Samstag, 15. Februar 2014

QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO (1981)














DAS HAUS AN DER FRIEDHOFMAUER

Italien 1981
Regie: Lucio Fulci
DarstellerInnen: Catriona MacColl, Paolo Malco, Ania Pieroni, Giovanni Frezza, Carlo De Mejo, Dagmar Lassander u.a.


Inhalt
Wissenschaftler Norman zieht mit seiner Frau Lucy und seinem Sohn Bob von New York nach New Whitby in die Villa seines ehemaligen Professors, der dort offenbar seine Freundin ermordete und anschließend Selbstmord beging.
Er möchte Nachforschungen anstellen, warum der Professor sich umgebracht hat und dessen unvollendete Arbeit fortführen. Die hypernervöse Lucy ist gar nicht begeistert von dem abgelegenen alten Haus.
Besonders der verriegelte Keller versetzt sie in Angst. Die unheimlichen Ereignisse lassen nicht lange auf sich warten...


Ein Haus wie ein düsteres Gemälde



Das Grauen lauert überall...


Vor einigen Jahren schrieb einmal ein Freund, der (genauso wie ich) ein großer Verehrer dieser Filme ist:
"Lucio Fulci schenkte uns vier heilige Evangelien."

Diese Werke, die der von seiner Filmcrew als exzentrisch und cholerisch betitelte Römer Lucio Fulci in der Zeit von 1979 bis 1981 drehte, werden in Fankreisen auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch angebetet.
Von wahrscheinlich einer größeren Fraktion aber nicht verstanden, belächelt oder gar verschmäht.
"Haus an der Friedhofmauer" wird unter Splatterfans und Horror-Nerds meist als der schwächste Film der "fulcischen" Splatter-Ära (dazu gehören noch Woodoo - Schreckensinsel der Zombies, Ein Zombie hing am Glockenseil und Über dem Jenseits) bezeichnet und hat im Vergleich mit den anderen erwähnten Titeln kaum glühende Verehrer.

Einen Zugang zu Fulcis Meisterwerken und im Speziellen zu " Das Haus an der Friedhofmauer", bekommt man grundsätzlich nicht über den Kopf, sondern über das Herz. Entweder man kann sich einlassen auf die emotionale Verstrickung mit dem Film und setzt sich den Bildern ungefiltert aus oder man sucht nach den häufig zitierten "Logiklöchern" und unbeantworteten Fragen.
In beiden Fällen wird man ein beachtliches Ergebnis erzielen.

Unlängst musste ich amüsiert feststellen, dass es einem (wohl kopflastigen) Kritiker in der ofdb nicht zu blöd war, neben zahlreichen von ihm aufgedeckten "Ungereimtheiten" auch noch zu bemängeln, dass das Haus ja nicht einmal an einer Friedhofsmauer steht, ergo: sogar der Titel falsch ist.
Liebe Leute, im Originaltitel "Quella villa accanto al cimitero" ist ja auch nicht die Rede von einer Mauer...
Aber manche haben scheinbar eine Mauer vor dem Kopf, wenn es um diesen Film geht.

"Das Haus..." ist eindeutig der poetischste und mystischste Film Fulcis.
Die alte Villa neben den verfallen Grabsteinen im Nebel, die mysteriöse rothaarige Mae, die beizeiten aus dem Nichts auftaucht, um Bob telepathisch zu warnen und die sich immer wieder wie von Geisterhand öffnende Kellertüre sorgen für stimmungsvollen Grusel im Stil von gotischen Schauerromanen.

Die Geschichte wird eher langsam erzählt. Bewusst wurde in vielen Einstellungen auf scharfe Schnitte verzichtet und stattdessen Überblendungen, Unschärfen und Zooms als Stilmittel gewählt.
Besonders schön inszeniert ist zum Beispiel die Szene am Beginn der Erzählung, in der der kleine Bob vor dem alten Foto des Hauses sitzt und seiner Mutter berichtet, dass da ein Mädchen ist, das ihn vor dem bevorstehenden Umzug warnt.
Die Kamera bleibt während des Gesprächs in derselben Position. Je nachdem, wer gerade spricht, wird entweder Lucy oder Bob fokussiert und der jeweilig andere bleibt im Bild unscharf.

Es ist tatsächlich so, dass am Ende viele Fragen offen bleiben. Einzelne Handlungsstränge und so manche Dialoge laufen ins Leere. Die Mehrdeutigkeit der Geschichte lässt einigen Interpretationsspielraum zu. Gerade dies macht den besonderen Reiz von "Haus an der Friedhofmauer" aus.
Fulcis symbolische Bildsprache und subtile Andeutungen erzeugen eine traumartige Atmosphäre, die zwar von den für den Regisseur typischen derben Splatterszenen stilistisch etwas unterbrochen, aber am "schönen" Ende des Films wieder konsequent aufgenommen wird.
Was bei Dario Argento (der nie müde wurde zu betonen, in seinen Filmen seine Alpträume zu verarbeiten) als Geniestreich hingestellt und wofür er fanatisch verehrt wird, soll bei Fulci Stümperei sein?

Gesplattert wird selbstverständlich auch.
Ganz in Fulci-Manier werden Köpfe abgetrennt oder Messer von hinten mit solcher Wucht durch Schädel gejagt, dass die Klinge vorne aus dem Mund wieder austritt.
Abgetrennte Körperteile und ausgehöhlte Leichen dürfen natürlich nicht fehlen und die vom morbiden Lucio allzu gerne verwendeten Maden haben wieder ihren großen Moment. Nicht zu vergessen: viel, viel Blut.
Bis auf die adipöse Fledermaus, die sich auf dem Handrücken von Norman festbeißt, und deren Unförmigkeit wohl dem Budget geschuldet war, sind die Effekte von Meister Giannetto de Rossi (verantwortlich u.a. für die Effekte bei Woodoo, die stylischen Zombies in Das Leichenhaus der lebenden Toten oder gar "High Tension") auf gewohnt hohem künstlerischen Niveau.

Besonders der ausgemergelte, kaum mehr als Mensch zu identifizierende Dr. Freudstein wirkt imposant. Er erinnert in seiner Gestalt sehr an das "Monster" in Das Schloss des Grauens (1963).
In Letztgenanntem treibt, vereinfacht formuliert, ebenfalls ein alter vergammelter Mann sein Unwesen in einem Keller. Es finden sich des Weiteren inhaltliche und stilistische Parallelen zu Filmen wie "Amityville" und Kubricks "Shining".
Die legendäre Szene, in der Norman versucht, seinen Sohn zu retten und diesen mit der Axt beinahe selbst schnetzelt, kommt in ähnlicher Form auch bei der "Sarg-Befreiungsszene" in Ein Zombie hing am Glockenseil vor. Und der Fledermaus-Angriff dürfte Fans von Fulcis herausragenden Giallo Una lucertola con la pelle di donna Erinnerungen an Florinda Bolkan in der Kirche wecken.
Der Soundtrack passt perfekt zur immer wieder vorherrschenden melancholischen und mystischen Grundstimmung des Films.

