behaupten, er sei eine tickende Zeitbombe. Als er versucht einen Schmugglerring aufzudecken, dessen Drahtzieher in höchsten gesellschaftlichen Kreisen verkehren, gerät er selbst in die Schusslinie der Gangster und wird von einem korrupten Richter gnadenlos ausgebremst.
Olmi lässt sich "ans Meer" versetzen und begegnet dort alten Bekannten. Hier wird illegaler Handel mit Diamanten und Waffen betrieben.
Kann er den Fall doch noch lösen und den Schmugglerring entlarven?


Olmi verbissen


Olmi romantisch


Zweifelsohne war unser "Kommissar Eisen" aka Maurizio Merli (Verdammte, heilige Stadt) im Jahre 1978 auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Zumindest, was die Quantität seiner Werke betrifft. Immerhin erschienen in diesem Jahr ganze sechs Filme mit ihm in einer tragenden Rolle.
Und genau das ist es, was Merli in "Convoy Busters" macht – er trägt den Film über die gesamte Laufzeit.
Die Handlung wirkt etwas lose zusammengeschustert. Manche Episoden verlaufen ins Leere und manche Charaktere verschwinden kommentarlos ins Nirvana, aber das ist nicht weiter schlimm.
Denn Kommissar Olmi unterhält bestens – zumindest, wenn man (wie ich) auch gerne mal Filme ohne besonders tiefschürfende Thematik genießt.

"Wenn der nicht redet, schlägt der Kommissar immer fester zu."

"Naja, der verliert leicht die Beherrschung."

Dialog zwischen zwei Polizisten, die zusehen, wie Olmi einen Zeugen "bearbeitet".

Der in seiner Radikalität unübertroffene Olmi pflegt nicht nur seine Zeugen (und sogar Zeuginnen!) zu verprügeln, sondern auch keine Festnahmen zu machen.
Am Ende seines Einsatzes sind nämlich immer alle Verbrecher tot. Sie werden erschossen, vom Hubschrauber aus in Moorhuhnjagd-Manier abgeknallt oder samt Auto in die Luft gesprengt.
Im Eifer des Gefechts kann es auch schon mal vorkommen, dass ein Unschuldiger vor die Kugel des Kommissars läuft, was allerdings nicht geahndet wird. Wie Olmi das bewerkstelligt, bleibt wohl auf ewig sein Geheimnis.
Die Vorgehensweise des Kommissars missfällt nicht nur dem Schmugglerring (der ihn eines Nachts vor seiner Haustür sogar offen attackiert), sondern auch der Presse, die Olmi's "Hau drauf, bevor du fragst"-Methode gar nicht gut heißt.

"Hat der Kommissar von der Mordkommission schon seinen neuen Posten übernommen?"

"Der kann jeden Moment hier sein."

"Der Schlendrian ist zu Ende. Man sagt ja, er ist eine harte Nummer."

Dialog auf einer Polizeistation in Civitanova Marche

Als ihm dann alles zu blöd wird, räumt er seinen Schreibtisch und fährt in die Marken, wo er in einer kleinen Polizeistation in Civitanova Marche (übrigens der Heimatstadt des Regisseurs) seinen neuen Kollegen etwas Dampf macht und zeigt, wie seiner Meinung nach gearbeitet werden muss.
Hier geht man die Dinge allgemein etwas gemütlicher an und ab Mitternacht entspannt man sich bei der erotischen Serie namens "Goldene Träume", die auf dem lokalen Privatsender über den Bildschirm flimmert.
Ab diesem Zeitpunkt reduziert sich das Tempo des Films merklich und geht von eher actionlastigen und kompromisslosen Szenen über zu mehr gesetzeskonformer polizeilicher Ermittlungsarbeit.

Die vorangegangenen Ereignisse in Rom scheinen an Olmi nicht spurlos vorüber gegangen zu sein. Er wirkt beinahe geläutert, scheint seine eigene Gewalttätigkeit ablegen zu wollen und bemüht sich offensichtlich um konventionellere Methoden bei der Verbrechensbekämpfung.
In dem beschaulichen Küstenort lernt der nun etwas gelassenere Kommissar schließlich die sympathische Anna (Olga Karlatos) kennen, die auf seine Beschützer-Nummer abfährt und treu ergeben zu ihm aufblickt.
Die schöne Olga Karlatos ("Keoma", Woodoo) hat natürlich eine etwas undankbare Rolle als Olmis Gespielin, in der sie definitiv unterfordert ist.
Aber um sie geht es ja nicht. Olmi muss immer und überall im Mittelpunkt stehen.

Der Film bot Maurizo Merli, der oft als ausnahmslos knallhart agierender Superbulle besetzt wurde, jedenfalls Gelegenheit, sich auch mal von einer sanfteren Seite zu zeigen.
Die Romanze mit Anna ist geschickt in die Handlung eingebaut und bietet eine Art Überleitung zu zwei Schlüsselszenen, eine davon im furiosen Finale des Films.
Erwähnenswert ist auch der coole Score von Stelvio Cipriani, der zwar ebenfalls in Blutiger Schatten verwendet wurde, aber auch in "Convoy Busters" nicht unpassend wirkt.

Der Film bietet sogar den ein oder anderen (nicht ganz ernst gemeinten) Lerneffekt:
1. Gewalt kann nicht mit Gewalt bekämpft werden - oder vielleicht doch?!?
2. Für die Beendigung einer Geiselnahme benötigt man kein Sondereinsatzkommando.
    Es reicht ein einziger Olmi!

"Convoy Busters" lohnt sich - für Fans von Maurizio Merli und alle, die das unkonventionelle, temporeiche und nicht immer ganz bierernste italienische Kino der Siebziger lieben.

Das Label FilmArt hat unlängst eine tolle Veröffentlichung von "Convoy Busters" auf den Markt gebracht und das nette Bonusmaterial von NoShame, das uns den Schauspieler und Menschen Maurizio Merli, der leider sehr jung (im Alter von 49 Jahren) verstarb, anhand von Interviews mit Familie, Freunden und Wegbegleitern aus dem Showgeschäft näher bringt, dazugepackt.
Mit der kultigen deutschen Synchro macht "Convoy Busters" erst so richtig Spaß!




