JESSY – DIE TREPPE IN DEN TOD
Kanada 1974
Regie: Bob Clark
DarstellerInnen: Olivia Hussey, Keir
Dullea, Margot Kidder, John Saxon, Marian Waldman, Andrea Martin,
Doug McGrath, Art Hindle u.a.
Inhalt:
Junge Frauen in einem Studentinnenwohnheim werden von einem obszönen Anrufer belästigt. Dennoch
wollen sie sich vom Feiern nicht abhalten lassen – immerhin ist gerade Weihnachtszeit.
Kurz vor ihrer Abreise in die Heimat
verschwindet ausgerechnet die brave Clare spurlos. Gemeinsam mit ihrem Vater,
der angereist ist, um das Töchterchen abzuholen, machen sich die
Studentinnen auf die Suche nach der Vermissten. Die Polizei ist dabei anfänglich keine
große Hilfe, bis Lt. Fuller den Fall übernimmt.
Doch als ZuschauerIn weiß man bereits
von Beginn an, welches furchtbare Schicksal das verschwundene Mädchen
ereilt hat und in welcher Gefahr die anderen Studentinnen schweben.
Der Killer ist nämlich in ihrem Haus...
Jessy am Telefon |
Weihnachten hat sich Clare wohl anders vorgestellt |
Vier Jahre bevor mit John Carpenters "Halloween" das offizielle Slasher-Zeitalter eingeläutet wurde, schuf der
kanadische Regisseur Bob Clark ein Genre-Meisterwerk, das bis heute
im Vergleich zu anderen Filmen seiner Art immer noch zu wenig
gehuldigt wird.
Während dieses Kleinod von Film im
deutschsprachigen Raum unter dem erbärmlich belanglosen Titel "Jessy
– Die Treppe in den Tod" in den Videotheken Staub ansetzte, hat dieser frühe Genrefilm jedoch über die folgenden Jahrzehnte
aufgrund von Veröffentlichungen (und eines Remakes) den wohlverdienten
Popularitätszuwachs erfahren.
"Black Christmas" ist meiner
Meinung nach der düsterste aller Slasher. Nicht nur wegen der abartig-unheimlichen Stimme am Telefon oder weil es kaum
Tageslicht-Szenen gibt, sondern auch wegen der besonders grausamen
Inszenierung der Morde.
Natürlich gibt es Filme, die in der
Gewaltdarstellung drastischer sind. Aber warum "Black Christmas" auf psychologischer Ebene so gut funktioniert, hat neben der im Haus lauernden Gefahr auch mit
dem Thema Weihnachten zu tun.
Die Morde geschehen zur Zeit des Fests
der Liebe in bester Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre. Während im
unteren Stock eine kleine Bescherung stattfindet und "Frohe
Weihnachten" gerufen wird, wird im oberen Stock des Hauses die bemitleidenswerte Clare qualvoll erstickt. In der Sequenz, in der Jessy vor der Tür dem Kinderchor lauscht, wird zur selben Zeit ihre Mitbewohnerin mit einer spitzen Glasfigur malträtiert.
Die Morde sind so inszeniert, dass die unerquickliche Kombination von Weihnachtskitsch und Brutalität durch schnelles Hin- und Herblenden zwischen den parallelen Ereignissen so richtig zur Geltung kommt.
Auf diese Weise werden beim Publikum Koppelungen zwischen physischer Gewalt und weihnachtlicher Stimmung erzeugt. Gruselig.
Die Morde sind so inszeniert, dass die unerquickliche Kombination von Weihnachtskitsch und Brutalität durch schnelles Hin- und Herblenden zwischen den parallelen Ereignissen so richtig zur Geltung kommt.
Auf diese Weise werden beim Publikum Koppelungen zwischen physischer Gewalt und weihnachtlicher Stimmung erzeugt. Gruselig.