Am besten gefällt mir persönlich das Bild der CMV-Fassung, da die Farbgebung dort besonders intensiv ausfällt und einige Szenen beinahe aussehen, als hätte Mario Bava sie ausgeleuchtet.
Leider geht bei der deutschen Synchro inhaltlich Einiges an Substanz verloren.
Ganz misslungen ist das Ende, in dem Mary Freudstein auf Deutsch sinngemäß so einen banalen Satz wie "Jetzt sind wir alle glücklich" sagt, auf Englisch in Wahrheit aber das zukünftige Schicksal eines neuen erbarmungswürdigen Mieters ankündigt.
Während die deutsche Synchro von Ein Zombie hing am Glockenseil mit ihren markanten Sprüchen stellenweise zum Niederknien komisch und selbst zum Kult geworden ist ("Ich schmeiß mich mal schnell in den Wagen."), ist die Synchronisation bei "Das Haus..." leider nur mäßig gelungen.

Lucy (besorgt): "Wir finden vielleicht ein anderes Haus. Ich meine, ist es so wichtig in diesem Haus zu wohnen? Es kann doch nicht normal sein, in einem Haus zu wohnen, das eine Gruft als Fußboden hat."
Norman: "Nicht normal, aber auch nicht dramatisch. Da kommen ja keine Leichen raus."


Ein Schauer-Splatter-Märchen, das uns im besten Fall für 82 Minuten zu Traumwandlern werden lässt, im schlechtesten Fall schlichtweg frustriert.
Was gilt für euch?





Foto: LP VÖ, Astro, NoShame IT, CMV, XT Video Blu Ray, Blue Underground Blu Ray




Foto: 4K Abtastung von Blue Underground




Foto: UHD VÖ von Blue Underground




Foto: In dieser Creepy Images Ausgabe ist der deutsche Kinoaushangsatz abgebildet




Foto: Soundtrack





Foto: CMV Soundtrack




Freitag, 14. Februar 2014

NIGHTBREED (1990)














CABAL - DIE BRUT DER NACHT

USA 1990
Regie: Clive Barker
DarstellerInnen: Craig Sheffer, Anne Bobby, David Cronenberg, Charles Haid, Doug Bradley u.a.


Inhalt
Aaron Boone hat einen immer wiederkehrenden Traum: er befindet sich darin an einem mysteriösen Ort namens Midian. Ein Ort, an dem Monster und andere Kreaturen leben.
Boone weiß, dass an diesem Ort alle Sünden vergeben werden und spürt tief in seinem Inneren, dass er genau dort hingehört. Eines Tages erfährt er von seinem Psychiater Decker, dass er für eine sadistische Mordserie verantwortlich sein soll. Boone, der sehr labil ist und sich aufgrund belastender unheimlicher und grausiger Träume schon länger in psychiatrischer Behandlung befindet, hat keine Erinnerung an die angeblich von ihm begangenen Gräueltaten. Kein Wunder - diese hat in Wahrheit Decker begangen, dem es gelingt, die Polizei zu täuschen und auf die Fährte von Boone zu setzen.
Boone gelangt auf seiner Flucht endlich ans Ziel seiner Träume. Doch er hat nicht mit Decker gerechnet, der nicht nur den Tod Boones möchte, sondern auch plant, Midian und all die dort lebenden Kreaturen, die für ihn unerträgliche Abartigkeiten der Natur sind, zu zerstören. Decker und die Polizei sind Boone dicht auf den Fersen und schließlich kommt es zum erbitterten Krieg zwischen Menschen und Monstern ...  






"Everything is true.
God's an Astronaut.
Oz is over the Rainbow,
and Midian is where the monsters live."
Peloquin


"Cabal - Die Brut der Nacht" basiert auf einer nicht einmal ganz 200 Seiten umfassenden Kurzgeschichte von Clive Barker und ist ein Film, der im Vergleich zu "Hellraiser" nur eine kleine Fangemeinde zu haben scheint. In den meisten Nachschlagewerken über Horrorfilme wird "Cabal" entweder nur stiefmütterlich behandelt oder gar nicht erst erwähnt.

Barkers zweiter Spielfilm nach "Hellraiser" ist trotz Einmischung und massiver Kürzungen seitens des Produktionsstudios Morgan Creek Productions ein episch anmutendes Werk voller morbider Ästhetik und Tiefgründigkeit.
Midian, eine Stadt unterhalb eines alten Friedhofs, mitten im Nirgendwo, ist ein Rückzugsort für die von der Gesellschaft Unerwünschten und Verbannten: Freaks, Monster, Gestaltwandler, Magier und andere Kreaturen der Nacht (The Nightbreed, The Tribes of the Moon).

Jahrhundertelang wurden sie von den Menschen geächtet, gefürchtet, verfolgt, gequält und hingerichtet.
Nun gibt es nur noch wenige von Ihnen. Sie haben sich für einen Rückzug aus der Gesellschaft entschlossen und Midian ist ihre selbstgewählte Heimat.
Sowohl der obere Teil von Midian (ein verwitterter, moosbewachsener Friedhof mit alten Gruften und halb verfallenen Grabsteinen) als auch der untere Teil der geheimnisvollen Stadt (eine Art Höhlensystem) sind bis ins Detail atemberaubend schön gestaltet.
Umso schmerzlicher ist es, ansehen zu müssen, wie Decker und die örtliche Polizei dieses friedvolle Refugium heimsuchen und es mit unglaublicher Brutalität zerstören.
Maskenbildner Bob Keen hat exzellente Arbeit geleistet. Diversen Quellen ist zu entnehmen, dass für "Cabal" an die dreihundert Monster entworfen wurden. Leider haben nicht alle künstlerisch gestalteten Kreaturen im Film Platz gefunden.

Der Regisseur David Cronenberg (u.a. Die Brut, Die Fliege) spielt den Psychiater Boones, der außerhalb der Arbeitszeit ungeniert seiner Mordlust frönt. Er erwies sich als Top-Besetzung für die Rolle des Dr. Decker. Cronenberg strahlt nicht nur durch sein Äußeres, sondern auch durch die Intonation seiner Stimme eine intensive Bedrohlichkeit aus. Seine verbale Ausdrucksweise wirkt genauso glatt und kalt wie das Skalpell, mit dem er seine Opfer vorzugsweise tötet.