Foto: DVD von NoShame und FilmArt




Foto: Blu Ray von Koch Media in der Eurocrime Box



Donnerstag, 16. Oktober 2014

BUCHTIPP: Schneider, André: "Die Feuerblume. Über Marisa Mell und ihre Filme"














Nachdem ich Erika Pluhars Buch über die faszinierende Schauspielerin Marisa Mell gelesen habe, kam ich um die Lektüre von "Die Feuerblume" einfach nicht mehr herum.
Man merkt beim Lesen von "Feuerblume" sehr deutlich, wie viel Arbeit und Recherche in diesem Buch steckt und wie viel Herzblut in dieses Projekt geflossen ist.
André Schneider ist ohne Zweifel ein wahrer Fan. Sehr schön.

Besonders genossen habe ich das wundervolle Bildmaterial - eine beeindruckende Zusammenstellung!
Beim Betrachten mancher Bilder fühlt man sich MM fast irgendwie nahe, sie wirkt plötzlich seltsam vertraut.
Der respektvolle Umgang mit ihrer Person und die Annäherung an Marisa Mell über ihre Werke haben mich besonders beeindruckt. In einer Zeit, in der alles in punkto Stars gnadenlos veröffentlicht und ausgeschlachtet wird, stellt "Feuerblume" eine Art Gegenpol dar, weil der Autor bewusst auf kompromittierendes und bloßstellendes Material verzichtet.
Mein einziger Kritikpunkt: Die spanischen Texte im Anhang hätte man meiner Meinung nach übersetzen oder weglassen sollen.

Ein Buch für alle, die sich für den Werdegang von Marisa Mell interessieren und die perfekte Ergänzung zu Erika Pluhars "Marisa: Rückblenden auf eine Freundschaft".

Sonntag, 12. Oktober 2014

LA POLIZIA E' SCONFITTA (1977)














SONDERKOMMANDO INS JENSEITS

Italien 1977
Regie: Domenico Paolella
DarstellerInnen: Marcel Bozzuffi, Vittoria Mezzogiorno, Riccardo Salvino, Nello Pazzafini, Ivana Novak u.a.


Inhalt:
Üble Zeitgenossen treiben ihr Unwesen in Bologna. Allen voran der Ganove Valli, der mit seinen Männern Schutzgelderpressung betreibt und zahlungsunwillige Geschäftsmänner samt KundInnen in die Luft sprengt.
Kommissar Grifi sieht sich angesichts des organisierten Verbrechens nicht mehr in der Lage die Stadt zu beschützen und stellt mit dem Sanktus seines Vorgesetzten eine Spezialeinheit zusammen.
Der Krieg zwischen der Polizei auf der einen Seite und Valli und seinen Schergen auf der anderen Seite ist schnell entfacht und fordert zahlreiche Opfer.
Ist der skrupellose Valli zu stoppen?


Valli - stets freizügig


Training im Steinbruch: Das Sonderkommando


Die Handlung von "Sonderkommando ins Jenseits" (wenn man den Film kennt, fällt auf: der deutsche Titel ist eigentlich gar nicht so unpassend, aber verdammt zynisch) ist schnell erzählt.
Es geht um den Kampf der Polizei gegen das organisierte Verbrechen, insbesondere den psychopathischen Oberbösewicht Valli, gespielt von Vittorio Mezzogiorno (auch gut in: "Die letzte Rechnung schreibt der Tod").
Letzterer kann sich in Punkto Bösartigkeit sogar mit Psycho Nanni Vitale (Rolle Helmut Bergers in Der Tollwütige) messen. Er hat einen nicht zu verleugnenden Hang zum Sadismus und wirkt wie der Lehrbuch-Soziopath schlechthin.
Vallis Erscheinungsbild ist unverkennbar, nicht nur wegen seines kantigen Gesichts, sondern auch wegen seinem speziellen Markenzeichen: er trägt kein T-Shirt.
Klingt lustig. Ist es auch. Die gesamte Filmlaufzeit über ist der sonnengebräunte Valli lediglich mit einer weißen Jacke, deren Reißverschluss bis wenige Zentimeter über dem Hosenbund offen ist, bekleidet. Und wenn er die Jacke gerade mal nicht am Leib trägt, stellt er seinen Oberkörper ungeniert zur Schau.


Nello schaut nach "seinen Mädchen"

Nello Pazzafini erweist sich wie immer als exzellente Besetzung für zwielichtige Gestalten. Diesmal spielt er einen unglückseligen Zuhälter, der zuerst Schwierigkeiten mit der Polizei bekommt und dann in die Fänge von Vallis Gang gerät. Sein Schicksal wird mir wohl in Erinnerung bleiben, wenn andere Szenen schon längst in Vergessenheit geraten sind.

"Wie gefällt dir der Film?"
"Lustig. Aber brutal." (Mauritia)


Dieser kurze Dialog fand so tatsächlich während meiner gestrigen Erstsichtung von "Sonderkommando ins Jenseits" statt.
Im Unterschied zum sehr ähnlichen "Kaliber 38", in dem Marcel Bozzuffi (Das Syndikat des Grauens) ebenfalls den Kommissar und Gründer der Spezialeinheit und Riccardo Salvino ebenfalls ein Mitglied seiner kampflustigen Truppe spielt, ist "Sonderkommando ins Jenseits" wesentlich härter.
In drastischen Bildern, die erstaunlich realistisch aussehen (manche sind sogar real, man erinnere sich an die "Verbrechens-Diashow" des Kommissars) wird der Terror des Rackets und der Drogenmafia in Bologna auf die Leinwand projiziert.
Mit Blut wurde definitiv nicht gegeizt, weshalb in Deutschland die FSK den Film auf den Index gesetzt hat.

