Freitag, 2. Mai 2014

LA CORTA NOTTE DELLE BAMBOLE DI VETRO (1971)














MALASTRANA

Deutschland, Italien, Jugoslawien 1971
Regie: Aldo Lado
DarstellerInnen: Jean Sorel, Ingrid Thulin, Barbara Bach, Mario Adorf, Luciano Catenacci, José Quaglio, Daniele Dublino u.a.


Inhalt
Prag. Der amerikanische Journalist Gregory Moore wird leblos in einem Park aufgefunden und ins örtliche Krankenhaus transportiert.
Die Ärzte gehen von einem Herzversagen aus. Aber Gregory ist nicht tot. Er denkt nach und versucht, mit seiner Umwelt zu kommunizieren, was ihm leider nicht gelingen will.
Er bemüht sich um die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit und die Ereignisse, die zu seinem jetzigen Zustand geführt haben.
Gregory denkt an seine geliebte Mira, ihr plötzliches Verschwinden und seine verzweifelte Suche nach der jungen Frau...


Lebt er noch?


Mira - umringt und begehrt


Der 1934 in Kroatien geborene italienische Regisseur Aldo Lado betätigte sich als Regieassistent, unter anderem für Bernardo Bertolucci und Maurizio Lucidi, bevor er selbst erstmals auf dem Regiestuhl Platz nahm.
Im Jahr 1971 verfasste Lado nicht nur das Drehbuch für sein Erstlingswerk "Malastrana", sondern beteiligte sich auch als Autor an dem ebenfalls etwas mystisch angehauchten Der Todesengel, zu dem sich doch die ein oder andere Parallele erkennen lässt.
Nicht nur die Versammlung von Menschen, die einem Gitarre spielenden Straßenmusikanten lauschen, sondern auch das Verwirrspiel der (über lange Zeit) unbekannten Mächte und der Hang zu symbolträchtigen Bildern finden sich in diesen beiden Meisterwerken aus der Feder Aldo Lados wieder.

"Malastrana" ist einer dieser beinahe schon als avantgardistisch zu bezeichnenden europäischen Filme, der ohne plakative Schauwerte auskommt.
Er besticht durch seine sanften Untertöne, seine Metaphern und den vielen Szenen innewohnenden Symbolcharakter.
Ähnlich wie die von Ennio Morricone komponierte melancholische, doch zugleich sehr ruhige Melodie, ist der Film wunderschön fotografiert, doch völlig unspektakulär inszeniert.

Hauptdarsteller Jean Sorel in der Rolle des Gregory Moore, ist bekannt für seine Rollen in zahlreichen Eurocult-Filmen (z.B. in Fulcis wunderschönem Giallo Una lucertola con la pelle di donna oder in Infascellis klassischem Poliziottesco Der unerbittliche Vollstrecker).
Mit seinem für ihn untypischen Schnauzbart ist er hier nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erkennen, muss aber erwähnt werden, weil er wirklich gut in die Rolle passt.
Das amerikanische Model Barbara Bach (Mira) begann ihre kurze Filmkarriere Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger in Italien. Sie stellte außer in "Malastrana" ihr Talent in Filmen wie "Der schwarze Leib der Tarantel" und Ein Bürger setzt sich zur Wehr unter Beweis und setze sich 1977 in "Der Spion, der mich liebte" als legendäres Bond Girl ein filmisches Denkmal.

"Malastrana" hat keine logisch stringente oder völlig schlüssige Handlung.
Das Hauptaugenmerk wurde vielmehr auf die psychologischen Elemente gelegt: Die Angst davor, für tot gehalten zu werden, obwohl man noch imstande ist zu denken ("Vielleicht ist es so, wenn du tot bist. Du siehst alles. Du kannst es nur den anderen nicht mehr mitteilen."), Fremdheit, Isolation, die Zweifel an der eigenen Wahrnehmung und das Gefühl, Niemandem trauen zu können, stehen im Vordergrund.
Vieles wird bis zum Ende nicht aufgelöst, aber genau das ist es, was "Malastrana" einen besonderen Reiz verleiht.
Angerissene Erklärungen und symbolhaft dargebotene Deutungsmöglichkeiten, die nicht von einem platten Ende zunichte gemacht werden, sondern zum Nachdenken anregen.