Cabal ist ein Film, der trotz der ein oder anderen Gore-Szene einen eher leisen, sanften Horror versprüht und für mich ist er schlichtweg eine Hommage an morbide Ästhetik. Die Grundstimmung wird durch den intensiven, aber unaufdringlichen Soundtrack von Danny Elfman zusätzlich verstärkt.
Für mich ist die Geschichte aufgrund der behandelten Themen besonders faszinierend. Boone verkörpert das tiefgreifende Gefühl der Einsamkeit inmitten von anderen Menschen, das Außenseitertum, die Sehnsucht nach einem Ort der Akzeptanz trotz gefühlter oder tatsächlicher Andersartigkeit.
Als der "Krieg" in Midian ausbricht, wird sichtbar, wer die vermeintlichen (die, die sich Nightbreed nennen) und wer die tatsächlichen Monster (die, die sich Menschen nennen) sind. Auf welcher Seite würdet ihr gerne kämpfen?

"Cabal" ist ein schauriges Märchen für Erwachsene, ein melancholisch-düsteres Gemälde, eine Parabel von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit  (nicht nur im eigentlichen Sinn) und eine zynische Karikatur der sogenannten zivilisierten Gesellschaft.
Zur Ergänzung und um eine bessere Vorstellung von der Geschichte zu bekommen, empfiehlt es sich, die Romanvorlage zu lesen.

Der in den USA erschienene Cabal-Cut wurde um 45 Minuten an Film-Material ergänzt.
Aufgrund der veränderten Fassung und der Kürzung einiger bisher enthaltenen Szenen, wirkt die Geschichte um die "Tribes of the Moon" wesentlich runder und kommt der literarischen Vorlage eindeutig näher als der bisher bekannte Cut. Für Letzteren wurden auf Anweisung des Studios Morgan Creek Produktion zusätzliche Szenen gedreht und der formelle Schwerpunkt des Films mehr auf "Slasher" und "Horror" festgelegt.


"But the monsters were forever.
Part of her forbidden self.
Her dark, transforming midnight self.
She longed to be numbered among them."

aus Clive Barker's Buch "Cabal"





Foto: U.S. DVD von Warner




Foto: Die empfehlenswerte auf 10.000 Stück limitierte Box von Scream Factory




Foto: Barkers literarische Vorlage (sollte in keinem ordentlichen Haushalt fehlen)



Dienstag, 11. Februar 2014

BUCHTIPP: Dickie, John: "Cosa Nostra: Die Geschichte der Mafia"














Wer sich für die Geschichte der sizilianischen Mafia, ihre Rituale und Kodizes, den berühmten prefetto di ferro, die Antimafia oder die Verbindungen zwischen italienischer und amerikanischer Mafia interessiert, sollte dieses Buch lesen.

Der amerikanische Historiker und Journalist John Dickie beschreibt nicht nur die Anfänge und Ursprünge dieser kriminellen Organisation, sondern räumt auch mit gängigen Vorurteilen und romantisierten Vorstellungen über die Cosa Nostra auf.
Ich war der Meinung, bereits Einiges über dieses Thema zu wissen, wurde aber durch die Lektüre dieses Buches eines Besseren belehrt.
Die Mafia verstand es seit Anbeginn ihrer Existenz, sich geschickt zu präsentieren und prägte dadurch nicht nur in Italien jahrzehntelang ein falsches öffentliches Bild über diese kriminelle Vereinigung, die sowohl in ihrer Skrupellosigkeit als auch in Punkto professioneller hierarchischer Organisation die 'Ndrangheta und Camorra in den Schatten zu stellen vermag.

Dickie trägt in seinem Buch akribisch dokumentierte Aussagen von Zeitzeugen, gerichtliche Aussagen von pentiti (so werden die Mafia-Mitglieder genannt, die bei der Polizei bzw. vor Gericht aussagen) und andere Informationen zusammen und entwirft so ein plastisches Bild der Cosa Nostra.
Dabei ist ihm ein kleines Meisterstück gelungen, weil er auf abgehobene und trockene Formulierungen verzichtet und das Buch sich zu weiten Teilen wie ein spannender Kriminalroman liest.
Sein Schreibstil ist so fesselnd, dass man sich immer wieder vor Augen halten muss, dass es sich bei den Schilderungen um reale Ereignisse handelt und der Autor über fundierte geschichtliche Kenntnisse verfügt.

Ein heißer Tipp, nicht nur für Poliziottesco-Fans.

Montag, 10. Februar 2014

IL SUO NOME FACEMA TREMARE... INTERPOL IN ALLARME (1973)














LA PISTOLA - THE GUN

Frankreich, Italien 1973
Regie: Michele Lupo
DarstellerInnen: Lee van Cleef, Tony Lo Bianco, Edwige Fenech, Adolfo Lastretti, Nello Pazzafini, Romano Puppo, Fausto Tozzi u.a.


Inhalt
Nachdem einige seiner Männer von einem rivalisierenden Mafia-Clan ermordet wurden, reist der berüchtigte und gefürchtete Frankie "Dio" Diomede zwecks vendetta persönlich von Amerika nach Italien.
Doch seine Pläne werden vom gegnerischen Boss Annunziata mehr als ein Mal vereitelt und Dios Leute liegen schon bald unter der Erde oder sind auf die andere Seite übergelaufen.
Dummerweise sitzt Dio nun auch noch im Gefängnis fest.
Der Einzige, der ihn aus seiner misslichen Lage befreien möchte und durchgeknallt genug ist, den vom Thron gestoßenen Boss noch zu unterstützen, ist sein fanatischer und etwas zurückgebliebener Fan Tony.
In Ermangelung anderer Optionen greift Dio auf die Unterstützung Tonys zurück. Und so begibt sich das ungleiche Gespann auf einen Rachefeldzug...






In den ersten Szenen stellt man sich auf einen beinharten und brutalen Mafia-Film ein.
Doch spätestens mit dem Auftreten der Figur des Fanboys Tony wird man gezwungen, gedanklich innezuhalten und seine Erwartungshaltung etwas zu modifizieren.
Tony ist nämlich nicht mehr ganz jung, zieht sich lächerlich an und benimmt sich wie ein 14- jähriger Teenager, was die Verehrung seines Idols Diomede angeht.
Er spricht nicht nur ständig von dem Mafia-Boss oder versucht, ihn zu imitieren. Es ist ihm nicht einmal zu peinlich, ein riesiges Dio-Poster in seiner Küche aufzuhängen.
Auch seine "Annäherungsversuche" an sein Vorbild wirken absolut wie eine unbeholfen-kindliche Schwärmerei.
Das Ganze wird dann story-technisch noch unbegreiflicher, weil er für Dio sogar seine Freundin (gespielt von der schönsten Frau der Siebziger: Edwige Fenech) sitzen lässt.
Also wirklich! Wenn man die Fenech daheim hat, rennt man doch keinem abgehalfterten Gangsterboss nach...
Nun gut. Wenn man sich an den Charakter des Tony gewöhnt hat, macht der Film wirklich Laune.

