Sonntag, 15. September 2019

CUJO (1983)














CUJO

USA 1983
Regie: Lewis Teague
DarstellerInnen: Dee Wallace, Danny Pintauro, Daniel Hugh Kelly, Christopher Stone, Ed Lauter u.a.

Inhalt:
Donna Trenton fährt mit ihrem 6 Jahre alten Sohn Tad zu einer abgelegenen Farm, um dort ihr Auto reparieren zu lassen. Dummerweise verreckt die Karre auf dem Hof, zu allem Übel ist auch noch der Tank leer und der gutmütige Bernhardiner Cujo, der auf der Farm lebt, hat sich in eine geifernde Bestie verwandelt. Papa Trenton ist verreist, im Auto herrscht brütende Hitze und es ist weit und breit keine Rettung in Sicht...


Vic Trenton (Kelly) und Donna (Wallace) haben Probleme


Dramatische Belagerungssituation


"Cujo" gehört zu den besten Roman-Umsetzungen des unvergleichlichen nimmermüden Autors Stephen King und soll laut Regisseur Lewis Teague sogar den für gewöhnlich in Bezug auf Verfilmungen seiner Texte besonders kritischen "Meister des Grauens" zufrieden gestellt haben.
Obwohl im Gegensatz zum Gros der in den Anfängen des Schriftstellers entstandenen Geschichten hier keine übernatürlichen Kräfte oder Monster Ursache des Grauens sind, ist die Story über den tollwütigen Bernhardiner eine der fiesesten und düstersten aus Castle Rock.
Dies hat einerseits mit dem heftigen Ende zu tun (das man mit Einverständnis von King für den Film abänderte, weil man es dem Publikum nicht zumuten wollte) und andererseits mit Cujo selbst.


Wahrlich bemitleidenswert - Cujo (Darsteller unbekannt)


Jeder, der ein Herz für Hunde hat, muss einfach Mitleid empfinden mit diesem armen Tier, das einst ein treuherziger und liebenswürdiger Familienhund war und bei vollem Bewusstsein mitbekommt, wie er sich verändert. Er leidet unter seiner Erkrankung. Nach dem Biss der Fledermaus verkriecht er sich und versucht, den Kontakt mit Menschen zu vermeiden. Man sieht ihm regelrecht an, wie er mit sich ringt und wie ihm der Lärm, den seine Besitzer verursachen, an die Nieren geht. So kämpft er zuerst mit sich selbst, bevor er gegen alle anderen kämpft.
Bei der letzten Gelegenheit, in der er noch etwas Herr über sich zu sein scheint, wendet er sich traurig von dem kleinen Jungen, den er besonders gern hatte, ab, und trottet in den Nebel.
Diese Szene finde ich besonders berührend, weil sie im übertragenen Sinn auch irgendwie für das steht, was mit Cujos Bewusstsein passiert.
Im Buch finden sich auch einige herzerweichende Beschreibungen, in denen manche Vorgänge aus Cujos Sicht dargestellt werden wie zum Beispiel diese Zeilen:

"Vielleicht sollte man an dieser Stelle erwähnen, dass er immer versucht hatte, ein guter Hund zu sein. Er hatte versucht, alle Dinge zu tun, die sein MANN und seine FRAU und besonders sein JUNGE wünschten oder von ihm erwarteten. Er wäre für sie gestorben, wenn sie es verlangt hätten. Er hatte nie jemanden töten wollen..."

Tierhorrorfilme, bei denen die Bedrohung nicht von ohnedies eher negativ konnotierten Exemplaren wie beispielsweise Alligatoren, Haien, ekligen Insekten oder sonstigen Kreaturen ausgeht, sondern an sich niedliche und nette Affen (Link, der Butler oder "King Kong") oder knuddlige Bernhardiner ("Cujo") aus nachvollziehbaren Gründen (Link weiß, dass man ihn töten will, King Kong will die Frau beschützen, Cujo ist krank) morden, sind meist besonders dramatisch.
Sie sind komplexer und facettenreicher, bauen weniger auf simple Schwarz-Weiß-Malerei, Effekte und Action, sondern setzen bewusst auf Mitgefühl und emotionale Ambivalenz des Publikums in Bezug auf das bedauernswerte Tier.