Neben vielen und heftigen Gewalttätigkeiten (u.a. ein heftiger Messer-Mord, der jedem Giallo Konkurrenz macht) liegt der Schwerpunkt auf den gezeigten Stunts. Wilde Verfolgungsjagden, manche davon aus Motorradfahrer-Perspektive gefilmt, explodierende Autos und Schusswechsel während der Fahrt halten die etwas dünne Story ordentlich auf Trab.
Die in Filmen wie Die Banditen von Mailand oder Das Syndikat immanente Sozial- bzw. Systemkritik bleibt außen vor, man kann sich entspannt zurücklehnen und dem wilden Spektakel, das auch wild tanzende halb nackte Frauen mit einschließt, beiwohnen.

"La polizia è sconfitta" (in etwa: "Die Polizei ist besiegt") - Der Name ist Programm!


Die Elitetruppe von Kommissar Grifi trainiert gefühlt wochenlang in einem verlassenen Steinbruch, lernt schießen wie Django, wird im Nahkampf und der Motorrad-Akrobatik trainiert.
Und dennoch stinken sie gegen Valli nacheinander ab. Nach dem 10 kleine Negerlein Prinzip wird die Sondereinheit der Polizei kontinuierlich dezimiert und Kommissar Grifi zunehmend jähzorniger.
Es hilft alles nichts – er muss selbst ran. Nicht zuletzt auch deswegen, weil Valli ihm die persönliche Feindschaft erklärt hat und ihn offen attackiert.

Der spektakuläre Showdown ist konsequent und passt zum Muster des vorangegangenen Treibens. Doch warum nur gehen mir diese Assoziationen zur Zombie-Apokalypse nicht aus dem Kopf?
Seht selbst!
Langeweile – Fehlanzeige. Doch Achtung: wer es gerne etwas tiefgründiger und weniger brutal mag, tut sich mit diesem Poliziottesco keinen Gefallen.




Foto: italienische DVD von Cecchi Gori und die Blu Ray von Raro Video



Montag, 6. Oktober 2014

SETTE ORCHIDEE MACCHIATE DI ROSSO (1972)














DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS

Deutschland, Italien 1972
Regie: Umberto Lenzi
DarstellerInnen: Antonio Sabàto, Uschi Glas, Pier Paolo Capponi, Rosella Falk, Marina Malfatti, Bruno Corrazzari, Nello Pazzafini, Marisa Mell u.a.


Inhalt:
Ein psychopathischer Frauenmörder geht um in Rom. Als Souvenir hinterlässt er in der Hand seiner Opfer einen silbernen Halbmond, auf dem eigenartige Symbole eingraviert sind.
Die junge Giulia wird auf ihrer Hochzeitsreise in einem Nachtzug attackiert und entkommt dem Killer nur knapp. Freunden und den Medien gaukelt die Polizei ihren Tod vor, um sie zu schützen. Ihr Mann, der Designer Mario, will sich mit den in seinen Augen wenig kompetenten Ermittlungen der Polizei nicht zufrieden geben und versucht auf eigene Faust die Identität des Killers herauszufinden...


Der Kommissar (Capponi, links) und Designer Mario


Marisa Mell (leider nur eine kleine Rolle)


"Das Rätsel des silbernen Halbmonds" erfreut sich offenbar im deutschsprachigen Raum keiner allzu großen Beliebtheit.
Die Edgar Wallace Fans können mit der italienischen Machart nicht so viel anfangen und die eingefleischten Giallo Fans kritisieren die ihrer Meinung nach allzu brave Uschi Glas in der Hauptrolle und fragen sich, warum nicht anstatt der deutschen Mimin eine der allseits bekannten und beliebten Giallo-Darstellerinnen wie beispielsweise Edwige Fenech (Der Killer von Wien) engagiert wurde.
Ich gehe davon aus, dass Uschi Glas wohl nicht Umberto Lenzis erste Wahl für die Rolle der Giulia gewesen ist.
Immerhin ist deutsches Geld in die Produktion geflossen und in diesem Zusammenhang taucht der Name Horst Wendlandt auf. Ebendieser Herr Wendlandt war zufälligerweise auch derjenige, der Frau Glas die allererste Rolle in einem Film (nämlich "Der unheimliche Mönch") verschaffte.
Deshalb halte ich die Besetzung für naheliegend, Genaues weiß man aber (offiziell) natürlich nicht.

"Das Rätsel des silbernen Halbmonds" ist ein handlungstechnisch relativ geradliniger Film, der auf großzügig verstreute rote Heringe oder giallotypische Drehbuchkniffe weitestgehend verzichtet.
Antonio Sabàto spielt die Hauptrolle, den Designer Mario, Giulias Ehemann. Ein wahrlich unsympathischer Kerl, dem man sein Lächeln (wenn er es denn mal zeigt) nicht so ganz abnimmt und der in erster Linie herrisch-jähzornig und rechthaberisch auftritt.
Die arme Uschi – äh Giulia hat nicht allzu viel zu sagen und auch nicht besonders viel bei der Suche nach dem schwarzbehandschuhten Mörder beizutragen.
Nicht mal ihr Hochzeitskleid darf sie selbst aussuchen, geschweige denn sich ans Steuer des Autos setzen oder selbst Theorien aufstellen. Ihre Rolle ist eher die des braven Frauchens, das ihrem Gatten ab und zu zur Seite stehen darf.

LiebhaberInnen des italienischen Kinos dürfen sich über Auftritte von Pier Paolo Capponi (Jonny Madoc) als Kommissar, den wie immer zwielichtig wirkenden Bruno Corazzari (besonders schurkisch in Der Mann ohne Gedächtnis), den berühmten Nebendarsteller Nello Pazzafini (auch cool im Netzhemd in La Pistola – The Gun) in einer herrlich schmierigen Rolle und die extravagante Marisa Mell (Gefahr: Diabolik) in einer kleinen Rolle freuen.

