Sonntag, 20. September 2020

MANIAC (1980)


 







MANIAC

USA 1980
Regie: William Lustig
DarstellerInnen: Joe Spinell, Caroline Munro, Abigail Clayton, Kelly Piper, Rita Montone, Tom Savini, Sharon Mitchell u.a.

Inhalt:
Frank Zito sammelt Schaufensterpuppen und Skalps seiner weiblichen Opfer, die er unbarmherzig ermordet. Als er bei einem Spaziergang im Central Park die Fotografin Anna kennen lernt und sich mit der selbstbewussten Frau anfreundet, scheint seine Mordlust plötzlich abzuebben. Oder ist diese scheinbare Läuterung nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm?


Ein nachdenklicher Frank (Joe Spinell)


Fotografin Anna (Caroline Munro)


Die Zeiten ändern sich und die Weltanschauung der unter Filmfans im deutschsprachigen Raum wohlbekannten BPjM offenbar ebenfalls. Lange Zeit verbotene, sogenannte "menschenverachtende" Filme aus der verdammenswerten Videotheken-Schmuddelecke der Achtziger Jahre wie "Tanz der Teufel", "Texas Chainsaw Massacre" und seit letztem Jahr nun auch "Maniac" gelten heute dank dem Engagement einiger Labels als rehabilitiert. Vielleicht nicht ganz, aber zumindest sind sie nicht mehr beschlagnahmt.
Infolgedessen wurde der Personenkreis, dem der Film jetzt frei zugänglich ist, erweitert. Diesem Umstand haben wir nun einige schöne neue Veröffentlichungen aus dieser Sparte zu verdanken.
"Maniac" in UHD Qualität kann sich tatsächlich sehen lassen!


Die berühmt-berüchtigte 42nd Street


Der hauptsächlich von Regisseur William Lustig und Hauptdarsteller Joe Spinell finanzierte Film reiht sich (abseits von Hardcore-Filmen wie z.B. "Waterpower") mit The driller killer und Lucio Fulcis Der New York Ripper ein in den Kreis der widerwärtigsten und dreckigsten New York Filme der frühen Achtziger Jahre.

Tom Savini, der hauptsächlich für seine herausragenden Effekte in George Romeros Zombie-Trilogie und seiner Mitwirkung als Darsteller bei "Dawn of the Dead" berühmt ist, hat bei "Maniac" ganz tief in seiner Blut- und Innereien Trickkiste gewühlt.
Deshalb gibt es unappetitliche Szenen wie einen Schrotflinten-Headshot in Nahaufnahme, bei dem der Kopf eines Mannes wie eine auf den Boden geworfene überreife Tomate zerplatzt, zu bestaunen. Abwechslungsweise gibt es auch Nahaufnahmen von geöffneten Schädeldecken oder Teppichmesser, die in die Stirnhaut bedauernswerter Frauen schneiden wie Messer in warme Butter.
Was Savini uns hier auf der cineastischen Schlachtbank serviert, ist trotz einfacher Mittel technisch so detailgetreu umgesetzt, dass man "Maniac" auch 40 Jahre später bedenkenlos in perfekter Bildqualität ansehen kann, ohne dass das Bedürfnis aufkommt, über die Effekte zu spotten.
Obwohl sich dieser Film ohne falsche Scham in erster Linie als Exploitation Kino präsentiert, erzeugt er nicht nur eine gediegene Ekel-Atmosphäre für Gorehounds, sondern spielt auch meisterlich mit der Psyche der ZuschauerInnen.


Spinell verleiht Frank viel Ausdruck


Frank Zito präsentiert sich dem Kino-Publikum nämlich nicht als seelenlose menschliche Killermaschine wie Michael Myers ("Halloween") oder Jason Vorhees ("Freitag der 13.").
Er ist ein schwer fassbarer und vor allem ambivalent dargestellter Charakter.
Durch das enthusiastische, teils fieberhaft anmutende Schauspiel Joe Spinells beginnt man spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem immer mehr Details aus Zitos traumatischer Kindheit offenbar werden, ein gewisses Verständnis zu entwickeln.
Natürlich nicht für seine abscheulichen Taten, aber man erhält eine Ahnung davon, wie bzw. warum er zum Frauenmörder werden konnte. Man beginnt Hypothesen aufzustellen, was für ein Mensch er hätte sein können, wenn beim kleinen Frankie und seiner Mommy zuhause einige Dinge nicht so gravierend aus dem Ruder gelaufen wären.