Was den Film zu einem kleinen Juwel macht, sind neben der intelligent aufgebauten Story und den hervorragenden Ekel-Effekten (Cujos Fell mit farblich undefinierbarem zähflüssigen Schleim) die hervorragenden SchauspielerInnen.
Allen voran natürlich Dee Wallace als Donna Trenton ("E.T. – Der Außerirdische", "Critters – Sie sind da", "Lords of Salem") und Danny Pintauro in der Rolle des Sohnemanns Tad.
Danny dürfte jedem, der in den 90ern ab und zu ferngesehen hat, aus der Serie "Wer ist hier der Boss?" bekannt sein. Wenn er im Auto vor lauter Angst schreit und weint oder Krampfanfälle bekommt, ist das wirklich ganz großes Kino.
Daniel Hugh Kelly, den man vor allem aus der 80er Jahre Serie "Hardcastle und McCormick" kennt, ist nicht unbedingt der große Sympathieträger, aber immerhin ist dadurch auch irgendwie nachvollziehbar, dass Donna eine Außenbeziehung führt. Zwar nicht unbedingt mit dem etwas verwahrlosten und zu Gewaltausbrüchen neigenden Steve (Christopher Stone, der leider viel zu früh verstorbene Ehemann von Dee Wallace), aber es hat sich wohl den Umständen entsprechend so entwickelt.
Donna ist eine Frau, die den Zugang zu sich selbst zwischen Haushalt und Kindererziehung verloren hat. Reduziert auf ein überholtes Hausfrauenklischee wirkt sie im Trott des Alltags irgendwie unglücklich und melancholisch. Auch die Affäre mit Steve scheint ihr keine Freude zu bereiten, sondern sie eher noch weiter in Richtung Apathie und Depression zu drängen, weshalb Donna vermutlich auch den Entschluss fasst, Steve nicht mehr zu treffen.
Doch um ihre Ehe zu retten ist es vielleicht schon zu spät. Denn Ehemann Vic hat durch einen unglücklichen Zufall schon selbst herausgefunden, warum seine Angetraute manchmal so abwesend wirkt.
Erst als Donna um das Leben ihres Sohns Tad kämpft, befreit sie sich aus ihrer Lethargie und Emotionslosigkeit und wird zur Löwenmutter und kampfbereiten Amazone.

Die Entwicklung der Charaktere und alles, was nicht ausgesprochen wird, macht die erste Hälfte des Films (bevor Cujo so richtig am Rad dreht und die klaustrophobische Belagerungssituation im Mittelpunkt des Geschehens steht) aus.
Dabei beweist Regisseur Teague viel Feingefühl und ein gutes Gespür für die stimmige Umsetzung des Romans. Und neben den Maskenbildnern und dem Hundetrainer leisteten auch andere Crew-Mitglieder einen wichtigen Beitrag zu "Cujo".
Zum Beispiel Komponist Charles Bernstein, der uns auch den schönen Soundtrack von "Nightmare on Elm Street" bescherte und viele andere Filme aus dem Bereich Horror und Science Fiction musikalisch mitgestaltet hat.
Kameramann Jan de Bont gilt aus gutem Grund als einer der technisch brillantesten der Welt. Wem nicht nur ein interessantes Drehbuch und gute SchauspielerInnen, sondern auch kunstvolle Kamera Aufnahmen wichtig sind, wird nicht umhin kommen, "Cujo" als kleines Gesamtkunstwerk zu betrachten.

"Cujo", der nun endlich ungekürzt und in bester Qualität verfügbar ist, ist einer dieser großartigen Filme, der allerdings beim Publikum (zumindest im deutschsprachigen Raum) nie wirklich einen besonders hohen Stellenwert einnehmen konnte.
Eine Hypothese dazu ist, dass er für das Horror-Publikum zu wenig Effekte und Morde bietet und für manche auch etwas zu lange braucht, um in die Gänge zu kommen.
Ich kenne den Film und das Buch seit meiner frühen Kindheit und mochte "Cujo" seit Anbeginn meiner cineastischen Sozialisation.
Aber seitdem ich ihn nun auf der Leinwand im Schattenlichter Kino in gestochen scharfen Bildern erleben durfte, ist mir schlagartig klar geworden, wie groß dieser kleine Film in Wahrheit ist.




Foto: Eureka Blu Ray und die kanadische DVD von Maple Pictures




Foto: Der Roman von Stephen King



Montag, 2. September 2019

FACCIA A FACCIA (1967)














VON ANGESICHT ZU ANGESICHT
HALLELUJA - DER TEUFEL LÄSST EUCH GRÜSSEN (Kinotitel)

Italien, Spanien 1967
Regie: Sergio Sollima
DarstellerInnen: Tomas Milian, Gian Maria Volonté, William Berger, Jolanda Modio, Carole André, Nello Pazzafini, Gianni Rizzo u.a.