Trotz festlicher Beleuchtung unheimlich |
Das Haus, in dem die jungen Frauen
wohnen, ist weihnachtlich beleuchtet. Die Außenaufnahmen wirken
dennoch bedrohlich und düster. Meist wird die gesamte Fassade
gezeigt, also auch die Tote, die dort auf einem Schaukelstuhl drapiert auf ewige Zeit verdammt ist zum Fenster hinauszusehen...
Die Stimmung im Film ist genau so kalt,
trist und grimmig wie der kanadische Winter.
Ein weiterer geschickter Schachzug des
Drehbuchautors und Regisseurs ist, neben der permanent vorhandenen
Bedrohungssituation im Haus, die Tatsache, dass man den Killer kein
einziges Mal zu Gesicht bekommt. Man sieht die Morde und andere Aktivitäten aus der Ego-Perspektive des Wahnsinnigen und abgesehen davon nur seinen Schatten, den Umriss und ein Mal ein Auge.
Dies ist wohl auch der Grund, warum
einige Menschen das Ende nicht begreifen. Bob Clark hat einmal in
einem Interview gesagt, dass er den Film aus heutiger Sicht bezüglich
Auflösung noch eindeutiger machen würde.
Die besonders verstörend wirkende Anruferstimme hat der Film kreativen und sorgfältig arbeitenden Meistern der Tontechnik zu verdanken, die mithilfe von Überlagerung mehrerer Stimmen
und anderen Effekten eine besondere Intensität zu erzeugen wussten.
Was in „Black Christmas“ zudem
hervorsticht, ist die Wahl der musikalischen Untermalung, genauer
gesagt der dissonanten Klänge, die aus einem zerstörten Klavier entstammen.
Die braven Mädchen retten die Welt, die unartigen müssen sterben – ein feministischer Exkurs
Eines der Gebote im Slasher Universum
besagt, dass die Mädchen, die sich angemessen verhalten (sprich:
nicht saufen, nicht fluchen, auf Drogen und Sex verzichten)
diejenigen sind, die (am längsten) überleben werden.
Nicht nur das brave Babysittermädchen
Laurie in "Halloween", sondern auch die niedliche Heldin Nancy in "Nightmare on Elm Street" sind tugendhafte keusche Töchter. Ein
Vorbild für die verrohte Jugend, quasi der fleischgewordene Traum
puritanischer Eltern.
Auf die Spitze getrieben wird dieser
Slasher-Verhaltenskodex in Cravens vor Ironie strotzendem "Scream –
Schrei!". Die Rolle der weiblichen Genre-Darstellerinnen ist in vielen Filmen vorrangig die des "Kanonenfutters". Schöne
Leichen sollen sie abgeben und möglichst laut und dramatisch in die
Kamera kreischen.
Während ich auf ein Übermaß an
weiblicher Hysterie schnell genervt reagiere, ergötzt sich das
männliche Publikum eher an den stimmgewaltigen
Schauspielerinnnen. Die sogenannten Scream-Queens gelten als Kult. Es gehört natürlich zum Horrorfilm wie der Topf zum
Deckel, dass Klischees bedient werden. Und genau darum funktionieren
sie häufig auch besonders gut. Beim Slasher sind es im Speziellen eben auch die
Geschlechterrollen-Klischees.
Im Gegensatz zu späteren Filmen dieses Genres wirkt "Black Christmas" noch anarchistisch und weicht tendenziell eher ab von den zukünftig Frauen
zugeschriebenen Rollen im Slasher-Film.
Die jungen Damen sind nämlich jede für
sich unverwechselbare Charaktere und der Killer erwählt seine Opfer nicht nach einem klaren Beuteschema. Im Gegenteil. Das brave Töchterchen
aus gutem Hause, das sich redlich bemüht, nicht wie die anderen über
die Stränge zu schlagen, findet als Erste einen schrecklichen Tod.
Jessy (Olivia Hussey), die
Hauptprotagonistin und quasi Heldin, ist ungewollt schwanger von
ihrem psychisch labilen Musiker-Freund und erklärt ihm
selbstbewusst, dass sie eine Abtreibung machen lassen wird. Er fleht
sie an, er macht ihr einen Heiratsantrag, er droht ihr. Doch sie
lässt sich nicht beeinflussen und möchte über ihre Zukunft selbst
entscheiden.