"La Pistola" ist durchgängig unterhaltsam. Nicht nur wegen dem stoisch wirkenden Lee van Cleef  in der Rolle des Dio (der Charakter des Gangsters ist ähnlich angelegt wie in Der Tod ritt dienstags), sondern auch wegen seinen skurrilen Wendungen und den Auftritten unserer Genre-Helden.
Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob mir Romano Puppo mit seiner Elvis Presley-Sonnenbrille im rosaroten Anzug oder Nello Pazzafini im schwarzen Netzhemd besser gefallen hat.

Der Film ist in machen Szenen etwas brutal und die ein oder andere Wendung tragisch, aber im Grunde genommen nimmt er sich selbst überhaupt nicht ernst.
Dio und Tony klauen einen Lastwagen, der mit Ölkanistern beladen ist, und versuchen so, über die italienisch-französische Grenze (Annunziata hält sich in Marseille auf) zu kommen.
Hierauf folgt eine Verfolgungsjagd, bei der immer wieder Polizisten mit ihren Autos die Straße blockieren, sich davor stellen und verzweifelt winken, um Dio zum Anhalten zu bewegen, bevor sie schließlich in letzter Minute zur Seite springen.
Die französische Polizei versucht ebenso erfolglos, das ungleiche Gespann aufzuhalten und ruft dann jedes Mal kurz vor einem Beinahe-Zusammenstoß noch "mon dieu!"
Ein paar "mon dieus" und ein in der Mitte zerteiltes Polizeiauto später kapern die Flüchtigen ein Boot und entkommen so doch noch den Fängen der Gesetzeshüter.
Das Finale in der Fischfabrik kann vom Actiongehalt her schon fast mit einem Castellari-Film mithalten.
Sehr schön ist der Soundtrack vom leider kürzlich verstorbenen Riz Ortolani, der sich so schnell einprägt, dass manche Leute (die sich an dieser Stelle auch angesprochen fühlen dürfen) meinen, ihn schon woanders gehört zu haben...

"La Pistola" ist ein ironisch-humoriger Poliziottesco, der bestimmt nicht bei allen Genre-Fans gut ankommt, mir aber wirklich viel Spaß gemacht hat.



Sonntag, 9. Februar 2014

I GUAPPI (1974)














DIE RACHE DER CAMORRA

Italien 1974
Regie: Pasquale Squitieri
DarstellerInnen: Franco Nero, Claudia Cardinale, Fabio Testi, Lina Polito, Raymond Pellegrin, Gengher Gatti u.a.

Inhalt
Der Neapolitaner Nicola Bellizi zieht nach einem Aufenthalt im Zuchthaus zurück in seine Heimatstadt.
Das ärmliche Stadtviertel, in dem er ein Zimmer mietet, wird beherrscht von Camorra-Mitglied Don Gaetano. Er bestimmt über das Schicksal der Menschen, darüber wer mit wem Handel treibt, ob jemand ein Geschäft aufmacht und erteilt sogar unter Vorgabe klarer Rahmenbedingungen Rachegenehmigungen für gehörnte Ehemänner.
Zwischen Nicola und Gaetano entwickelt sich eine Freundschaft. Nicola, der im Sinn hat, Anwalt zu werden und gesetzestreu zu sein, tritt auf Empfehlung von Gaetano der Vereinigung der Camorra bei.
Dass deren Freundschaft sowie die Mitgliedschaft in den eigenen Reihen zu Problemen führen könnte und sie bald um ihr Leben fürchten müssen, ahnen die Männer zu diesem Zeitpunkt noch nicht...


Gaetano


Nicola beim Messerkampf


Der eher wenig bekannte, 1938 in Neapel geborene Pasquale Squitieri, versuchte sich nach seiner journalistischen Tätigkeit bei einer Tageszeitung als Regisseur sozialkritischer Filme.
Er erlangte nie den Erfolg seiner zur Blütezeit des italienischen Kinos zu Ruhm gekommenen Kollegen, schuf aber ein paar sehenswerte Leinwandleckerbissen.
Einen davon möchte ich euch speziell nahelegen, nämlich "Die Rache der Camorra".

Franco Nero (in der Rolle des aufstrebenden Rechtsanwalts Bellizi), Fabio Testi (als Camorra-Anhänger Don Gaetano) und Claudia Cardinale (Freundin von Gaetano) in einem Film! Sind diese klingenden Namen nicht schon Anlass genug, sich den Streifen genauer anzusehen?
Wem tönt beim Klang von Franco Neros Namen nicht die Titelmelodie von "Keoma" in den Ohren, wer denkt nicht gleich an den zornigen Nero, wie er in Ein Bürger setzt sich zur Wehr den Weg des Rebellen einschlägt?
Wem kommen bei Fabio Testi nicht der geniale Poliziottesco Revolver oder der actionreiche Exploitationer "Racket" in den Sinn?
Und wer gerät beim Anblick der großen italienischen Filmdiva Claudia Cardinale nicht ins Schwärmen?

Genau diese drei Darsteller sind es auch, von denen der Film über weite Strecken lebt. Durch ihr ausdrucksstarkes Schauspiel und ihre Leinwandpräsenz tragen sie die Handlung von einer Szene zur nächsten, ohne dass bei dem immerhin mehr als zweistündigen Historiendrama Langeweile aufkommt.

"Die Rache der Camorra" spielt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zu der Zeit, als sich die Camorra im südlichen Italien stärker formierte, um ihre eigenen Gesetze und Machtstrukturen als Gegenentwurf zum nicht wirksamen staatlichen Gefüge zu implementieren.
Die Menschen im ländlichen Neapel waren arm, die Kinder ständig hungrig und ohne Zukunftsperspektive.
Für sie gab es nur eine einzige Schule: das Leben. Viele begannen schon früh, sich mit kleinen Diebstählen und Trickbetrügereien über Wasser zu halten. In diesem Milieu ist auch Nicola aufgewachsen. Er möchte allerdings ausbrechen, hat lesen und schreiben gelernt und mit dem Jura-Studium begonnen. Eines Tages wird ihm bewusst, dass er es mit seiner Herkunft und seinem chronischen Geldmangel nicht so einfach schaffen wird, sein Berufsziel zu verwirklichen.
Da kommt ihm Don Gaetano mit seinen Kontakten zu den obersten Rängen der Camorra gerade recht.

Don Gaetano hält sich streng an die Vorgaben und Kodizes der Camorra. Für ihn gab es nie eine gedankliche Alternative zum Leben als Krimineller. Insgeheim bewundert er Nicola für seine ehrgeizigen Pläne.
Seine alte Feindschaft mit dem ehrgeizigen Kommissar Aiossa wird nicht nur ihm, sondern auch seiner Geliebten Lucia Esposito zum Verhängnis. Beide haben in erster Linie nur eines zu verlieren, nämlich ihre Ehre, ihr Ansehen. Und Aiossa ist bereit, alles daran zu setzen, den beiden zu schaden.