Inhalt:
Der Lehrer Brad Fletcher trifft auf den Verbrecher Solomon "Beauregard" Bennet und entwickelt sich vom Entführungsopfer zum skrupellosen Bandenführer. Als Beauregard erkennt, welchen schlafenden Hund er geweckt hat, ist es beinahe zu spät, um seine GefährtInnen und Freunde vor einem schlimmen Ende zu bewahren...


Beauregard Bennet (Milian)


Brad (oder Brett) Fletcher (Volonté)


Mit Tomas Milian in der Rolle des windigen "bauernschlauen" Bandenanführers Beauregard und Gian Maria Volonté als überheblicher und machthungriger Ex-Lehrer Brad (in den italienischen Credits "Brett") duellieren sich in diesem Western zwei der begabtesten und charismatischsten Darsteller, die Cinecittà zur Zeit seiner Hochblüte zur Verfügung standen.
Auch wenn Milians Perücke im Topfdeckel Look etwas befremdlich wirkt – so etwas auf dem Kopf herumzutragen und dennoch so ernsthaft und inbrünstig zu schauspielern, das muss ihm erst mal jemand nachmachen. Glücklicherweise hat man diesen maskenbildnerischen Faux-Pas nach ein paar Minuten schon akzeptiert. Beauregard sieht eben so aus.


Rinder Anni (André)


Immer noch besser als seine junge Freundin (Carole André) mit dem wohlklingenden Namen Rinder-Anni, deren Haupthaar an ein Monchhichi oder einen Kobold aus "Die Reise ins Labyrinth" erinnert.
Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Man könnte es auch so deuten, dass diese Haarteile der Kategorie Wischmop den einzig humorvollen Konterpart zu der tendenziell dramatischen und am Ende gar tragischen Erzählung bilden.

Sergio Sollimas zweiter Western ist wie bereits "Der Gehetzte der Sierra Madre" stark gekennzeichnet durch sein gehaltvolles Drehbuch und die im Vordergrund stehende Persönlichkeits-Metamorphose der beiden Protagonisten.
Professor Brad Fletcher, der aus gesundheitlichen Gründen seinen Lehrberuf an den Nagel hängt, hat es auf der Karriereleiter trotz ausreichend vorhandenem geistigem Potential nie weit gebracht. Dies macht ihm bzw. uns sein (ehemaliger) Vorgesetzter bereits in der ersten Filmszene unmissverständlich klar. Brad hat nämlich ein Problem. Er war Zeit seines Lebens immer ein Duckmäuserich, es mangelt ihm an Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen.
Dadurch, dass er von Beauregard zuerst als Opfer, dann als Helfer und schließlich als Freund auserkoren wird, wird Brads Ego gefüttert und enorm gestärkt.
Leider werden seine anerzogenen und erlernten moralischen Prinzipien durch Geltungsdrang und Allmachtsphantasien (vermutlich das Resultat zurückliegender unverarbeiteter Kränkungen) ersetzt.
Die Entwicklungsgeschichte Brads ist derer vieler mächtiger Männer bzw. Diktatoren gar nicht so unähnlich.
Vergangene persönliche Erfahrungen von Zurückweisung, Misserfolg und Kränkung werden leider allzu oft durch besondere Rücksichtslosigkeit, Grausamkeit und skrupellose Machtdemonstrationen kompensiert.

Während sich Professor Fletcher wichtige gesellschaftliche Werte wie Anstand, Freundschaft und Mitgefühl eher auf kognitiver Ebene angeeignet hat, dürfte Beauregard einen biographischen und emotionalen Zugang zu diesen Themen besitzen.
Das harte Leben und sein Umfeld haben ihn gelehrt, auf seinen Instinkt zu vertrauen. Die Gemeinschaft der Gesetzlosen, deren Anführer er ist, zollt ihm Respekt, weil er für sie nachvollziehbar handelt und immer authentisch ist.
Die kleine Rinder Anni bringt dies sehr pointiert zum Ausdruck als sie nach der Machtübernahme Brads den Vergleich zwischen ihm und Beauregard als Anführer zieht:
"Jetzt machst du die selben Dinge, die er gemacht hat. Aber es ekelt einen an, wenn du es tust!"

