VON ANGESICHT ZU ANGESICHT
HALLELUJA - DER TEUFEL LÄSST EUCH GRÜSSEN (Kinotitel)
Italien, Spanien 1967
Regie: Sergio Sollima
DarstellerInnen: Tomas Milian, Gian
Maria Volonté, William Berger, Jolanda Modio, Carole André, Nello
Pazzafini, Gianni Rizzo u.a.
Inhalt:
Der Lehrer Brad Fletcher trifft auf den
Verbrecher Solomon "Beauregard" Bennet und entwickelt sich vom
Entführungsopfer zum skrupellosen Bandenführer. Als Beauregard
erkennt, welchen schlafenden Hund er geweckt hat, ist es beinahe zu
spät, um seine GefährtInnen und Freunde vor einem schlimmen Ende zu bewahren...
Beauregard Bennet (Milian) |
Brad (oder Brett) Fletcher (Volonté) |
Mit Tomas Milian in der Rolle des
windigen "bauernschlauen" Bandenanführers Beauregard und Gian
Maria Volonté als überheblicher und machthungriger Ex-Lehrer Brad
(in den italienischen Credits "Brett") duellieren sich in diesem
Western zwei der begabtesten und charismatischsten Darsteller, die
Cinecittà zur Zeit seiner Hochblüte zur Verfügung standen.
Auch wenn Milians Perücke im Topfdeckel Look etwas befremdlich wirkt – so etwas auf dem Kopf
herumzutragen und dennoch so ernsthaft und inbrünstig zu
schauspielern, das muss ihm erst mal jemand nachmachen.
Glücklicherweise hat man diesen maskenbildnerischen Faux-Pas nach
ein paar Minuten schon akzeptiert. Beauregard sieht eben so aus.
Rinder Anni (André) |
Immer noch besser als seine junge
Freundin (Carole André) mit dem wohlklingenden Namen Rinder-Anni, deren Haupthaar an
ein Monchhichi oder einen Kobold aus "Die Reise ins Labyrinth" erinnert.
Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.
Man könnte es auch so deuten, dass diese Haarteile der Kategorie
Wischmop den einzig humorvollen Konterpart zu der tendenziell
dramatischen und am Ende gar tragischen Erzählung bilden.
Sergio Sollimas zweiter Western ist wie
bereits "Der Gehetzte der Sierra Madre" stark gekennzeichnet
durch sein gehaltvolles Drehbuch und die im Vordergrund stehende
Persönlichkeits-Metamorphose der beiden Protagonisten.
Professor Brad Fletcher, der aus
gesundheitlichen Gründen seinen Lehrberuf an den Nagel hängt, hat
es auf der Karriereleiter trotz ausreichend vorhandenem geistigem Potential nie
weit gebracht. Dies macht ihm bzw. uns sein (ehemaliger) Vorgesetzter bereits in der ersten Filmszene unmissverständlich klar. Brad hat nämlich ein
Problem. Er war Zeit seines Lebens immer ein Duckmäuserich, es mangelt ihm an Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen.
Dadurch, dass er von Beauregard zuerst
als Opfer, dann als Helfer und schließlich als Freund auserkoren
wird, wird Brads Ego gefüttert und enorm gestärkt.
Leider werden seine anerzogenen und
erlernten moralischen Prinzipien durch Geltungsdrang und
Allmachtsphantasien (vermutlich das Resultat zurückliegender
unverarbeiteter Kränkungen) ersetzt.
Die Entwicklungsgeschichte Brads ist
derer vieler mächtiger Männer bzw. Diktatoren gar nicht so
unähnlich.
Vergangene persönliche Erfahrungen von
Zurückweisung, Misserfolg und Kränkung werden leider allzu oft
durch besondere Rücksichtslosigkeit, Grausamkeit und skrupellose
Machtdemonstrationen kompensiert.
Während sich Professor Fletcher wichtige
gesellschaftliche Werte wie Anstand, Freundschaft und Mitgefühl eher
auf kognitiver Ebene angeeignet hat, dürfte Beauregard einen
biographischen und emotionalen Zugang zu diesen Themen besitzen.
Das harte Leben und sein Umfeld haben ihn gelehrt, auf seinen Instinkt zu vertrauen. Die Gemeinschaft der Gesetzlosen, deren Anführer er ist, zollt ihm Respekt, weil er für sie nachvollziehbar handelt und immer authentisch ist.
Das harte Leben und sein Umfeld haben ihn gelehrt, auf seinen Instinkt zu vertrauen. Die Gemeinschaft der Gesetzlosen, deren Anführer er ist, zollt ihm Respekt, weil er für sie nachvollziehbar handelt und immer authentisch ist.
Die kleine Rinder Anni bringt dies sehr
pointiert zum Ausdruck als sie nach der Machtübernahme Brads den
Vergleich zwischen ihm und Beauregard als Anführer zieht:
"Jetzt machst du die selben Dinge,
die er gemacht hat. Aber es ekelt einen an, wenn du es tust!"
Sollima hat sich dieser Wandlung von
Charakteren später in seinem grandiosen Die perfekte Erpressung abermals in sehr ähnlicher Form gewidmet. Die Protagonisten Vito
Cipriani (Oliver Reed) und Milo Ruiz (Fabio Testi) sind ebenfalls
sehr verschieden und ihr Verhältnis zueinander ähnlich gespalten
wie das von Fletcher und Bennet.