Bei der Polizei läuft alles schief


Die italienische Polizei wird wie in anderen Genrefilmen dieser Zeit wieder einmal der Lächerlichkeit preis gegeben und disqualifiziert sich an allen Ecken und Enden selbst.
Die engagierten Beamten nehmen einen Unschuldigen fest, dem sie nach stundenlangem brutalen Verhör ein Geständnis entlocken, worüber sie so froh sind, dass sie weitere Hinweise auf den wahren Killer prompt ignorieren. Kennt man.
Beschattungs-Aktionen werden gnadenlos in den Sand gesetzt und Personenschutz scheint auch nicht die Stärke der römischen Polizia zu sein. Kennt man auch.
Irgendwie muss ja der auf eigene Faust ermittelnde Designer drehbuchmäßig gerechtfertigt werden.
"Wenn die Polizeibeamten solche Versager sind, muss man die Angelegenheit eben selbst in die Hand nehmen." argumentiert der in seinem Designer Job scheinbar unterforderte Mario. Sogar seine Frau Giulia zeigt sich leicht irritiert, in welchem Ton Mario von der Polizei spricht und ringt sich sogar in einer Szene zu so etwas wie einer kleinen Ermahnung durch: "Aber Mario, es ist immerhin die Polizei!"

Ohne besondere Ansprüche an Dialoge oder Story dümpelt "Das Rätsel des silbernen Halbmonds" gemütlich vor sich hin, umschifft dabei aber leicht und wendig die Sphären der gepflegten Langeweile.
Die Aufnahmen von Rom, der malerischen umbrischen Stadt Spoleto (ein paar Drehortfotos gibt es hier zu sehen) und die nicht allzu anspruchsvolle aber simple und einprägsame Düdeldüdelmusik von Riz Ortolani sowie die Freude über so manche bekannte Gesichter aus dem Italokino und die herzig-naive Story reichen für mein persönliches Filmvergnügen vollkommen aus.

"Das Rätsel des silbernen Halbmonds" fällt für mich in die Kategorie "angenehmer, sogar etwas überdurchschnittlicher Giallo". Sollte man definitiv einmal gesehen haben. Aber ohne falsche Erwartungen.

(Anmerkung: Habe den Film in der internationalen und nicht in der gekürzten Edgar-Wallace-Fassung gesehen. In Erstgenannter wird in Punkto Gewalt und Nacktheit etwas mehr ins Detail gegangen.)




Foto: DVD von Shriek Show und Universum




Foto: Koch Mediabook (BD)




Aushangfoto: Der Kommissar findet das erste Mordopfer



Samstag, 4. Oktober 2014

MILANO ODIA: LA POLIZIA NON PUÒ SPARARE (1974)














DER BERSERKER

Italien 1974
Regie: Umberto Lenzi
DarstellerInnen: Tomas Milian, Henry Silva, Laura Belli, Luciano Catenacci, Nello Pazzafini, Gino Santercole, Anita Strindberg, Ray Lovelock, Guido Alberti u.a.


Inhalt
Der Kleinkriminelle Giulio Sacchi hat einen Hang zu dramatischen Auftritten und gewalttätigen Exzessen. Leider hat er es in seinem bisherigen Leben weder als ehrlich arbeitender Bürger noch als Gangster zu etwas gebracht.
Von seinen Ganoven-Kollegen wird er immer wieder verspottet oder verprügelt. Manchmal auch beides. Seine Freundin Jone, die aus einer gut bürgerlichen Mittelschicht-Familie stammt und brav einer geregelten Arbeit nachgeht, schämt sich, wenn er sie vom Büro abholt.
Doch nun sieht Sacchi sein Leben an einem persönlichen Wendepunkt.
Schon bald soll alles anders werden. Dazu plant er mit seinen guten Bekannten Vittorio und Carmine die Entführung von Marilù Porrino, Tochter eines reichen Geschäftsmanns (und ausgerechnet der Chef von Jone...).
Dieser Coup soll allen den lang ersehnten Reichtum bringen. Es sieht zunächst auch danach aus, dass Ihnen das tatsächlich gelingen könnte.
Der ermittelnde Kommissar Grandi tappt über die Identität der Täterschaft lange Zeit komplett im Dunkeln.
Wäre Giulio Sacchi nur nicht so ein leicht reizbarer schnell die Beherrschung verlierender Zeitgenosse...


Giulio Sacchi muss einstecken


Kommissar Grandi ärgert sich über Sacchi


Eigentlich hatte man Tomas Milian ja die Rolle des Kommissars angeboten. Als er jedoch das Drehbuch gelesen hatte, war ihm schnell klar, dass er sich viel mehr für die Rolle des sadistischen und sich als überall benachteiligt sehenden Giulio Sacchi berufen fühlte.
Anfangs gar nicht begeistert von der Idee willigte Regisseur Umberto Lenzi schließlich ein (allerdings unter der Voraussetzung, dass sich Milian mit der für die andere Rolle vereinbarten Gage zufrieden geben musste).
Eine gute Entscheidung!
Milian spielt Giulio Sacchi nicht, er ist Giulio Sacchi.
Neben dem Drehbuch von Ernesto Gastaldi hat man es vor allem Milians ohne Übertreibung grandioser schauspielerischer Leistung zu verdanken, dass "Der Berserker" ist, was er ist: eine zynische Charakterstudie über einen Gangster mit fiesen und intensiven Szenen, die unter die Haut gehen.
Definitiv kein Film für Zartbesaitete. "Der Berserker" zeigt Gewalt, so wie sie ist und beschönigt nichts.
Es geht hierbei nicht nur um einige explizite Gewaltszenen sondern auch um die psychische Brutalität und Kompromisslosigkeit, die Sacchi an den Tag legt.

Um seine Ziele zu erreichen, schreckt er vor nichts zurück. Niemand kann ihn aufhalten und wer dennoch versuchen könnte, sich ihm in den Weg zu stellen, wird mal eben präventiv kalt gemacht.
Seine Begleiter Vittorio (Gino Santercole) und Carmine (der niedliche Ray Lovelock) haben eigentlich keine Wahl als bei der Entführung Marilùs mitzumachen: Er unterbreitet den beiden anfänglich noch etwas skeptischen Zeitgenossen seinen Entführungs-Plan und erklärt ihnen kurzerhand, dass es für sie jetzt, wo sie davon wissen, kein Zurück mehr gibt.