Die Handlung des Films ist etwas komplexer und melodramatischer als man es von den sonst eher actionlastigen Poliziottesci gewohnt ist.
Statt wilden Schießereien bekommt man denkwürdige, einprägsam choreographierte Szenen mit Rasiermesserkämpfen, Peitschen und Fäusten von unvergleichlicher Eleganz geboten.
Für mich ist der Film in erster Linie die Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Männern und die Liebe zwischen Gaetano und Lucia. Dabei geht es primär um die ganz basalen Themen wie Treue und Verrat.
Zudem ist er ein politischer Film. Über die machtlose Regierung, die überforderten "Männer des Gesetzes" (Polizei, Richter und Anwälte) und die Strukturen der Mafia. Über die Beweggründe und Motive, die Schicksale hinter den vermeintlichen "Verbrechern", den Werdegang vom Straßenkind zum Handlanger des organisierten Verbrechens.

"Vor dem Gesetz sind alle gleich" steht an der Wand im Gerichtssaal hinter dem Sessel des Richters. Doch stimmt das wirklich? Hat ein Kind, das in diesem Milieu aufwächst, eine realistische Chance abseits des Lebens als guappo (Bandit)?
Die überaus authentische Darstellung des Lebens in Neapel ist Squitieri mehr als gelungen.
Sowohl die Drehorte als auch die übrigen Mimen und deren Kostüme wirken lebensnah. Wer einen Faible für Kostümfilme hat und sich dafür interessiert, wie die Mafia in Neapel entstanden ist sowie welche Denkmuster und gesellschaftlichen Verhältnisse Nährboden für den Ausbau der Camorra geboten haben, ist mit diesem Film bestens bedient.

In einer selten gesehenen Tiefgründigkeit bekommt man einen Blick hinter die Kulissen der onorata società (die ehrenwerte Gesellschaft, also die Mafia) und lernt die Bedeutung der omertà (das Gesetz des Schweigens) kennen.
Nach dem überaus tragischen Ende der Geschichte rund um Gaetano, Lucia und Nicola schwenkt die Kamera von der Schlussszene im Gericht und dem Gang zum Gefängnis in die (damalige) Gegenwart, sprich: in ein neapolitanisches Gefängnis zur Zeit der Siebziger Jahre.
Und man hat nach diesem Film beinahe das Gefühl, die dort inhaftierten jungen Männer zu kennen.
Es hat sich nur ihre Kleidung etwas verändert, aber mit dem neu gewonnen geschulten Blick ist klar erkennbar, was Squitieri uns damit sagen wollte.

"Die Rache der Camorra" ist ein besonders gelungener Film über die Anfänge des organisierten Verbrechens in Neapel mit drei der besten Schauspieler, die Italien in den Siebzigern zu bieten hatte, einem wiederkehrenden berührenden Score und Originalschauplätzen in Neapel.
Aufgrund der gemächlichen Erzählweise ist "Die Rache der Camorra" wohl auch bei Genrefans eher unbekannt, aber ganz bestimmt einen Blick wert.




Foto: schönes Digipack von Koch Media



Freitag, 7. Februar 2014

FANGO BOLLENTE (1975)














DIE GRAUSAMEN DREI


Italien 1975
Regie:Vittorio Salerno
Darsteller: Joe Dallesandro, Enrico Maria Salerno, Salvatore Borghese, Martine Brochard, Luigi Casellato, Claudio Nicastro, Gengher Gatti ua.

Inhalt
Der verschlossene Ovidio arbeitet tagsüber in einer Computerfirma, nach Feierabend zieht er mit seinen beiden Lieblings-Arbeitskollegen um die Häuser.
Um der Monotonie des Arbeitslebens in der Freizeit etwas entgegenzusetzen, lässt sich Ovidio immer gewagtere Aktionen einfallen: von Unruhe stiften in einem voll besetzen Stadion über rasante Fahrten mit geklauten Autos bis hin zu... Mord!
Anfänglich selbst etwas entsetzt über die Tat, scheint es Ovidio und seine Kollegen erst richtig auf den Geschmack zu bringen und die Gewaltexzesse des Trios werden immer durchdachter und sadistischer. Sie fühlen sich auf der sicheren Seite, denn die Polizei hat keine Anhaltspunkte, wer hinter den brutalen Taten stecken könnte. Während der zuständige Kommissar bezüglich der Täterschaft im Dunkeln tappt und auf die üblichen Verdächtigen (Einwanderer, Zuhälter, Kleinkriminelle) tippt, kommt Kommissar Santagà mit seinen eigenmächtigen Ermittlungen der Wahrheit immer näher...


Lässt nicht locker - Kommissar Santagà (Salerno)


Teuflisch und durchtrieben: Ovidio (Dallessandro)


"Fango Bollente" ist ein Titel, den sich Poliziottesco-LiebhaberInnen merken sollten!
Der Film aus dem Jahr 1975 wartet nicht nur durch interessante Darsteller (Enrico Maria Salerno wieder einmal in seiner Paraderolle als Kommissar und Joe Dallesandro als Bösewicht), sondern auch durch eine intelligente Geschichte und einen absolut kultverdächtigen Prog-Rock-Soundtrack auf.

"Fango Bollente" reiht sich neben Filmen wie "Die blutigen Spiele der Reichen", Bewaffnet und gefährlich und "I ragazzi della Roma violenta" ein in die handvoll Poliziotteschi, die sich mit der Thematik des "Thrill Kill" beschäftigen. Hierbei handelt es sich meist um Jugendliche oder junge Erwachsene aus der Mittel- oder Oberschicht, die ohne erkennbares Motiv morden.
Sie tun es mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie eine Packung Zigaretten kaufen oder sich ihre Zeit in Straßencafés vertreiben. Ohne darüber nachzudenken. Einfach, weil es möglich ist.
Vielleicht, weil ihnen das Leben ansonsten nichts Attraktives zu versprechen scheint. Genau weiß man es nicht.
Ovidio redet zwar in einer Szene davon, die Monotonie des Alltags durchbrechen zu wollen, aber eine handfeste Begründung für die grausamen Tötungen liefert keiner der drei.
Interpretationsansätze auf gesellschaftlicher Ebene werden zwar angedeutet, erscheinen aber beunruhigenderweise nicht ausreichend und zu eindimensional für ein logisches Deutungsmuster.

Die genannten Filme, die alle ungefähr im selben Zeitraum entstanden sind, waren vielleicht eine Art der kollektiven Aufarbeitung für die italienische Zivilbevölkerung. Angeblich sollen die Geschichten auf einer wahren Begebenheit beruhen.
In den 70ern fand nahe Rom eine Entführung von zwei jungen Frauen statt, die vergewaltigt und grausam getötet wurden. Die Täter waren eine Gruppe Jugendlicher aus reichem Hause, denen ihre (einfluss-) reichen Eltern schließlich zur Flucht verhalfen und die so der römischen Justiz entgehen konnten.

