Dienstag, 18. November 2014

SHOCK (1977)














SCHOCK - Transfert - Suspence - Hypnos (ital. Alternativtitel)


Italien 1977
Regie: Mario Bava
DarstellerInnen: Daria Nicolodi, John Steiner, David Colin Jr., Ivan Rassimov, Nicola Salerno u.a.


Inhalt:
Dora Baldini zieht mit ihrem Gatten Bruno und ihrem Sohn Marco in ein Haus, mit dem für sie keine guten Erinnerungen verbunden sind. Dort hat sie nämlich gelebt, als ihr drogenabhängiger Mann (und zugleich Vater ihres Sohns) sich suizidierte.
Die junge Familie will nichtsdestotrotz einen Neustart wagen. Außerdem findet Bruno, von Beruf Pilot, die Nähe zum Flughafen ungemein praktisch. Da kann man schon mal über die dramatische Vorgeschichte des Domizils und seiner Bewohner hinwegsehen. Oder?


Der Sohnemann führt nichts Gutes im Schilde


Bruno versucht seine Frau zu beruhigen


Der Frieden im Hause Baldini währt natürlich nicht lange. Immerhin haben wir es mit einem Horrorfilm des großen italienischen Regisseurs Mario Bava zu tun. Naja, vielleicht nicht ganz und ausschließlich Mario Bava. Sein mit etwas weniger Talent gesegneter Sohn Lamberto Bava betont gerne in Interviews, dass er einige Szenen selbst drehte, um seinen müden Vater zu unterstützen.
Wie auch immer es wohl tatsächlich am Set zugegangen ist - "Shock" hat bedauernswerterweise nicht die visuelle Qualität und stimmungsvolle Atmosphäre eines Die toten Augen des Dr. Dracula oder Die drei Gesichter der Furcht.
Dem direkten Vergleich mit den genannten Werken hält "Shock" nicht stand. Das will aber nicht heißen, dass er kein guter Film ist. Einige Szenen sind besonders gruselig und erzeugen eine unheimliche Faszination. Gegenstände bewegen sich wie von Geisterhand, Schränke schieben sich vor Türen und eine Kinderschaukel führt ein gespenstisches Eigenleben. Mehrere kreativ inszenierte Kamerafahrten bzw. -einstellungen sowie gespenstische Klaviermusik und die Töne aus einer Spieluhr verdichten sich zu einer finsteren Atmosphäre. Leider wird die leise aufkeimende Schauer-Stimmung immer wieder durch die für meinen Geschmack zu hyperaktive Daria Nicolodi ("Profondo Rosso") unterbrochen.

Die Nicolodi-Show








Nicolodi spielt die Hauptfigur des Films, die am Rande des Wahnsinns stehende Dora, der die neue alte Umgebung ganz offensichtlich am Nervenkostüm rüttelt. Sie sieht ja bereits beim Einzug etwas ausgezehrt aus. Die Verletzungen, die sie sich nacheinander im und rund ums Haus zuzieht, lässt sie zunehmend ramponierter und angeschlagener erscheinen.
Je mehr das Grauen und ihre Visionen zunehmen, umso mehr steigert sich leider auch das grauenvolle over-acting Nicolodis. Dora wirft sich im Freien vor Angst gegen die Hausmauer (anstatt zu fliehen), schüttelt den Kopf in Headbanger-Manier herum, kreischt, jammert und verausgabt sich körperlich. Vielleicht ist die deutsche Synchro nicht ganz unbeteiligt daran, aber die Hysterie Doras strapaziert nicht nur meine Augen, sondern auch meine Ohren.

Der von mir geschätzte Schauspieler John Steiner (Verdammte, heilige Stadt) verkommt aufgrund der berufsbedingten Brunoschen Abwesenheitszeiten und seines im Vergleich zu seiner Filmpartnerin zurückhaltenderen Schauspiels zu einer etwas blassen Nebenfigur. Leider trifft dies auch auf den charismatischen Ivan Rassimov (Der Killer von Wien) zu, der in einer kleinen Nebenrolle als Psychiater auftritt.

"Mama! Ich muss dich töten!"

Marco zu seiner Mutter

Der damals sieben Jahre alte David Colin Jr. (Marco) liefert in "Shock" eine ähnlich gediegene Leistung wie in dem drei Jahre zuvor gedrehten amüsanten "Der Exorzist"-Verschnitt "Wer bist du?"
Er wirkt unheimlich, hinterlistig, fies und scheint von einer fremden Macht gelenkt zu werden.
Marco entwickelt eine Aversion gegen seine Mutter, die er offen zur Schau stellt und eine Eifersucht gegen seinen Ziehvater Bruno, die er hinterlistig und versteckt ausagiert.
Von heute auf morgen fällt er negativ auf durch sexualisiertes Verhalten und eigentümliche ritualartige Handlungen wie das Zerschneiden der mütterlichen Unterwäsche, Voodoo-Übungen für Anfänger mit einer Stoffpuppe, das Verwenden nicht kindgerechter Kraftausdrücke ("Mistschweine! Dreckschweine!") et cetera.

Die fortschreitende Entfremdung zwischen Mutter und Sohn, deren Beziehung einst sehr innig war, sowie die Alpträume und übernatürlichen Zwischenfälle im Haus treiben Dora langsam aber beständig in den Wahnsinn.
Träume und Ängste vermischen sich mit der Realität und niemand will Dora glauben und sie ernst nehmen. Spielt sich vielleicht alles nur in ihrem Kopf ab?
Des Rätsels Lösung erfahren wir am gelungenen Ende.

Leider konnten sich die beiden Bavas scheinbar nicht ganz festlegen, wer im Regiestuhl sitzt und leider wollte sich auch niemand eindeutig entscheiden, ob es ein klassischer Spukhaus-Film, ein Giallo oder ein Familiendrama sein soll. Trotz der etwas unausgegorenen grob zusammengeschusterten Genre-Mixtur verfügt der Film als Gesamtpaket über einen nicht zu verleugnenden Unterhaltungswert und glänzt durch besondere Spannungsmomente.
Als Fan des Italo-Kinos der Siebziger kommt man an "Shock" nicht vorbei.
Ich muss der Vollständigkeit halber noch erwähnen, dass er von Einigen gar als "einer der gruseligsten Horrorfilme aller Zeiten" bezeichnet wird. Deshalb solltet ihr euch von meinen Kritikpunkten nicht negativ beeinflussen lassen und einen Blick riskieren.




Foto: DFW-VÖ (aus Holland) und kleine Hartbox von '84