Lenzi zeigt mithilfe des fiktiven Charakters Giulio Sacchi in einer selten gesehenen Radikalität menschliche Abgründe auf, die sich in der damaligen und heutigen Gesellschaft immer wieder auftun.
Denn die Haut der Zivilisation ist tatsächlich dünner als so Mancher es wahrhaben will.
Auf der anderen Seite steht Kommissar Grandi (Henry Silva) dem Verbrechen fassungslos und zum Teil hilflos gegenüber und muss immer wieder erleben, wie wenig er tatsächlich ausrichten kann und wie oft ihm die Hände gebunden sind.
Er muss sich von seinem Vorgesetzten und Anwälten erklären lassen, dass es sich bei den von ihm präsentierten Informationen zur Entführung von Marilù allenfalls um Verdachtsmomente oder Indizien handelt, er aber keine handfesten Beweise hat.
Ein undankbarer Job.
Herausragend ist vor allem die Szene, in der sich der Kommissar und Sacchi zum ersten Mal gegenüber sitzen.
Das ist großes Kino. Aber seht selbst...

Lieblingszitat (Sacchi zu seinem etwas zögerlichen Verbündeten Carmine):
"Giulio Sacchi hat eine Regel entwickelt. Wer etwas weiß, ist dabei. Und wer etwas weiß und nicht dabei ist... der krepiert!"

Lenzi ist mit "Der Berserker" ein radikales und kompromissloses Meisterwerk gelungen mit Szenen, die für die damalige Zeit mehr als gewagt waren und im heutigen Kino unmöglich wären.
Wer noch kein Milian-Fan ist und ihn nach Genuss des Films immer noch nicht für einen Ausnahme-Schauspieler hält, dem kann nicht geholfen werden.
Filmfans, die mit italienischem Kino der Siebziger etwas anfangen können und es in cineastischer Hinsicht auch mal gerne "hart und dreckig" mögen, müssen bei "Der Berserker" zugreifen.
Aber Achtung: Ein bereits einmaliger Konsum könnte weitere Filmkäufe oder gar eine ausführliche Entdeckungsreise ins Poliziottesco-Genre nach sich ziehen...




Foto: No Shame DVD, NEW, Alan Young Doppel-DVD




Foto: Blu Ray von FilmArt




Foto: Soundtrack (coole Vinyl-Premiere, gerade noch eine von 500 Stück ergattert)







Sonntag, 28. September 2014

LIBERI ARMATI PERICOLOSI (1976)














BEWAFFNET UND GEFÄHRLICH

Italien 1976
Regie: Romolo Guerrieri
DarstellerInnen: Tomas Milian, Eleonora Giorgi, Stefano Patrizi, Benjamin Lev, Max Delys, Venantino Venantini, Salvatore Billa, Peter Berling u.a.


Inhalt:
Lea bittet den Mailänder Polizei-Kommissar inbrünstig, ihren Freund Luis von der großen Dummheit, mit seinen Kollegen eine Tankstelle zu überfallen, abzuhalten.
Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Aussage der jungen Frau postieren sich unter Anleitung des Kommissars mehrere Beamte am Tatort und warten auf das Verbrecher-Trio. Die Annahme, dass die Bande lediglich mit Spielzeugpistolen bewaffnet ist, entpuppt sich als großer Fehler.
Vier Männer werden ermordet, die Verbrecher fliehen und ziehen in den folgenden Tagen eine Spur von Gewalt und Terror durch Mailand. Doch die Polizei ist ihnen dicht auf den Fersen...


Der Kommissar (Milian) und Lea


risikofreudige Fahrt durch Mailand


Regisseur Romolo Guerrieri (mit bürgerlichem Namen Romolo Girolami und im Übrigen Bruder von Marino Girolami und Onkel von Enzo Castellari) gelang es mit "Bewaffnet und gefährlich" einen inhaltlich interessanten und zugleich soziologisch brisanten Poliziottesco zu drehen.
Denn "Bewaffnet und gefährlich" beschäftigt sich ebenso wie ein paar wenige andere Genrefilme mit der Thematik des Thrill Kill, sprich: mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die nicht aus der sozialen Unterschicht kommen und ohne klar nachvollziehbare Motive morden. (Ein kleiner Exkurs dazu siehe unter Fango Bollente)

Das Drehbuch zum Film stammt von Fernando Di Leo (Regisseur von Oben ohne, unten Jeans oder Milano Kaliber 9) und basiert auf einer Novelle des italienischen Schriftstellers Giorgio Scerbanenco, dessen ausgezeichnete literarische Vorlagen ebenfalls bei Filmen wie Note 7- Jungen der Gewalt oder Das Grauen kam aus dem Nebel als Grundlage dienten.

Mario, Luigi und Bowser äääh – Giovanni sind junge Männer, die aus gesitteten Familienverhältnissen zu stammen scheinen. Wir erfahren nichts über ihre Hintergründe oder ihre Vorgeschichte. Aus welchen biographischen Erlebnissen oder Persönlichkeitsmerkmalen ihre Lust am Verbrechen resultiert, wird nicht einmal ansatzweise angedeutet.
Alles, was wir zu sehen bekommen, sind ihre angesichts der von den drei Männern begangenen Verbrechen sprach- und ratlosen Eltern, die sich gegenüber dem aufgebrachten Polizeikommissar (wie immer grandios: Tomas Milian) zu verteidigen versuchen.
Letzterer wirft ihnen in seiner eigenen Erklärungsnot und Fassungslosigkeit vor, sich nicht ausreichend mit ihren Sprösslingen befasst zu haben und Mitschuld zu tragen an der Misere.
Doch seine Erklärungsmuster sind eindimensional und reichen angesichts der Brutalität und Skrupellosigkeit der jungen Männer nicht aus.


Das Trio infernale - Luis, Gio und Il Biondo
(von links nach rechts)


Luigi, genannt Luis, ist der Einzige der Drei, der noch so etwas wie ein Gewissen und Prinzipien zu haben scheint und sich bei den Verbrechen als Fahrer betätigt, aber nicht mordet.
Dennoch scheint er in einer Art emotionalen Verstrickung mit dem Kopf der Bande Mario (genannt "Il Biondo", also der Blonde) gefangen. Woraus diese resultiert wird nie eindeutig geklärt. Ist es Furcht? Wird er erpresst? Ist es eine Art verworrene Hassliebe? Es gibt zwar homoerotische Ansätze, aber diese werden nicht weiter konkretisiert.