Sollima hat sich dieser Wandlung von Charakteren später in seinem grandiosen Die perfekte Erpressung abermals in sehr ähnlicher Form gewidmet. Die Protagonisten Vito Cipriani (Oliver Reed) und Milo Ruiz (Fabio Testi) sind ebenfalls sehr verschieden und ihr Verhältnis zueinander ähnlich gespalten wie das von Fletcher und Bennet.
Mein Fazit von Die perfekte Erpressung trifft daher haargenau auch auf "Von Angesicht zu Angesicht" zu: Sollima erzählt eine komplexe Geschichte, die das Schicksal zweier ganz unterschiedlicher Männer miteinander verwebt, ihre jeweilige Einstellung zum Leben aufgrund der Geschehnisse grundlegend verändert und die beiden Protagonisten am Ende auf brutale Art und Weise wieder auseinander dividiert.
Es gibt allerdings einen bedeutsamen und markanten Unterschied – Während Cipriani aus Verzweiflung und purer emotionalen Überforderung (seine Frau wird von Entführern festgehalten) Verbrechen begeht, sind Fletchers Beweggründe rein egozentrisch, seine Pläne durchzogen von (sadistischem) Kalkül.
Die Art von Sympathie und Mitgefühl, wie man sie für Vito Cipriani noch empfinden mag, wird bei Brad Fletcher durch sämtliche seiner Aktionen im Keim erstickt.

Interessant ist auch die eher wenig beachtete Rolle der Maria (Jolanda Modio, auch zu sehen in Casanova 70). Die Frau mit den schönen Augen und dem tiefgründigen Gesichtsausdruck, die mit dem Bandenmitglied Vance (Nello Pazzafini) liiert ist, nimmt sich Brad mit Gewalt.
Nach der Vergewaltigung zeigt sie sich an Fletchers Seite und schmiegt sich an ihn, während er mit Beaus Bande Pläne für den nächsten Überfall schmiedet.
Warum sie sich so verhält, wird nicht erklärt. Denkbar wäre, dass sie unter dem Stockholm Syndrom leidet bzw. dass sie ihm aus Angst vor weiterer Gewalt etwas vorspielt. Für Sollima bedurfte es augenscheinlich keiner näheren Beleuchtung des Dilemmas dieser Frau. Denn auch für Brad ist der Hintergrund für Marias Verhalten schließlich irrelevant. So lange alle seine Schachfiguren zu ihm aufsehen und Brad folgen, spielt es keine Rolle, was Maria und die anderen denken oder fühlen.
Wenn man sich mit Sergio Sollima etwas beschäftigt, kann man die chauvinistische Deutungs-Variante, die im Kino von damals keine Seltenheit darstellte (die Vergewaltigung hat ihr schlussendlich gefallen und dann hat sie sich eben verliebt), eigentlich ausschließen.


Charley Siringo (Berger)


Als ausgleichendes Element zwischen Beau und Brad, die mit der Wandlung vom Schreibtischtäter zum Verbrecher und vom Verbrecher zum Helden von einem Extrem ins andere fallen, kann die Rolle des Charley Siringo verstanden werden.
Letzterer wird vom österreichischen Schauspieler William Berger (bekannt u.a. für die "Sabata" Western) verkörpert und darf getrost als eine seiner hervorragendsten schauspielerischen Leistungen bezeichnet werden.
Siringo ist Angestellter des Detektivbüros Pinkerton (der Vorläufer des F.B.I.) und versucht durch listenreiches Taktieren das Vertrauen von Beau zu gewinnen. Er hat den Auftrag, die Wilde Horde (Beaus Bande) zu zerschlagen. Er ist zwar ein Mann des Gesetzes, folgt jedoch eigenen Regeln und wägt am Ende gründlich ab, welcher der beiden Schurken für die Gesellschaft das geringere Übel darstellt.
Siringo weiß, wo er steht und bleibt seinen Überzeugungen und seinen Moralvorstellungen treu. Etwas, was man weder von Bennet noch von Fletcher behaupten kann.

Kurz und gut: Auch wenn ich "Der Gehetzte der Sierra Madre" noch mehr schätze, bereitet es mir immer wieder aufs Neue Freude, "Von Angesicht zu Angesicht" über die Leinwand flackern zu lassen, diesen grandiosen Darstellern bei ihren Duellen (die beileibe nicht nur mit Pistolen und Gewehren ausgetragen werden) zuzusehen, die Landschaftsaufnahmen zu bewundern und die für den Film komponierte Melodie von Ennio Morricone zu hören.
Wem dabei nicht irgendwie warm ums Herz wird, dem wird die Welt des Western all' italiana wahrscheinlich für immer verschlossen bleiben.




Foto: Sergio Sollima Box von Koch Media und Explosive Media DVD