MILANO KALIBER 9
Italien 1971
Regie: Fernando Di Leo
DarstellerInnen: Darsteller: Gastone Moschin, Barbara Bouchet, Mario Adorf, Frank Wolff, Luigi Pistilli, Philippe Leroy, Lionel Stander u.a.
Inhalt
Ugo Piazza, der für einen Raubüberfall
zu vier Jahren Gefängnis verdonnert wurde, wird aufgrund guter
Führung vorzeitig entlassen.
Seine Freude darüber währt nicht
lange. Schon einige Meter vom Ausgang der Justizanstalt entfernt,
wird er vom unberechenbaren cholerischen Rocco und dessen Helfern
abgepasst.
Rocco ist überzeugt, dass Ugo seinem
mächtigen und einflussreichen Boss, genannt "Der Amerikaner"
vor einigen Jahren bei einer geplatzten Geldübergabe 300.000 Dollar
gestohlen hat.
Ugo bestreitet dies zwar vehement,
dennoch sind alle anderen vom Gegenteil überzeugt.
Um Ugo unter Kontrolle zu halten und
ihn daran zu hindern, das vermeintlich versteckte Geld
wiederzuerlangen, wird er von nun an von Rocco und seinen Männern
rund um die Uhr überwacht und gezwungen, für den Amerikaner zu
arbeiten.
Seine wiedergewonnene Freiheit hat
Ugo sich wohl anders vorgestellt.
Nicht nur seine Geduld, sondern auch
seine Loyalität gegenüber ehemaligen Freunden und seiner Geliebten
Nelly wird vom Amerikaner und seinen Schergen bis aufs Äußerste
strapaziert...
Hat Ugo das Geld tatsächlich gestohlen
und irgendwo versteckt? Wird er zum Spielball zwischen sich
bekämpfenden Gangstern oder schafft er es, sich noch einmal aus der
Affäre zu ziehen?
Um Eines gleich vorwegzunehmen: Milano
Kaliber 9 ist der unanfechtbare König des Poliziottesco respektive
des italienischen Gangsterfilms, ein Glanzstück des Genres.
Ein Film, bei dem man in den ersten
Minuten schon ganz in den Bann gezogen wird und alles andere
rundherum vergisst.
"Milano Kaliber 9" beginnt
mit einer Szene vor dem Mailänder Dom und zeigt die Methoden einer
organisierten Verbrecherbande bei Geldübergaben. Zugleich ist dies
der Einstieg in die Geschichte von Ugo Piazza (Gastone Moschin), der
sich bei dieser Aktion um 300.000 Dollar bereichert haben soll.
Diese ersten Szenen kommen beinahe
gänzlich ohne Dialoge aus, einzig die von Bacalov komponierte
Titelmelodie untermalt die Bilder und treibt die Handlung voran.
"Milano Kaliber 9" besticht nicht nur durch die exquisite Riege von SchauspielerInnen, sondern ergänzt diese zudem noch durch realistisch wirkende Nebendarsteller, die aussehen, als wären sie auf dem Mailänder Hauptbahnhof oder am römischen "Termini" gecastet worden.
"Milano Kaliber 9" besticht nicht nur durch die exquisite Riege von SchauspielerInnen, sondern ergänzt diese zudem noch durch realistisch wirkende Nebendarsteller, die aussehen, als wären sie auf dem Mailänder Hauptbahnhof oder am römischen "Termini" gecastet worden.
Solche Charaktergesichter sieht man in
modernen Produktionen kaum mehr.
Fernando Di Leo scheint für den ersten
Teil seiner "Milieu-Studie" durch die Wahl der Schauplätze
und DarstellerInnen zugunsten von Authentizität bewusst Elemente des
Neo-Realismus eingesetzt zu haben.
Besonders hervorzuheben ist Mario Adorf
in der Rolle des irren und brutalen Rocco.
Es ist erschreckend und unterhaltsam
zugleich, wenn Rocco wie von Sinnen durch die Kulissen wütet, andere
beleidigt, bedroht und (beinahe) umbringt.
Und wer den Film kennt, wird vermutlich
zustimmen, dass die Schlussszene, in der Rocco gänzlich neben sich
zu stehen scheint, an Intensität kaum zu überbieten ist und sich
unwiderruflich in die Gehirnwindungen brennt.