Der Blonde sieht sehr bubihaft aus und wenn man rein nach seinem Äußeren gehen würde, könnte man meinen, dass er bestimmt ein ganz Netter ist, der alten Damen über die Straße hilft. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Seine Mordlust und emotionale Abgestumpftheit stehen im krassen Gegensatz zu seinem Aussehen.
Immer, wenn Luis Zweifel an dem Vorgehen der Bande einräumt, wird er vom Blonden geschickt manipuliert und verfällt sogleich wieder in seinen Mitläufer-Trott.

Giovanni, genannt Gio, ist der dritte im Bunde. Er sorgt für das nötige Quäntchen Wahnsinn. Er nimmt nichts ernst, macht ständig schlechte Witze und lacht den ganzen Film über in einer mehr als penetranten Art und Weise, die an seinem Verstand zweifeln lässt.

Interessant ist auch die Rolle von Lea, die mit Luis zusammen ist (oder das zumindest geglaubt hat).
Die intelligente junge Frau, die unfreiwillig von der Bande auf ihrem Raubzug mitgenommen wird, analysiert und durchschaut die Struktur der Bande und versucht sich beherzt zur Wehr zu setzen.
Dafür findet sie sogar Anerkennung vom Blonden, der dies gegenüber Luis sinngemäß mit dem Satz zum Ausdruck bringt, es wirke, als ob er seine Eier beim letzten Sex mit Lea an sie verloren hätte.

Tomas Milian (Der Berserker, Der Todesengel) hat für "Bewaffnet und gefährlich" eine Auszeit von seiner komödienhaften Monnezza-Rolle genommen, um sich wieder einmal den ernsteren Untertönen des Poliziottesco-Genres zu widmen. Eine Wohltat.
Laut Guerrieri hat es den Regisseur einige Überzeugungskraft gekostet, Milian dafür zu gewinnen, wieder einmal ohne Make-Up und/oder Perücke in einem Film mitzuwirken. Er deutet in der Doku von Raro an, dass es wohl einen Grund gab, warum Milian zu dieser Zeit Verkleidungen in seinen Filmen bevorzugte, hält sich aber bezüglich einer weiteren Erläuterung bedeckt.

Die Flucht vor der Polizei führt den Blonden, Luis und Gio von Mailand über die Peripherie auf's Land.
Ähnlich wie in Banditen von Mailand versuchen sie hier, ihre Spuren vor der Polizei zu verwischen, was ihnen allerdings nur bedingt gelingt.
Schließlich setzt die Polizei sogar einen Helikopter und eine Hundestaffel ein, um den weiterhin mordlustigen Verbrechern (sogar unschuldige deutsche Camper - Peter Berling als Herr Obrawalde - müssen ihr Leben lassen) Einhalt zu gebieten.
Die Szene, in der ein Polizeihund einem Blutrausch verfällt, erscheint etwas übertrieben und unnötig, hätte aber Lucio Fulci und Dario Argento bestimmt Freude bereitet.

Der Film baut durch die sinn- und motivlos wirkende Gewalt, die Raub, Morde und sexuelle Gewalt umfasst, in erster Linie auf die psychologische Ebene. 
Das bewegende Ende wirkt auf den ersten Blick überraschend, auf den zweiten mehr als konsequent und stimmt nachdenklich.

Wegen etwas unnötiger Längen und weitaus weniger Intensität in der Charakterdarstellung als bei inhaltlich vergleichbaren Filmen gehört "Bewaffnet und gefährlich" zwar nicht zur Speerspitze des Genres, aber dennoch zu den sehenswerteren Poliziotteschi.




Foto: DVD von Raro Video Italien




Foto: Blu Ray vom Label Cineploit



Sonntag, 21. September 2014

L'UOMO SENZA MEMORIA (1974)














DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS

Italien 1974
Regie: Duccio Tessari
DarstellerInnen: Luc Merenda, Senta Berger, Umberto Orsini, Anita Strindberg, Bruno Corazzari, Rosario Borelli, u.a.


Inhalt:
Der Engländer Ted arbeitet unter einem falschen Namen in einem Antiquitätengeschäft in London. Nicht absichtlich. Dummerweise fehlt ihm nämlich nach einem Unfall das Wissen um seine wahre Identität. Er hat jegliche Erinnerung an die Zeit vor seinem Krankenhausaufenthalt verloren.
Auch ein Psychiater kann seinem Gedächtnis nicht auf die Sprünge helfen. Doch plötzlich tauchen Leute aus seiner Vergangenheit auf, die vorgeben zu wissen wer er ist.
Weitere Hinweise zu seinem wahren Ich erhofft sich Ted in Portofino zu erhalten. Seine italienische Ehefrau Sara hat ihn nämlich dorthin eingeladen.
Erst einmal angekommen gestaltet sich nicht nur das Wiedersehen mit seiner Angetrauten etwas kompliziert. Das Ehepaar wird nämlich beobachtet und bedroht...


George (links) und Ted


Senta Berger - was für eine Frau!


Duccio Tessari hat nur bei wenigen Gialli Regie geführt, nämlich drei an der Zahl. Und alle zählen zu meinen Lieblings-Gialli. Sie heben sich durch ihre Handlung und ihren Stil deutlich aus dem qualitativen Mittelfeld des Genres hervor.
Das für viele Gialli charakteristische style-over-substance Prinzip fehlt hier weitestgehend.
Sowohl Das Grauen kam aus dem Nebel als auch Blutspur im Park und eben "Der Mann ohne Gedächtnis" sind dafür von herausragender erzählerischer Qualität und inszenatorischer Dichte, wie man sie bei den italienischen Kriminalfilmen der 60er und 70er Jahre nur selten antrifft.
"Der Mann ohne Gedächtnis" ist im direkten Vergleich sicher der schwächste der Tessari-Gialli, aber hebt sich dennoch in positiver Weise von anderen 0815-Genrefilmen ab.