"Fango Bollente" ist trotz der Thematik und einiger expliziter Szenen kein oberflächliches Exploitationkino, sondern ein psychologisches Drama, das sein Erzähltempo von Szene zu Szene kontinuierlich steigert.
Besonders faszinierend sind die Dialoge zwischen Kommissar Santagà und Ovidio, der aus seiner Verachtung gegenüber der Polizei und deren Vertreter keinen Hehl macht.
Trotz Ovidios oberflächlicher Freundlichkeit strahlt er eine starke subversive Aggression aus, mit der sein Gegenüber "columboesk" spielt.
Die beiden liefern wirklich eine grandiose Show.

Familiäre Verhältnisse und Hintergründe der Protagonisten werden beleuchtet, ohne plakativ zu wirken oder Erklärungen für ihr Verhalten zu liefern.
In solchen und einigen anderen Zwischensequenzen blitzt ein charmanter Humor durch, der gekonnt platziert ist und weder ins "Comedia all'Italiana-Niveau", noch ins Trashige abdriftet.
Zum Glück, weil alles andere die beunruhigende Atmosphäre von Perspektivlosigkeit und Nihilismus unweigerlich zerstören würde.

"Fango Bollente" ist ein Film, der Seinesgleichen sucht und der seinerseits von Vielen vergeblich gesucht wird.
Im September 2011 ist diese Genreperle in Italien zwar auf DVD erschienen, jedoch um etliche Szenen gekürzt, um nicht zu sagen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Wie war das nochmal mit den "Wünschen ans Universum"?
Also liebe Leserinnen und Leser...
Schließt jetzt bitte die Augen und wünscht euch ganz fest eine hübsche DVD von einem deutschen Label oder zumindest irgendeine VÖ mit italienischer Tonspur und englischen Untertiteln.
Gemeinsam können wir es schaffen!

UPDATE 14.09.2017 - Ein Wunsch wird wahr
Das Label Camera Obscura hat diese Genreperle in einer Bildqualität, die mir die Tränen in die Augen treibt, in voller Pracht veröffentlicht. Danke hierfür!




Foto: DVD von 01 Distribution




Foto: Eintrittskarte für "Fango Bollente" beim dritten Terza Visione Festival




Foto: BD von Camera Obscura



I GIORNI DELL'IRA (1967)














DER TOD RITT DIENSTAGS

Deutschland, Italien 1967
Regie: Tonino Valerii
DarstellerInnen: Lee van Cleef, Giuliano Gemma, Walter Rilla, Christa Linder, Yvonne Sanson u.a.

Inhalt
Scott gehört zu den Außenseitern in der Stadt Clifton. Als Kind einer Prostituierten und eines unbekannten Vaters, aufgezogen im örtlichen Freudenhaus, rangiert er ganz weit unten auf der Beliebtheitsskala. Er scheint gerade mal gut genug zu sein für Latrinendienst und Straßenreinigung.
Einzig sein Freund Murphy behandelt ihn respektvoll, von den anderen wird Scott nur gedemütigt.
Als eines Tages ein mysteriöser, Respekt einflößender Fremder namens Frank Talby in der Stadt auftaucht und Scott positive Aufmerksamkeit angedeihen lässt, beschließt Letzterer, sein bisheriges Leben aufzugeben und sich an die Fersen von Talby zu heften (er reitet ihm auf seinem Maultier hinterher). Talby nimmt Scott unter seine Fittiche und unterweist seinen eifrigen Schüler in der Kunst des Schießens. Als die beiden in Scotts Herkunftsstadt zurückkehren, um sie zu beherrschen, lässt Scott seinem angestauten Frust über die frühere Behandlung durch seine Peiniger freien Lauf. Doch nach einiger Zeit kommen ihm Zweifel auf an der Aufrichtigkeit Talbys. Sein alter Freund Murphy versucht, Scott vor Talby zu warnen.
Wird Scott die Freundschaft zu Murphy verleugnen und auf der Seite von Talby sogar gegen seinen früheren Freund kämpfen?


Charismatisch: Lee van Cleef


Scott Mary bekommt wieder einmal Prügel


"Der Tod ritt dienstags" ist ein hervorragender Italowestern mit dem grandiosen Lee van Cleef in der Rolle des brutalen und durchtriebenen Frank Talby.

Der Originaltitel "I giorni dell 'ira" bzw. der ins Englische übersetzte Titel "Day of Anger" beschreibt das zentrale Thema des Films bestens.
Scott, der sein Leben lang von der Bevölkerung Cliftons mit Füßen getreten wurde (und das nicht nur im übertragenen Sinn), kommt endlich in die Position, respektiert bzw. gefürchtet zu werden und allen anderen deren bisherige Geringschätzung ihm gegenüber heimzahlen zu können.
Sein Idol Talby, den er kritiklos vergöttert, hat ihn gelehrt wie man sich durch Gewalt Respekt verschafft. Der naive Scott kostet die neugewonnene Macht vollends aus.

Ähnlich wie in Von Angesicht zu Angesicht ist das eigentliche Kernstück der Geschichte die Beziehung zwischen Lehrer (van Cleef) und Schüler (Gemma). Auch die Transformation einer Persönlichkeit und die Verschiebung ihres Wertesystems durch neu gewonnene Macht sowie der dadurch verbundene Aufstieg in der Hierarchie der Gesellschaft wird eindrücklich dargestellt.
Doch Scott verliert sich selbst nie ganz. Er hat sich einen Funken Menschlichkeit bewahrt und kommt in einen Gewissenskonflikt, als er sich zwischen seinem früheren Freund Murphy und seinem Vorbild und Meister Talby entscheiden muss.

Giuliano Gemma... Böse Zungen (wie die der Autorin dieses Blogs) behaupten, der Name sei ein Garant für Langeweile. In der Tat ist er allerdings eine gute Besetzung für die Rolle des naiven Scott, der von seinem Vorbild geblendet vom Weg abkommt und schließlich auf die harte Tour lernen muss, dass Gewalt keine Lösung ist.

Die tragische Story unseres Antihelden ist hübsch verpackt im Gewand eines staubigen, spannenden und actiongeladenen Italowestern.
Tonino Valerii (ua. verantwortlich für "My dear killer" und Der Gorilla begleicht die Rechnung) hat mit "Der Tod ritt dienstags" einen Italowestern der obersten Liga geschaffen.
Der Film funktioniert nicht nur auf der psychologischen Ebene, sondern auch auf der Unterhaltungsschiene perfekt.
Wir bekommen alles geboten, was unser italophiles Herz begehrt: einen einprägsamen Score von Riz Ortolani, coole Dialoge, Schießereien und Duelle mit besonderem Schauwert, charismatische Darsteller mit zerfurchten und von der Sonne gegerbten Gesichtern, eine gehörigen Portion Staub und Blut sowie westerntypische Landschaftsaufnahmen.