Die andere Seite des "Monsters"


Der Täter wird durch die Beleuchtung seiner eigenen kindlichen Opfererfahrungen und somit auch seiner zutiefst menschlichen Seite entdämonisiert.
Auf der anderen Seite werden die (meist namenlosen) Ermordeten nur kurz vorgestellt, wir erfahren wenig über die Frauen und Männer und erhalten so kaum Gelegenheit für die Empathie-Entwicklung oder Identifikation. Daher bleibt die Tätergeschichte stets präsent und dominant.
Ich frage mich manchmal, ob es eine Bezeichnung für dieses Phänomen gibt, das man aufgrund dieser einseitigen Betrachtungsweise bisweilen auch bei psychiatrisch-forensischen Gutachtern erlebt, die sich öffentlich voller Faszination und Bewunderung über die Intelligenz oder andere "Qualitäten" von sadistischen oder skrupellosen Schwerverbrechern äußern.
Jedenfalls evoziert der Charakter Frank Zito einen solchen Effekt beim Publikum.

Frank Zito nimmt uns jedenfalls nicht nur mit auf seine mörderischen Streifzüge durch das nächtliche New York, sondern auch in die tiefsten und dunkelsten Winkel seiner Seele.
Wenn allerdings manche Rezipienten so weit gehen, dem Film eine gewisse Tiefgründigkeit zu unterstellen oder gar ein Psychogramm des Killers umreißen zu wollen, geht das für meine Begriffe eindeutig zu weit.
"Maniac" ist trotz beachtlicher erzählerischer Kniffe im Endeffekt ein astreiner schmieriger Exploitationfilm, wenn auch mit einer unbestreitbaren Aura von Ernsthaftigkeit und Tendenz zur Tragik inszeniert, die nicht viele Filme seiner Art umgibt.

Der ausgesprochen melancholische Soundtrack ist dem Gesamteindruck außerordentlich zuträglich und unterstreicht die erschütternden Lebensumstände und trostlosen Aspekte der Psyche des Hauptcharakters Frank Zito.
Die Klänge im Hintergrund wecken bei mir Erinnerungen an die Metallspieluhren, die in den Achtzigern in jedem Kinderzimmer zu finden waren und deren Melodien wegen abgebrochener Metallzinken (und sie sind trotz pfleglicher Behandlung immer abgebrochen!) oft nur noch mit viel Fantasie zu erkennen waren.
Es erscheint mir jedenfalls als stimmiges Sinnbild für Zitos zerbrochene Seele und seine verstörenden Kindheitserfahrungen.

"Maniac" ist definitiv kein Party- oder Popcornfilm für einen gemütlichen Abend in lockerer Runde.
Aber als "Midnight Madness" in Gesellschaft von Genrefans oder (ganz Pandemie-tauglich) allein an einem regnerischen Sonntag konsumiert, beschert uns dieser Klassiker des Exploitationkinos auf jeden Fall eine emotional herausfordernde filmische (Grenz-)Erfahrung.




Foto: Elite, Blue Underground und Astro VÖ




Foto: Blue Underground Blu Ray und 4K Restauration




Foto: Empfehlenswerte UHD Veröffentlichung vom Label "Nameless" (Retro-VHS-Box)




Foto: Creepy Images Cover mit "Maniac"



Sonntag, 6. September 2020

ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA (1961)


VAMPIRE GEGEN HERAKLES

Italien 1961
Regie: Mario Bava
DarstellerInnen: Reg Park, Christopher Lee, Leonora Ruffo, George Ardisson, Marisa Belli, Ida Galli, Raf Baldassarre, Franco Giacobini u.a.

Inhalt:
Herkules hat seine Geliebte Deianira zu lange allein gelassen und muss nach seiner Rückkehr in ihr Königreich feststellen, dass sie an einer mysteriösen Geisteskrankheit leidet. Von ihrem Onkel Lykus erfährt unser berühmter Halbgott, dass Deianira mithilfe eines Steins aus dem Reich des Pluto gerettet werden kann. Also macht er sich mit seinem Freund Theseus und dem freiwilligen Helfer Telemachus auf eine Odyssee in die Unterwelt...


Abenteuerlustige Freunde: Herkules u. Theseus

Die großartige Ida Galli als Tochter des Pluto


Bei allen, die in den Neunziger Jahren ab und zu bei MTV reingeschaut haben, weckt der prinzipiell gar nicht so unpassende deutsche Filmtitel "Vampire gegen Herakles" wahrscheinlich Erinnerungen an die verrückte Serie "Celebrity Deathmatch".
Wenngleich es in "Vampire gegen Herakles" bisweilen ähnlich zugeht wie in der erwähnten Fernsehsendung hat der zweite (unter seinem Namen veröffentlichte) Spielfilm von Regisseur Mario Bava natürlich einen völlig anderen Hintergrund.
Figuren und Kreaturen, erwähnte Gottheiten und (historische) Orte wurden der griechischen Mythologie entlehnt und Vieles davon ist fröhlich und frei neu interpretiert.
Wie der italienische Originaltitel nahelegt, reist der schwer muskelbepackte Herkules (Reg Park) zum Mittelpunkt der Erde, um seine Deianira aus dem Nebel der geistigen Umnachtung zu befreien. Bei den ihm gestellten Aufgaben und Kämpfen gegen allerlei Ungeheuer, zuletzt auch tatsächlich gegen Vampire in Mumien-Kostümierung, kommt ihm seine übermenschliche Stärke und sein eiserner Willen zugute.
Was nimmt man nicht alles auf sich für die Liebe seines Lebens?