Ernesto Gastaldi, der Geschichten für unzählige Genredrehbücher erdachte, hat für "Der Mann ohne Gedächtnis" eine nicht allzu komplexe, aber bestens funktionierende Handlung auf's Papier gezaubert.
Die Faszination geht in erster Linie davon aus, dass Ted weder weiß, wer er selbst ist, noch was er sich in seiner Vergangenheit vielleicht zu Schulden kommen lassen hat. Denn in einem Punkt sind sich die meisten seiner ehemaligen Freunde, Geschäftspartner und sogar seine Frau einig – er war ein Mistkerl.

"Es ist besser, einen wie ihn zu verlieren als zu finden."
Sara über Ted

"Ich bin froh, dass du meine Frau bist."
Ted zu Sara beim ersten Wiedersehen

Ted bemüht sich redlich um seine Frau (dieser Teil der Geschichte nimmt für meinen Geschmack fast etwas zu viel Raum ein), die er offenbar vor einem Jahr in Italien sitzen gelassen hat und erweckt sogar den Anschein, ein besserer Mensch werden zu wollen, als er einst gewesen ist.
Dieses Vorhaben wäre wahrscheinlich um Einiges einfacher, wenn da nicht noch sein anderes Problem wäre – einer, der sich als sein "Geschäftspartner" ausgibt, behauptet, dass Ted ihn über's Ohr hauen wollte. Es geht um irgendeine Beute, viel Geld und schmutzige Geschäfte.
Abwechselnd steht der geheimnisvolle George vor Sara und Ted und verspricht beiden den sicheren Tod innert weniger Tage, wenn Ted nicht das Versteck der Beute preisgibt.

Wir Zuschauer tappen genauso im Dunkeln bezüglich der Forderungen von George wie auch bezüglich der Unsicherheit darüber, wem Ted überhaupt trauen darf.
Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, was Ted tun wird/würde, wenn er sein Gedächtnis zurückerlangt. Denn eines steht fest: er hat sich seine Hände bei irgendeiner krummen Sache ziemlich schmutzig gemacht und befindet sich nicht nur durch Zufall in dieser vertrackten Situation. Wird er wieder zu seinem alten Ego zurückkehren und sich zu einem skrupellosen Schurken wandeln?
Genau diese Aspekte machen den besonderen Reiz des Films aus.

"Vielleicht hab ich jemandem was angetan und er lässt mich jetzt dafür bezahlen."
Ted zu Sara

Ich muss es immer wieder betonen. Luc Merenda, der in diesem Film den Mann mit der bewegten Vergangenheit spielt, war einfach eine coole Socke!
Der französische Schauspieler, der gerne auch Rollen in italienischen Genrefilmen annahm (z.B. Auge um Auge, Il poliziotto è marcio oder Torso) hatte nicht nur immer die stylischsten Schlaghosen und Sonnenbrillen an, sondern überzeugt auch in jeder Actionszene.
Der Darsteller mit dem athletischen Körper, der sogar eine Kampfsportart beherrschte, zeigt natürlich auch in "Der Mann ohne Gedächtnis" was er so drauf hat. Auch wenn die Kampfszenen hier zugunsten des Rätsels um die Machenschaften von Ted eher in den Hintergrund rücken.

An seiner Seite: die österreichische Schauspielerin Senta Berger in der Rolle seiner mutigen Frau Sara.
Der Name war und ist mir selbstverständlich ein Begriff, aber ich kannte bis dato keinen Film mit ihr, da sie sich wohl als ernsthafte Mimin verstand und bestimmte Genres deshalb eher gemieden hat, stelle aber fest, sie war gar nicht mal so unberühmt.
Gemeinsam mit Marisa Mell besuchte Senta Berger das berühmte Rainhardt Seminar in Wien, verließ es aber vorzeitig, da sie ohne die vorherige Zustimmung des Direktors eine Rolle angenommen hatte. Dies tat ihrer Karriere aber augenscheinlich keinen Abbruch und ihr beruflicher Werdegang führte sogar bis nach Hollywood.


Ja sie ist es - Anita Strindberg

Anita Strindberg spielt auch eine kleine Rolle in "Der Mann ohne Gedächtnis". Ich hatte zwar etwas Mühe, aber ich hab sie doch an ihrer Nase erkannt. Kein Witz.
Während sie in Una lucertola con la pelle di donna die Femme fatale par excellence mimte und auch in The Child – Die Stadt wird zum Alptraum und Der Berserker umwerfend gut aussah, ähnelt sie in diesem Film eher einem zu groß geratenen Pudel.

Bruno Corazzari, einer der beliebtesten Nebendarsteller im italienischen Genrekino, wirkte in zahlreichen Western, Poliziotteschi und Gialli mit. Hier hat er ausnahmsweise mal eine etwas größere Rolle – Teds Ganovenkumpane George: undurchsichtig und eindeutig gefährlich. Bereit, über Leichen zu gehen. Seine Taschentuch-Marotte macht ihn zu einem wahrhaft kultigen Schurken.

Gegen Ende geht’s noch mal richtig rund und die Kettensägen-Szenen sind wirklich besonders originell. Das halb offene Ende erstaunt, aber ärgert nicht.

Als Hintergrund für die intelligent verwobene und verworrene Story rund um den "Mann ohne Gedächtnis" dient die Kulisse der romantischen Hafenstadt Portofino und die stimmige und unter die Haut gehende musikalische Soundtrack-Untermalung von Komponist Gianni Ferrio (u.a. Blutspur im Park oder Django - unbarmherzig wie die Sonne).
Italophiles Herz, was willst du mehr?




Foto: dänische DVD (Another World) und KOCH Media Digipack




Aushangfoto



Sonntag, 14. September 2014

LA SETTA (1991)














THE SECT

Italien 1991
Regie: Michele Soavi
DarstellerInnen: Kelly Curtis, Herbert Lom, Mariangela Giordano, Michel Adatte, Giovanni Lombardo Radice (aka John Morghen), Donald O'Brien u.a.