Mein Fazit von Die perfekte Erpressung trifft daher haargenau auch auf "Von Angesicht zu
Angesicht" zu: Sollima erzählt eine komplexe Geschichte, die das
Schicksal zweier ganz unterschiedlicher Männer miteinander verwebt,
ihre jeweilige Einstellung zum Leben aufgrund der Geschehnisse
grundlegend verändert und die beiden Protagonisten am Ende auf
brutale Art und Weise wieder auseinander dividiert.
Es gibt allerdings einen bedeutsamen und markanten Unterschied – Während Cipriani aus Verzweiflung und purer
emotionalen Überforderung (seine Frau wird von Entführern
festgehalten) Verbrechen begeht, sind Fletchers Beweggründe rein egozentrisch, seine Pläne durchzogen von (sadistischem) Kalkül.
Die Art von Sympathie und Mitgefühl, wie man sie für Vito Cipriani noch empfinden mag, wird bei Brad Fletcher durch sämtliche seiner
Aktionen im Keim erstickt.
Interessant ist auch die eher wenig
beachtete Rolle der Maria (Jolanda Modio, auch zu sehen in Casanova 70). Die Frau mit den schönen Augen und dem tiefgründigen Gesichtsausdruck, die mit
dem Bandenmitglied Vance (Nello Pazzafini) liiert ist, nimmt sich
Brad mit Gewalt.
Nach der Vergewaltigung zeigt sie sich an Fletchers Seite und schmiegt sich an ihn, während er mit Beaus Bande
Pläne für den nächsten Überfall schmiedet.
Warum sie sich so verhält, wird nicht erklärt. Denkbar wäre, dass sie unter dem Stockholm Syndrom leidet bzw. dass sie ihm aus Angst vor weiterer Gewalt etwas vorspielt. Für Sollima bedurfte es augenscheinlich keiner näheren Beleuchtung des Dilemmas dieser Frau. Denn auch für Brad ist der Hintergrund für Marias Verhalten schließlich irrelevant. So lange alle seine Schachfiguren zu ihm aufsehen und Brad folgen, spielt es keine Rolle, was Maria und die anderen denken oder fühlen.
Warum sie sich so verhält, wird nicht erklärt. Denkbar wäre, dass sie unter dem Stockholm Syndrom leidet bzw. dass sie ihm aus Angst vor weiterer Gewalt etwas vorspielt. Für Sollima bedurfte es augenscheinlich keiner näheren Beleuchtung des Dilemmas dieser Frau. Denn auch für Brad ist der Hintergrund für Marias Verhalten schließlich irrelevant. So lange alle seine Schachfiguren zu ihm aufsehen und Brad folgen, spielt es keine Rolle, was Maria und die anderen denken oder fühlen.
Wenn man sich mit Sergio Sollima etwas beschäftigt, kann man die chauvinistische Deutungs-Variante, die im Kino von damals keine Seltenheit darstellte (die
Vergewaltigung hat ihr schlussendlich gefallen und dann hat sie sich
eben verliebt), eigentlich ausschließen.
Als ausgleichendes Element zwischen
Beau und Brad, die mit der Wandlung vom Schreibtischtäter zum Verbrecher und vom
Verbrecher zum Helden von einem Extrem ins andere fallen, kann die
Rolle des Charley Siringo verstanden werden.
Letzterer wird vom österreichischen Schauspieler William Berger (bekannt u.a. für die "Sabata" Western) verkörpert und darf getrost als eine seiner hervorragendsten schauspielerischen Leistungen bezeichnet werden.
Letzterer wird vom österreichischen Schauspieler William Berger (bekannt u.a. für die "Sabata" Western) verkörpert und darf getrost als eine seiner hervorragendsten schauspielerischen Leistungen bezeichnet werden.
Siringo ist Angestellter des
Detektivbüros Pinkerton (der Vorläufer des F.B.I.) und versucht
durch listenreiches Taktieren das Vertrauen von Beau zu gewinnen. Er hat
den Auftrag, die Wilde Horde (Beaus Bande) zu zerschlagen. Er ist
zwar ein Mann des Gesetzes, folgt jedoch eigenen Regeln und wägt am
Ende gründlich ab, welcher der beiden Schurken für die Gesellschaft
das geringere Übel darstellt.
Siringo weiß, wo er steht und bleibt
seinen Überzeugungen und seinen Moralvorstellungen treu. Etwas, was
man weder von Bennet noch von Fletcher behaupten kann.
Kurz und gut: Auch wenn ich "Der Gehetzte der Sierra Madre" noch mehr schätze, bereitet es mir immer
wieder aufs Neue Freude, "Von Angesicht zu Angesicht" über die
Leinwand flackern zu lassen, diesen grandiosen Darstellern bei ihren
Duellen (die beileibe nicht nur mit Pistolen und Gewehren ausgetragen
werden) zuzusehen, die Landschaftsaufnahmen zu bewundern und die für
den Film komponierte Melodie von Ennio Morricone zu hören.
Wem dabei nicht irgendwie warm ums Herz wird, dem wird die Welt des Western all' italiana wahrscheinlich für immer verschlossen bleiben.
Wem dabei nicht irgendwie warm ums Herz wird, dem wird die Welt des Western all' italiana wahrscheinlich für immer verschlossen bleiben.