Kurz und gut: "Der Tod ritt dienstags" ist ein Bilderbuch-Italowestern mit allen Elementen, die wir am Genre lieben und dem unvergleichlichen, unvergesslichen Lee van Cleef, der nicht nur eine imposante Erscheinung war, sondern auch mit seinen Blicken den Whiskey im Glas gefrieren lassen konnte.

Lieblingszitat: "Talby (nachdem er im Streit einen Bargast erschossen hat) zu Scott:
"Trink aus, Scott Mary. Ich trinke nicht gern, wo Tote rumliegen."

Das Bild der Kinowelt-DVD ist leicht unscharf, weswegen man schon etwas genauer hinsehen muss, um beispielsweise Romano Puppo in einer Barszene erkennen zu können und der Film ist dialog-gekürzt. Schade, da Valerii und Ernesto Gastaldi sehr viel Wert auf das Drehbuch und die Charakterisierung der Hauptfiguren gelegt haben. Glücklicherweise hat das Label Filmjuwelen im Frühjahr 2018 eine Veröffentlichung von wunderbarer Bildqualität auf den Markt gebracht. Ein Neukauf lohnt sich hier also definitiv.




Foto: DVD vom Label Kinowelt




Foto: Blu Ray von Filmjuwelen




Montag, 3. Februar 2014

LA LEGGE VIOLENTA DELLA SQUADRA ANTICRIMINE (1976)














DIE KILLER DER APOKALYPSE

Italien 1976
Regie: Stelvio Massi
DarstellerInnen: John Saxon, Renzo Palmer, Rosanna Fratello, Lino Capolicchio, Lee J. Cobb u.a.

Inhalt
Schauplatz Bari (Apulien): Polizeikommissar Jacovella liefert sich eine Privatfehde mit dem Journalisten Maselli.
Der junge und noch recht unerfahrene Gangster Antonio Blasi erschießt bei einem Geldtransporter-Überfall einen Polizisten. Während der Flucht klaut er ausgerechnet das Auto eines mächtigen Mafia-Mitglieds und gelangt so (in Form eines Schriftstücks mit pikantem Inhalt) zu Informationen, die nicht nur der Mafia, sondern auch einem hochrangigen Politiker gefährlich werden können.
Und auch der desillusionierte Polizist Jacovella ist eher bekannt für einen "nervösen Finger" am Abzug als dafür, kriminelle Individuen dem Richter vorzuführen.
Ist das Blasis Todesurteil?






Ein interessanter und sehenswerter Poliziottesco mit einem John Saxon, wie er mir eindeutig am besten gefällt: in der Rolle eines Polizisten.
Egal ob in Jessy - Die Treppe in den Tod, "Nightmare on Elm Street" oder hier - der breitschultrige und südländisch aussehende Saxon macht als gewissenhafter Gesetzeshüter einfach eine gute Figur.
Der Film beginnt mit einer enttäuschenden Niederlage Jacovellas. Er hat einen Mord im Mafia-Milieu aufgeklärt und der Hauptangeklagte, Mitglied des berüchtigten Ragusa-Clans, wird am Ende in allen Punkten freigesprochen.
Der Grund dafür ist (wie man es von realen Mafia-Prozessen kennt), dass die wichtigsten Zeugen aufgrund von Bedrohungen vor dem Kadi plötzlich alle bisher getätigten Aussagen widerrufen und nichts gesehen haben wollen.

Ein harter Schlag für den engagierten Jacovella.
Journalist Maselli (sympathisch wie immer: Renzo Palmer) trägt mit seinen Negativ-Schlagzeilen über Jacovella auch nicht gerade zur Verbesserung seiner Stimmung bei.
Maselli hängt der Überzeugung an, dass die Polizei, insbesondere Jacovella, unethisch handelt, auf Gesetze pfeift und wegen der Unkontrollierbarkeit ihrer Handlungen eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.
Bei jedem Polizeieinsatz, bei dem ein Delinquent umkommt, unterstellt Maselli der Exekutive niedrige Rache-Instinkte und das vordergründige Motiv der Selbstjustiz.

Völlig geblendet von seiner persönlichen Wahrheit handelt Maselli in der irrigen Annahme, Gutes zu tun und den jungen Verbrecher (vor der Polizei) zu beschützen, als er den Namen und das Foto von Antonio Blasi (Lino Capolicchio) veröffentlicht.
Immerhin ist dieser als Polizisten-Mörder in höchster Gefahr. Wie so oft bewährt sich hier das Sprichwort "Das Gegenteil von 'gut' ist 'gut gemeint'.
Durch seine Aktion bringt er nun nämlich auch die Mafia auf die Fährte des Mannes.
Bis zum Schluss unterschätzt Maselli die Gefahr und sieht einzig und allein Jacovella als potentiellen Mörder von Blasi.

Der Poliziottesco von Stelvio Massi ist im Vergleich zu seinen ansonsten sehr actionlastigen Werken eher ruhiger und nachdenklicher.
Ich würde sogar so weit gehen und ihn als Polizei-bzw. Mafia-Drama bezeichnen.
Klar gibt es einige Szenen, in der mit der Darstellung von Gewalt nicht gerade gegeizt wird, aber alles in allem dümpelt die Geschichte etwas gemächlicher dahin, als man es von Massi gewohnt ist.

Zur Zeit seines Erscheinens kam "La legge violenta della squadra anticrimine" bei der italienischen Presse mehr schlecht als recht weg.
Vermutlich war die Rolle der Medien als machtvolle und von eigenen Vorstellungen verblendete Stimmungsmacher nicht gerade unwesentlich für die schlechten Kritiken.
Man kann dem Film durchaus ankreiden, dass er nicht besonders innovativ und im Grunde genommen in seiner Darstellung relativ oberflächlich ist.
Aber er greift die üblichen Hauptthematiken vieler Poliziotteschi charmant auf und muss sich, was den Unterhaltungswert betrifft, nicht vor anderen Genre-Filmen verstecken.
Besonders die Figur des Kommissar Jacovella wirkt wie eine gelungene Mischung zwischen ultrahartem Bullen à la Maurizio Merli und rechtschaffenem, aber missverstandenen Kommissar Bertone (Salerno in Das Syndikat).

Sehr lobenswert ist übrigens auch der Soundtrack, der in einigen Szenen nicht dominiert, sondern seine Wirkung auf angenehme Weise dezent im Hintergrund entfaltet.
Der Titelsong "Amare senza mai pensare" (und die Küstenbilder) lässt das Herz von Italien-LiebhaberInnen um einige Takte höher schlagen.