Inhalt:
Amerika in den 70ern. Eine Hippie Kommune erhält Besuch von einem mysteriösen Fremden namens "Damon". Nach gemütlichem Beisammensein erleben sie in der Nacht eine unliebsame Überraschung.
Frankfurt in den 90ern - ein unscheinbarer Familienvater begeht Selbstmord, nachdem er von Polizisten wegen eines bestialischen Mords an einer jungen Frau gefasst wird - das "corpus delicti" (in dem Fall das Herz seines Opfers) noch in der Hand.
Nur wenige Tage später, in der Nähe von Offenbach. Die junge Lehrerin Miriam nimmt einen alten Mann, den sie versehentlich mit dem Auto angefahren hat, zu sich nach Hause mit und gerät dabei in die Fänge einer satanischen Sekte...


Charismatisch - Herbert Lom


Kelly Curtis - das Grauen steht ihr ins Gesicht geschrieben


Es erscheint mir eine schwierige Aufgabe, über einen Film zu schreiben, von dem ich einerseits das Gefühl habe, dass es wichtig ist, nicht zu viel von der Handlung zu verraten und dem man andererseits mit bloßen Beschreibungen und der Aneinanderreihung von Attributen nur schwer gerecht wird.
Es wäre aber auch jammerschade, nicht dezidiert auf dieses Kleinod des 90-er Jahre Horrorfilms hinzuweisen.

Bei dem nur wenig bekannten "La Setta" handelt es sich nach "Aquarius" und "The Church" um den dritten Spielfilm des talentierten italienischen Regisseurs Michele Soavi.

Ähnlich wie bei "The Church" wurde der Film hierzulande ausschließlich unter dem Namen Dario Argento, der in großen Lettern auf dem VHS-Cover prangte und wohl suggerieren sollte, es mit einem "reinrassigen" Argento-Film zu tun zu haben, vermarktet.
Seine Rolle war jedoch (lediglich) die des Produzenten und des -laut Soavi- Kontrolle ausübenden "väterlichen" Regiekollegen, der versuchte, Soavi zu beeinflussen und in seiner künstlerischen Freiheit etwas zu begrenzen.

"La Setta" ist ein herausragendes Glanzstück des italienischen Horrorfilms und einer der schaurigsten und alptraumhaftesten Filme nach dem "Mario-Bava-Zeitalter", der je in Bella Italia entstanden ist.
Kaum ein Film weist eine derartige Dichte an verstörenden und doch lyrisch anmutenden Alptraum-Sequenzen voller Symbolik auf wie "La Setta".


Wo die Leiter wohl hinführt?


Miriam (Kelly Curtis, die hübsche Schwester von Scream-Queen Jamie Lee Curtis) lebt zusammen mit ihrem Hasen in einem alten Haus am Waldrand, recht abgelegen von der Zivilisation.
Sie ist eine unsichere, aber hilfsbereite Frau und fühlt sich in der Gegenwart des alten Mannes (Charaktergesicht Herbert Lom!) unwohl.
Auch dem Hasen scheint der neue Gast nicht zu behagen.
Für Miriam wird die Begegnung mit dem mysteriösen alten Mann zu einem einschneidenden Erlebnis. Der Beginn eines nicht enden wollenden Höllentrips und einer von Paranoia getränkten Atmosphäre.

Der Kontakt mit dem alten Mann ist für Miriam zugleich die Einleitung einer unaufhaltsam voranschreitenden Entfremdung: vom eigenen Heim, sogar von ihrem Haustier und schließlich ihrem Arbeitsplatz und Menschen, die ihr einst nahe standen.
Sie kann niemandem mehr trauen, sich an keinem Ort mehr sicher fühlen, weder in der Realität noch in ihren nächtlichen Träumen.

Ähnlich wie das nachfolgende Soavi-Meisterwerk Dellamorte Dellamore fasziniert "La Setta" durch ästhetische Bildkompositionen, einen einprägsamen Soundtrack (Pino Donaggio!) und einer obskuren Handlung, in der Realität und Traum stark ineinander verwoben und nicht immer eindeutig zu unterscheiden sind.

Will man die beiden Filme direkt vergleichen, so könnte man "La Setta" als die düstere und etwas ernsthaftere Schwester des etwas bekannteren, bunteren und schwarzhumorigen Bruders Dellamorte Dellamore bezeichnen.

Das Problem von "La Setta",wenn man es als dies bezeichnen möchte, ist wohl, dass der Film zwar vielen Anforderungen an einen guten Horrorfilm entspricht, die Wünsche des potentiellen Zielpublikums aber nur bedingt zu erfüllen imstande ist:
Auf der einen Seite hätten wir da die Fans von eher subtilem und bavaeskem Gotik-Horror, deren Sehvergnügen durch allzu harte Gore-Szenen bzw. der vielfach gerügten und gerne zitierten "selbstzweckhaften Gewaltdarstellung" getrübt wird.
Auf der anderen Seite wären da die Kollegen aus der Gore-Bauern-Szene, für die "La Setta" zu langsam erzählt ist, zu viel Wert auf Atmosphäre legt und eindeutig zu wenige explizite Blut und Eingeweide-Szenen bietet.
Und zu guter Letzt hätten wir da noch Filmfreunde, die große Ansprüche an eine nachvollziehbare Story ohne von ihnen genauestens definierten "Logik-Lücken" wünschen.
Auch die werden mit diesem Okkultfilm nicht glücklich.

"The Sect" ist also der perfekte Film für ein aufgeschlossenes Publikum, das bereit ist, sich auf einen dunklen Horror-Trip einzulassen, sich nicht vor Gore-Szenen scheut und zugunsten von Optik auch auf ein durch und durch stringentes Erzählkino verzichten kann.

Empfehlenswert ist die italienische DVD von Cecchi Gori, durch deren Veröffentlichung dankenswerterweise der Film ungekürzt mit englischer Tonspur erhältlich wurde.


Das oben erwähnte VHS-Cover

Foto: DVD von Cecchi Gori




Foto: Blu Ray Mediabook von Koch Media