Derlei Kult-Szenen hat "Milano
Kaliber 9" en masse zu bieten.
Wie die schöne Barbara Bouchet in der
Rolle der durchtriebenen Nelly Bordon halb nackt in einem Nachtclub
auf dem Tisch tanzt, ist nur eine davon. Diese Sequenz ist nicht nur
ästhetisch inszeniert, sondern wurde auch mithilfe recht
ungewöhnlicher Kameraeinstellungen auf Zelluloid gebannt.
Luigi Pistilli spielt Kommissar Mercuri
(mit Betonung auf "u", nicht zu verwechseln mit "Mercury",
wie er in den deutschen Untertiteln genannt wird), der als neuer
Mitarbeiter des Polizeipostens von den radikalen Methoden und
Ansichten seines Kollegen (Frank Wolff) irritiert ist.
Er outet sich als Sympathisant der linken Szene und stiftet auf dem Revier immer wieder zu unterhaltsamen Grundsatzdiskussionen zum Thema Verbrecher und deren Motive an. (Siehe Zitat unten)
Er outet sich als Sympathisant der linken Szene und stiftet auf dem Revier immer wieder zu unterhaltsamen Grundsatzdiskussionen zum Thema Verbrecher und deren Motive an. (Siehe Zitat unten)
Philippe Leroy (ua. bekannt aus dem
stilvollen Italowestern Yankee) überzeugt als
Auftragskiller, der mit seinem blinden Vater, um den er sich rührend
kümmert, zusammenwohnt.
Und Gastone Moschin brilliert als Ugo
Piazza, der durch seine stoisch anmutende Mimik bis zuletzt eine
gewisse Ambivalenz hervorruft, da nicht klar ist, ob er das Geld
wirklich gestohlen hat oder unglücklicherweise als Sündenbock für
einen verpatzten Deal auserkoren wurde.
Der für jeden italienischen Genrefilm
dieser Zeit unverzichtbare Whiskey der Marke J&B wird natürlich
so oft wie möglich im Hintergrund, am Bildrand oder ganz prominent
in die Bildmitte gestellt.
Lieblingszitat - Dialog zwischen den
beiden unterschiedlichen Polizei-Kommissaren:
Mercuri: "Der Amerikaner" ist ein Ergebnis und nicht ein Auslöser, wie alle anderen Verbrecher auch Ergebnisse sind. Hören Sie?
Kollege: Ja, ja, ich höre.
Mercuri: Verstehen Sie mich?
Kollege: Nein, Sie reden wirres Zeug, aber fahren Sie fort (...)
Mercuri: "Der Amerikaner" ist ein Ergebnis und nicht ein Auslöser, wie alle anderen Verbrecher auch Ergebnisse sind. Hören Sie?
Kollege: Ja, ja, ich höre.
Mercuri: Verstehen Sie mich?
Kollege: Nein, Sie reden wirres Zeug, aber fahren Sie fort (...)
"Milano Kaliber 9" ist
exzellentes SchauspielerInnen-Kino, eine unterhaltsame und doch
ernsthafte und niveauvolle Milieu-Studie, die allerdings nie in
elitäre intellektuelle Gefilde abdriftet oder allzu heftig mit der
Moral-Keule schwingt.
Die deutsche Synchro lässt einige
Szenen leider ins Klamaukhafte abdriften, da wohl versucht wurde,
den Italienischen "Sing-Sang" und gewisse Betonungen
beinahe eins zu eins wiederzugeben. Aus diesem Grund wird dem
temperamentvollen Adorf selbst in Fankreisen zum Teil hoffnungsloses
overacting unterstellt.
Auch jene, die den Film bereits kennen, sollten ihn zumindest ein Mal in der OmU-Fassung ansehen - es könnte sich eine neue Welt auftun.
Auch jene, die den Film bereits kennen, sollten ihn zumindest ein Mal in der OmU-Fassung ansehen - es könnte sich eine neue Welt auftun.
Foto: Blu Ray von Raro Video (Crime Box), Koch Media und Raro Video Italien
Foto: BD von FilmArt