Basierend auf den in den Fünfziger und Sechziger Jahren erfolgreichen Sandalenfilmen verlässt "Vampire gegen Herakles" jedoch ähnlich wie Maciste, der Rächer der Verdammten und ein paar andere Pepla die populären Genre-Pfade durch eine Verflechtung mit zahlreichen Fantasy und Horror-Elementen.


Ein Bild wie ein surrealistisches Gemälde


Wobei man anmerken sollte, dass die trivial gehaltene Story funktionell in erster Linie den groben Rahmen bildet für ein kunterbuntes und temporeiches Effekt-Spektakel. Mario Bava schafft es, in den knapp 86 Minuten Spielzeit Futter fürs Auge en masse zu servieren.
Es gibt nichts was es nicht gibt und das Motto lautet offenbar: alles leuchtet bunt!
Von geheimnisvoll grünlich oder blau glimmenden Nebelschwaden über prominent in Szene gesetzte Spinnweben, Höllenfeuer, in diversen Farben illuminierte Kulissen bis hin zu kargen Landschaften mit Totholz und Skeletten sowie Dingen und Kreaturen, die man sich nicht einmal in seinen wildesten Fieberträumen vorstellen kann, ist alles vorhanden.

Herkules jagt so schnell es sein Kampfgewicht zulässt von einem Set zum nächsten und wirft dabei fleißig mit Gesteinsbrocken um sich. Dem unverkennbar hinterlistigen Schurken Lykus (Christopher Lee) jedoch tritt unser Held dermaßen vertrauensselig gegenüber, dass man bis zur letzten Minute trotz seiner übermenschlichen Kräfte arge Zweifel hegt, ob die arme Daianira überhaupt noch zu retten ist.


Würdet ihr diesem Mann vertrauen?


Zu den hyperaktiven Muckibrüdern Herkules und Theseus, die sich eher planlos in jede Situation stürzen bzw. in jedes Szenenbild werfen, bildet Christopher Lee als böser Onkel Lykus mit seiner unterkühlten Art einen wohltuenden Kontrast.

Doch ohne die wunderbaren und anbetungswürdigen Hauptdarstellerinnen wäre die eher trivial gehaltene action- und testosterongeladene Handlung nur halb so reizvoll.
Leonora Ruffo als Daianira ist nicht nur eine Augenweide, sondern spielt ihre Rolle auch mit einer der Sache zuträglichen Ernsthaftigkeit ohne Tendenzen in Richtung Over-Acting zu zeigen.
Die unvergleichliche Ida Galli (Un bianco vestito per Marialé, Il delitto del diavolo) beweist als Lieblingstochter des Gottes der Unterwelt, dass sie in jede Rolle schlüpfen kann und dabei immer irgendwie majestätisch wirkt.

Neben den optischen Leckerbissen jeglicher Art gilt es noch zu erwähnen, dass der Maestro laut seinem Sohn Lamberto Bava sogar ein mehrgängiges Menu all’italiana in Form von traditionellen Gerichten wie Pasta und Polenta in diesen Film eingebaut oder, korrekt formuliert, eingekocht hat.
Es klingt schier unglaublich und dezent verrückt, aber so besagt es die Legende.
Für das Modell des Schiffes, mit dem Herkules und seine Amici über das Meer tuckern, soll Bava nämlich Pasta verwendet haben. Und bei der Szene, in der Theseus (Giorgio Ardisson, I lunghi cappelli della morte) an einem Seil über brodelndem Höllenschleim baumelt, wurde mehrmals rot beleuchteter blubbernder Polenta eingeblendet.


Mystische und ästhetische Bildsprache


Abseits allerlei skurriler und lustiger Begebenheiten gelang es dem Multitalent Bava, der nicht nur Spezialeffekte selbst kreierte, sondern auch versiert im Umgang mit Filmkameras war, auch in diesem Werk ikonische Szenen und Fotografien zu verewigen. Besonders der Moment, in dem sich der niederträchtige Lykos in einer unnatürlich geformten Blutlache spiegelt, dürfte Dario Argento beeindruckt und Eingang in die Bildsprache von "Profondo Rosso" gefunden haben.

Dank der qualitativ hochwertigen Veröffentlichung von Koch Media ist dieses kunterbunte sowie durch und durch ästhetische Kleinod endlich in voller Farbenpracht zu bewundern.
Der Kauf ist ein Muss für alle VerehrerInnen der visuellen Kunst und des visionären Filmschaffens Mario Bavas.



Foto: DVD vom Label Fantoma und Kinowelt VÖ




Foto: Die wunderschöne Koch VÖ (Blu Ray)