Barbie (hervorragend gespielt von
Margot Kidder) raucht, trinkt und kann schimpfen wie ein
Kesselflicker. Sie wird auch gerne mal obszön, um bei ihrem
Gegenüber Entsetzen hervorzurufen oder auch um den armen nicht
gerade mit Intelligenz gesegneten Sergeant Nash auf die Schippe zu
nehmen.
Die Studentinnen und auch die
unkonventionelle Hausmutter (herrlich: Marian Waldman), die dem
Alkohol etwas mehr zuspricht als es gesund oder gesellschaftlich
verträglich wäre, sind Persönlichkeiten mit einem hohen
Sympathiefaktor und nicht nur blasse zukünftige Opfer.
Die Herren der Schöpfung oder: Warum John Saxon der seriöseste aller Cops ist
John Saxon - Ein Bild von einem Cop |
Der charismatische
Keir Dullea, dessen Gesichtszüge mich immer sehr an
Aragorn-Darsteller Viggo Mortensen erinnern, leistet wirklich Großes
in der Rolle als Jessys Freund Peter. Als psychisch labiler Musiker
zeigt er uns die volle Bandbreite an Aggressionen. Von der kalten
Aggression über ein Stadium der Regression (er verfällt aus Frust
in kindliche Muster, in dem er sein Spielzeug, sprich: Klavier,
zerstört) bis hin zur offenen Drohung gegenüber seiner Freundin.
Kein Wunder, dass
die vernünftige Jessy sich keine Zukunft als seine Ehefrau beziehungsweise Mutter eines gemeinsamen Kindes vorstellen kann.
Es geht von Anfang
an eine deutlich spürbare Bedrohung von Peter aus und der gewünschte
Effekt, dass man ihn für den irren Mörder halten kann, verfehlt
seine Wirkung nicht.
Als Ausgleich dazu
wirkt der sympathische Freund Clares, Chris (Art Hindle) wie ein
Ruhepol.
Er unterstützt
die Mädchen bei ihrer Suche nach seiner verschwundenen Freundin und
ist stets gleich zur Stelle, wenn jemand seine Hilfe benötigt.
John Saxon stellt Lt. Fuller dar. Mir fiel dieser Schauspieler in jungen Jahren zum ersten Mal positiv in der Rolle von Nancys
Vater ("Nightmare on Elm Street") auf. Dort mimte er
ebenfalls einen Vertreter des Gesetzes. Niemand wirkt so seriös,
kompetent, überlegt und selbstsicher in der Rolle eines Polizisten
wie dieser Mann.
Regisseur Clark
wusste um diese Wirkung und verstärkte sie mithilfe von gut
positionierter Beleuchtung und günstigen Kameraeinstellungen
optimal.
Saxons
vertrauenserweckende Ausstrahlung ist enorm. Wenn ich aus einem brennenden Haus
springen müsste und John Saxon mit ausgebreiteten Armen unten stehen
würde – ich würde nicht zögern.
Gut, der letzte Satz war jetzt vielleicht nicht gaaanz ernst gemeint...
Gut, der letzte Satz war jetzt vielleicht nicht gaaanz ernst gemeint...
"Black
Christmas" geht keine Kompromisse ein. Jeder und jede ist in Gefahr. Zu Recht verdient dieser Film die Bezeichnung "Meilenstein" innerhalb des ganzen Genres und hat dank dem
Einsatz innovativer Techniken und einem exquisiten Cast auch nach
mehreren Jahrzehnten nichts von seiner intensiven schaurigen Atmosphäre eingebüßt.
Bitte beachten Sie die Verzehr-Empfehlung:
Den vollen bitteren und unverwechselbaren Geschmack entfaltet der
Film ausschließlich in Kombination mit der Original-Tonspur.
Frohe Weihnachten!
Frohe Weihnachten!
Foto: Blu Ray von Capelight und Capelight Mediabook