Sonntag, 6. Juli 2014

L'ÈTRANGE COULEUR DES LARMES ET TON CORPS (2013)














DER TOD WEINT ROTE TRÄNEN

Belgien, Frankreich, Luxemburg 2013
Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani
DarstellerInnen: Klaus Tange, Ursula Bedena, Joe Koener, Birgit Yew, Hans de Munter, Anna D'Annunzio u.a.


Inhalt
Dan Kristensen hinterlässt seiner Frau Edwige eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er ist bald von seiner Dienstreise zurück im heimatlichen Brüssel und freut sich auf sie.
Als er daheim ankommt, steht er vor verschlossenen Türen. Der Eingang seiner Wohnung ist von innen mit einer Kette verriegelt, seine Frau spurlos verschwunden. Verzweifelt macht er sich auf die Suche nach ihr, nimmt sich frei, befragt Nachbarn, nimmt Kontakt mit der Polizei auf.
Was ist nur während seiner Abwesenheit geschehen?


Dan im Gang des Mietshauses


Mysteriöse Frau


Ich habe "Amer", das Erstlingswerk der beiden in Belgien ansässigen Regisseure, bislang nicht gesehen und so lässt mich der Abspann von "The strange colour of your body's tears" etwas verwirrt und enttäuscht auf der Couch zurück.
Das ist ja gar keine richtige Geschichte, nicht mal ansatzweise.
Eher ein fieses visuelles Verwirrspiel. Doch "The strange colour of your body's tears" ist einer dieser Filme, der in der Psyche nachhallt und der mich auch am nächsten Morgen noch beschäftigt.
Vielleicht bin ich ja lediglich mit der falschen Erwartungshaltung an die Sache herangegangen?

Denn "The strange colour..." bricht mit konventionellen Sehgewohnheiten, berauscht und verstört nicht nur durch seine Bildsprache, die großzügige Verwendung von Farbfiltern, Split-Screens und Wiederholungen, sondern auch durch die teilweise enervierenden Soundeffekte.
Rückblendungen und Nebenerzählungen setzen unvermittelt ein und lassen sich zum Teil erst im Nachhinein als solche deuten.
Extreme Close-Ups wechseln sich ab mit statischen Aufnahmen, Bildern aus der Vogelperspektive und Unschärfe-Effekten. Schlichte Nacktheit wird genauso dargestellt wie der erotisierte Akt des Entkleidens.
Das Wort "Fetisch" wird in "The strange colour..." ausschließlich mit kapitalen Buchstaben geschrieben.

Fühlt es sich so an, wenn man verrückt wird?


Nicht nur der verlassene Dan, sondern auch man selbst bekommt einen Eindruck davon, wie sich eine schizophrene Episode anfühlt.
Trotz vieler verstörender Szenen kommt ein vertrautes, ja fast schon heimeliges Gefühl auf, wenn beispielsweise die mysteriöse alte Dame aus Pupi Avatis L'arcano incantatore auftaucht, eindeutige Hommagen an Das Haus an der Friedhofmauer, Der Killer von Wien, Malastrana, "Profondo Rosso", "Suspiria", "Tenebre", Spuren auf dem Mond oder The Child - Eine Stadt wird zum Alptraum unser Eurocult-LiebhaberInnenherz vor Freude höher schlagen lassen.
Doch es sind nicht nur Hommagen im Stil von Quentin Tarantino (vereinfacht formuliert: kopierte Szenen), sondern eine Art Neuinterpretation und Weiterentwicklung des verwendeten Stoffs, allesamt minutiös inszeniert. Kein Wunder, dass die Schaffenszeit laut Angaben der Regisseure über 10 Jahre in Anspruch genommen hat.
Die verwendete Musik stammt ebenfalls aus den bereits genannten Filmen und noch einigen anderen Genre-Perlen, z.B. aus Racket, Così dolce... così perversa oder "Die Farben der Nacht."

Das pompöse Mietshaus mit der schummrigen Innenbeleuchtung, in dem Dan herumgeistert, beherbergt viele fragwürdige Gestalten, deren Bekanntschaft der verzweifelte Mann macht. Einer scheint suspekter als der andere zu sein, jeder scheint etwas zu wissen und/oder zu verbergen. Ganz besonders vor den Frauen muss man sich in Acht nehmen.
Auch das Interieur der einzelnen Wohnungen mit seinen Fresken, mosaikartigen Fenstern und altmodischer Einrichtung mutet eigenartig und düster an.
Dans Rauschzustände und Träume verschmelzen untrennbar mit der Realität, die er nicht mehr in der Lage ist zu deuten. Letzteres gilt im Übrigen auch für uns ZuseherInnen.

Die Vorlieben von Cattet für experimentelle Kunst und die Liebe zum Genre von Forzani finden beide gleichberechtigt ihren Platz im zweiten gemeinsamen Werk des Paares.

Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich den Film uneingeschränkt empfehlen kann und bin mir nach wie vor nicht sicher, ob das Positive die sich manchmal bis fast zum Exzess ständig wiederholenden Szenen, die Widersprüchlichkeiten und die wirren Handlungsstränge aufwiegt.
Am besten, ihr macht euch selbst ein Bild davon. Wenn man mit den oben genannten Kultfilmen vertraut ist, ist "The strange colour of your body's tears" sicherlich keine Zeitverschwendung.
Aber Achtung vor Risiken und Nebenwirkungen!

Präparat: halluzinogener Filmstoff.
Mögliche Nebenwirkungen (können, müssen aber nicht bei jedem auftreten): Verwirrung, Frust, Berauschung, Ekel, Déjà-vus, in Einzelfällen wurde von schnellem Herzklopfen berichtet.
Suchtfaktor: Langzeitstudien-Ergebnisse noch ausstehend.


Foto: VÖ von Koch Media