Andeutungen, Vorahnungen und Verdächtigungen


Gregory: "Ich weiß nicht, aber: immer wenn wir uns treffen, hab ich das komische Gefühl, gleich ist es wieder vorbei. Gleich tut sich die Erde auf und verschluckt dich."
Mira: "Vielleicht meinst du, dass irgendwer oder irgendwas zwischen uns kommt?"
Gregory: "Vielleicht."
Mira: "Weißt du, manchmal, wenn ich versuche mir vorzustellen, was in einem oder in zehn Jahren sein wird, kommt es mir vor, ich gehe auf einer endlosen Straße mit fensterlosen Häusern auf beiden Seiten, die immer höher werden."

Aldo Lado spielt mit den Erwartungen des Publikums, wenn er geschickt andeutet, dass Moores Freund Jacques (hier noch schmieriger als Zuhälter Luca Canali in Der Mafiaboss: Mario Adorf) etwas zu verbergen hat und auch Moores verflossene Liebschaft Jessica es am liebsten sehen würde, wenn die verschwundene Mira nie mehr zurückkehrt.
Sein Bekannter Valinsky (José Quaglio), der uns im nachfolgenden Lado-Meisterwerk The Child - Die Stadt wird zum Alptraum als pädophiler Anwalt das Blut in den Adern gefrieren lässt, sieht schon allein wegen seines äußeren Erscheinungsbilds per se mehr als suspekt aus.

Moore begegnet auf der Suche nach Mira vielen Menschen, die etwas zu sagen hätten, aber aus Angst (oder aus Berechnung?) konkretere Angaben verweigern.
Ihm wird verdeutlicht, dass er ein Fremder ist, der nicht hier her gehört und der auch nicht imstande ist, die eigentlichen Hintergründe von Miras Verschwinden zu verstehen.
Diese Verhaltensweise und offene Feindseligkeit ist nicht nur der Fremdheit Moores geschuldet, sondern auch Zeichen des damaligen totalitären Systems, der Prägung von Menschen, die hinter dem "Eisernen Vorhang" lebten.

Bereits in den ersten Minuten, als sich der Gärtner über den leblosen Körper Moores beugt, um festzustellen, ob ein Herzschlag zu hören ist, zeigt Lado seine Genialität. Der Ton, den wir hören und als Herzton identifizieren, ist nämlich in Wahrheit etwas ganz anderes...
Vielleicht wollte uns Lado damit bereits ankündigen, dass in diesem Film nichts so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint und dass voreilige Rückschlüsse unweigerlich in einer rationalen Sackgasse enden.
Während des gesamten Handlungsverlaufs finden sich immer wieder Hinweise auf das Schicksal Moores. Das expressionistische Gemälde, das im Haus eines Mannes hängt, der etwas über das Verschwinden Miras wissen könnte, nimmt auf gewisse Weise das Ende des Films vorweg.


Besagtes Gemälde


Gregory: "Für mich hat es hier immer etwas Magisches. An dieser Stadt und ihren Menschen scheint die Zeit vorübergegangen zu sein."

Malà Strana ist ein Stadtteil Prags. Diversen Quellen zufolge wurde nicht ausschließlich in der tschechischen Hauptstadt gedreht. Dennoch hat Lado viel Wert auf die Zur-Schau-Stellung der städtischen Kulisse gelegt.

Wen die traumähnliche Atmosphäre des Films anspricht, der wird mit "Malastrana" in die melancholische und desperate Welt des Gregory Moore eintauchen, in der ringsum alle und alles feindlich gesinnt zu sein scheint.
(Anmerkung: Wenngleich ich selbst bei der ersten Sichtung noch nicht sehr angetan war, hat er mich doch beim zweiten und spätestens dritten Ansehen überzeugt!)
Es ist vielleicht nicht der farbenprächtigste, spannendste oder erzählerisch durchdachteste Giallo, aber ein Film mit einem ganz besonderen Flair.





Foto: Anchor Bay und Koch Media VÖ




Foto: Die schöne VÖ von Camera Obscura




Foto: OST von Dagored




Foto: Poster (Camera Obscura Promo)