Einen kleinen Bildvergleich mit zwei Screenshots aus dem Film und Fotos von mir gibt es hier


Liebe Leserinnen und Leser, lasst uns auf eine deutschsprachige digitale Veröffentlichung hoffen!




Foto: DVD von Cecchi Gori




Foto: Blu Ray vom Label Cineploit



Sonntag, 2. Februar 2014

SPECIAL: TATORT MAILAND

Als großer Fan von Filmen wie Die Banditen von Mailand, Milano Kaliber 9, Der Mafiaboss, Der Berserker, Bewaffnet und gefährlichNote 7 - Die Jungen der Gewalt und Das Grauen kam aus dem Nebel ist ein Besuch in Milano natürlich Pflicht.
Fast jedes Jahr verbringe ich zumindest einen Tag dort.

Letztes Jahr im Mai sind ein paar nette Fotos entstanden, die ich euch nicht vorenthalten möchte:


Der Mailänder Dom, vor dem der "Taubenspucker" einst wartete


Die berühmte "Galleria Vittorio Emanuele II"


"Ripa di Porta Ticinese", wo sich einst Adorf und Co.
wilde Verfolgungsjagden lieferten.


Milano verde


Dieser Platz dürfte Genre-Fans ebenfalls bekannt sein


Castello Sforzesco


Da schaut die Micky Maus :)

Samstag, 1. Februar 2014

BANDITI A MILANO (1968)














DIE BANDITEN VON MAILAND

Italien 1968
Regie: Carlo Lizzani
DarstellerInnen: Tomas Milian, Gian Maria Volontè, Don Backy, Ray Lovelock, Peter Martell, Margaret Lee u.a.

Inhalt
Mailand Ende der 60er Jahre. Die Kriminalitätsrate scheint kontinuierlich zu steigen und die zunehmende Brutalität der "neuen", besser organisierten und auf Ehrenkodizes (ja, das ist tatsächlich der Plural von "Kodex") pfeifenden Ganoven wird sogar von der älteren Generation Krimineller kritisiert.
Ein Verbrechertrio (später gesellt sich noch ein weiterer Verbündeter dazu) hat sich zum Ziel gesetzt, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld durch Banküberfälle zu verdienen.
Während die Polizei bei der Jagd nach den Bankräubern immer ein paar Schritte hinterherhinkt, wähnen sich die Schurken in Sicherheit und schmieden immer waghalsigere Pläne.
Besonders der charismatische und etwas selbstverliebte Piero, der Kopf der Bande, scheint vom bisherigen Erfolg angespornt nun alles auf eine Karte setzen zu wollen, um den großen Coup zu landen...






Der zu Beginn aufgrund der als Stilmittel eingesetzten Dokumentarfilm-Erzählweise etwas hektisch und uninspiriert wirkende "Banditi a Milano" entwickelt sich spätestens nach dem ersten Auftritt Pieros (Gian Maria Volontè) zu einem mitreißenden und geradlinigen Film, der sich nicht so einfach in irgendeine Genre-Schublade pressen lässt.
Vorläufer des italienischen Polizeifilms, Gangsterfilm, Sozialdrama oder Milieu- bzw. Charakterstudie oder doch eine Mischung aus allem?
Geht man von der Theorie aus, dass unsere allseits beliebten und oft diskutierten Genre-Schubladen in erster Linie eine Orientierungshilfe geben sollen, ob Film XY ins persönliche "Beuteschema" fällt oder nicht, kann man "Die Banditen von Mailand" getrost dem Poliziottesco zuordnen.

Allein schon wegen der Besetzung sollten Fans des italienischen Kinos der Siebziger Jahre heiße Ohren bekommen: Tomas Milian als junger Kommissar, Gian Maria Volontè als narzisstischer und vom Traum nach Reichtum besessener Anführer der Gangster, "Babyface" Ray Lovelock in der Rolle des etwas ängstlichen Tuccio als Neuzugang der Bande.
In Nebenrollen klingende Namen wie Peter Martell, Margaret Lee und Agostina Belli.
Welchem Italo-Fan und welcher Genre-Liebhaberin lassen diese Namen nicht das Herz höher schlagen?

Die für den Titel namensgebenden "Banditen" sind am sozialen Rand der Gesellschaft stehende Männer, die wohl aus unterschiedlichen Gründen daran gescheitert sind, sich eine gut-bürgerliche Existenz aufzubauen.
Es sind in der Gesellschaft zu kurz Gekommene, die sich nach dem vermeintlichen Segen des finanziellen Reichtums sehnen und in Ermangelung von alternativen Lebensperspektiven ihre Talente in kriminelle Machenschaften investieren.
Vor allem am Charakter des Piero (Volontè, intensiv wie immer) wird deutlich, wie sehr er sich eigentlich wünscht, ein respektables und anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein.
Er geht dabei sogar so weit, eine Scheinfirma zu gründen und sich in Anzug und Krawatte als seriöser Geschäftsmann zu verkaufen.

Seine Bedürfnis nach Anerkennung ist so ausgeprägt, dass er einen Brief an die Presse schickt, in dem er weitere Banküberfälle ankündigt und Details preisgibt.
Seine Briefe werden tatsächlich abgedruckt und Cavallero freut sich wie ein kleines Kind, in den Schlagzeilen erwähnt zu werden:
"Lest euch mal durch was da steht! (vorlesend:) Diese Zeilen hat ein geistig hochstehender und kultivierter Mensch geschrieben..." 

Dennoch sollen die Verbrechen der Bande nicht entschuldigt oder beschönigt werden. Der Film zeichnet ein klares und realistisches Bild von der Gewaltbereitschaft der Täter und deren Auswirkungen auf die unschuldige Bevölkerung.
Auch vor Mord an einfachen Passanten schrecken die Bankräuber nicht zurück...
Es geht in "Banditi a Milano" vor allem um die dezenten politischen und sozialkritischen Untertöne.

Lieblingszitat (Gangsterkollege zu Piero beim ersten Besuch in der neuen "Firma"):
"Das darf doch alles nicht wahr sein. Ein Büro, ne Sekretärin. Eine supermoderne Einrichtung, die einen Haufen Geld kostet. Warum versuchen wir nicht gleich, ob wir nicht mit ehrlicher Arbeit zu was kommen?"

Mit einem gewissen Grundverständnis für die italienische Kultur und Mentalität ausgestattete Filmbegeisterte werden bestimmt ihre Freude an dem feinen aber leider raren Zelluloid-Produkt haben (und müssen auf eine Ausstrahlung im Pay-TV oder eine DVD-Veröffentlichung hoffen).
Wer sich actiongeladenes "Hau-Drauf-Kino" à la Maurizio Merli erwartet, wird enttäuscht sein.