Sonntag, 22. Mai 2022

I CRUDELI (1967)


 







DIE GRAUSAMEN

Italien, Spanien 1967
Regie: Sergio Corbucci
DarstellerInnen: Joseph Cotten, Norma Bengell, Aldo Sambrell, Julián Mateos, Ángel Aranda, Gino Pernice, Claudia Gora u.a.

Inhalt:
Südstaaten Offizier Jonas Morrisson möchte seiner Armee einen Vorteil verschaffen und raubt mithilfe seiner drei Söhne einen Geldtransporter der Nordstaatler aus. Mit der Beute, die sie in einem Sarg verstecken, ziehen sie durch ein von Yankees besetztes Gebiet. Hilfe erhalten sie, wenn auch nicht ganz freiwillig, von der Profi-Pokerspielerin Claire, die vorgibt, den Sarg ihres toten Mannes auf ihre Ranch transportieren zu wollen. Der (angeblich) verblichene Gatte ist bei den Nordstaatlern jedoch kein Unbekannter, was zu einigen Schwierigkeiten und schließlich sogar zur Gefährdung des gesamten Plans führt…


Das fanatische Familienoberhaupt (Cotten)


Die Brüder schleppen den Sarg mit der Beute


Als ich vor Kurzem zum ersten Mal den Italowestern "Die Grausamen" gesehen habe, kam mir direkt der Dialog aus Quentin Tarantinos Film "Once upon a time in Hollywood" in den Sinn, in dem Regisseur Sergio Corbucci vom einflussreichen Filmproduzenten Schwarz (Al Pacino) als "(...)the second best director of Spaghetti Westerns in the whole wide world!" bezeichnet wird.
Dieser Aussage würde ich jedenfalls mit Sicherheit zustimmen. Immerhin hat uns Corbucci neben dem für das Italowesterngenre wegbereitenden "Django" auch brillante und stilprägende Filme wie Leichen pflastern seinen Weg oder "Mercenario - Der Gefürchtete" beschert.

Der eher wenig bekannte "I crudeli", für den niemand Geringerer als Meisterkomponist Ennio Morricone unter dem Pseudonym Leo Nichols den Soundtrack schuf, ist zwar auf der Ebene von Intensität, Dramatik und Tiefgründigkeit nicht auf der selben Stufe mit einem der oben genannten Titel. Dennoch würde ich "Die Grausamen" als einen durchgängig unterhaltsamen und flüssig erzählten Film bezeichnen.
Die Story rund um den fanatischen Colonel Morrisson (Joseph Cotten, u.a. bekannt aus Gangster sterben zweimal oder Baron Blood), der mit seinen Söhnen und der eher unfreiwillig involvierten und wenig motivierten Claire (Norma Bengell) auf seiner fanatischen Mission, den Südstaatlern Geld zu liefern, durch das Gebiet der Yankees reitet, plätschert vergnüglich vor sich hin und wird zu keiner Minute unnötig in die Länge gezogen. Ähnlich wie in Corbuccis "Laßt uns töten, Companeros" ist "Die Grausamen" gespickt mit originellen Ideen und die Hauptcharaktere tappen von einem Fettnäpfchen ins Nächste.

Etwas ungewöhnlich erscheint der Umstand, dass wir es bei diesem Italowestern mit vornehmlich unsympathischen und zweifelhaften Charakteren, die wenig Identifikationspotential besitzen, zu tun haben. Immerhin ist der Colonel auf der Seite der Südstaaten, also gegen die Abschaffung von Sklaverei. Zudem hat er mit seinen gewaltbereiten Söhnen nicht nur einen Überfall begangen, sondern auch kaltblütig gemordet und eine Frau genötigt, sie zu begleiten. Irgendwie ist das nach Außen hin stolze Familienoberhaupt der Morrissons beinahe eine tragische Gestalt, da er immer noch nicht wahrhaben will, dass der Krieg bereits verloren ist. Er hängt dem Irrglauben an, durch seine aussichtslose Mission das Ruder doch noch herumzureißen und den Lauf der Geschichte ändern zu können.
Nein, die Mitglieder der Familie Morrisson sind wahrlich keine sympathischen Gesellen. Sie sind in der Tat unnötig grausam und hinterlassen überall Spuren von Gewalt. Ehrgefühl ist für sie ein Fremdwort.
Der sowohl vor Dreck als auch Durchtriebenheit strotzende Familienverband wird durch die Profi Pokerspielerin Claire schließlich auf eine harte Probe gestellt. Die selbstbewusste und attraktive Lady lässt sich nicht so leicht einschüchtern und ist zum Leidwesen des Familienoberhaupts nicht so fügsam und beeinflussbar wie ihre (von ihm ermordete) Vorgängerin. Claire verteidigt ihre Prinzipien und ihr Flirt mit einem der Morrisson Jungs führt zu Eifersüchteleien zwischen den Cowboys.
Ihr geschicktester Schachzug bringt die Südstaatler Familie in arge Bedrängnis, da sie sich plötzlich inmitten eines Yankee Forts wiederfinden und ihre Kriegsbeute bei der ganzen Aktion beinahe verloren geht.
Allzu viel sollte man nicht verraten, denn das Drehbuch lebt zu einem beachtlichen Teil von Überraschungsmomenten und amüsanten Wendungen.


Die faszinierende Claire (Norma Bengell)


Die brasilianische Schauspielerin und Regisseurin Norma Bengell, die die mutige und intelligente Pokerspielerin Claire mimt, ist die eigentliche Heldin des Films. Wenn man weiß, dass Bengell sich ab den Siebziger Jahren in ihrem Heimatland für feministische Themen stark gemacht hat, könnte man den Rückschluss ziehen, dass sie das Drehbuch vorab nicht nur gründlich gelesen, sondern die Rolle auch ganz bewusst ausgewählt haben muss.
Entgegen den Western-Genreklischees spielt sie in "Die Grausamen" eine charakterstarke Frau, die sich nicht so leicht unterkriegen lässt und ihre Meinung trotz ihrer misslichen Lage unverhohlen vertritt.
Die Kostüme und Requisiten und auch die Nebendarsteller wirken heruntergekommen, durch und durch schmutzig und mit ihren ledergegerbten Gesichtern auch herrlich authentisch.
Claudio Gora, der laut Online Filmdatenbank in sage und schreibe 114 Filmen mitgewirkt hat und den man in Nebenrollen von Klassikern des italienischen Kinos wie Gefahr: Diabolik, Das Rätsel des silbernen Halbmonds oder Der Tollwütige zu sehen bekommt, hat eine kleine Rolle als Reverend ergattert. Ansonsten kommt der Film neben Joseph Cotten auch ganz ohne große Namen aus.

Glücklicherweise hat sich das für Qualität bekannte Label Koch Media diesem wunderbaren, wenngleich bis dato tendenziell übersehenen Italowestern angenommen und ihn (endlich) in einer Form veröffentlicht, die er verdient. Diese Blu Ray lohnt sich!




Foto:
Blu Ray von Koch Media