Sonntag, 23. April 2017

SUGAR COLT (1966)















ROCCO - DER MANN MIT DEN ZWEI GESICHTERN
KAVALLERIE IN NOT (Alternativtitel)

Italien, Spanien 1966
Regie: Franco Giraldi
DarstellerInnen: Jack Betts (aka Hunt Powers), Soledad Miranda, Giuliano Raffaelli, Gina Rovere, Erno Crisa, Luis Barboo, Víctor Israel u.a.


Inhalt:
Rocco hat sich in einem beschaulichen Ort niedergelassen, wo er unter dem Namen Tom Cooper Schießunterricht für (mord-) lustige Ladies gibt. Eines Tages taucht sein alter Bekannter Pinkerton vom gleichnamigen Detektivbüro auf und bittet um seine Mithilfe bei der Suche nach einer Gruppe von verschollenen Soldaten. Zunächst ziert Rocco sich vor dem Auftrag, bis sich schließlich ein mehr als persönliches Motiv ergibt... Daraufhin reitet der Mann mit den zwei Gesichtern kurzerhand als etwas vertrottelt wirkender Arzt verkleidet nach Snake Valley (Der Name ist natürlich Programm!), in dessen Nähe angeblich die vermisste Soldateneinheit zuletzt gesehen wurde, und beginnt - vorerst verdeckt - zu ermitteln...


Rocco in einem ersthafteren Moment


Mutig: Tante Beth (Rovere) und Nichte Josefa (Miranda)


Wir haben es bei diesem charmanten Italowestern mit einem etwas untypischen und innerhalb seiner Sparte recht frühen Film zu tun.
Die Handschrift des italienischen Ausnahmeregisseurs Fernando Di Leo (Milano Kaliber 9, Note 7 - Die Jungen der Gewalt), der als Drehbuchautor beteiligt war, ist für Fans an manchen Stellen doch erkennbar.

Rocco ist ein sympathisch-verschroben wirkender Protagonist, der nicht nur der schnellste Pistolero, sondern auch ein ausgebildeter Nahkampfspezialist zu sein scheint.
Seine Verkleidungen und sein Erfindungsreichtum machen den "Mann mit den zwei Gesichtern" zudem zu einem unberechenbaren Gegner für seine Widersacher und sorgen für so manchen Überraschungseffekt.
Eine Szene, in der sämtliche Cowboys im Westernsaloon mithilfe von halluzinogenem Rauch in einen Rauschzustand versetzt werden, hat man so auch noch nie gesehen.

Zu der stellenweisen inszenatorischen Originalität verdient Giraldi Lob wegen die Besetzung von Soledad Miranda (ua. bekannt aus "Vampyros Lesbos") und Gina Rovere, die Rocco mutig und wehrhaft unterstützen. Es gibt leider nicht viele Italowestern, in denen Frauen einen Namen, eine für die Handlung relevante Rolle und zudem noch einen eigenen Willen haben. "Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern" gilt hier wohl als gelungene Ausnahmeerscheinung.


Na, wen haben wir denn da im Vordergrund?


Víctor Israel, von manchen Fans liebevoll "Onkel Víctor" genannt, spielt den Totengräber von Snake Valley. Der spanische Mime wurde aufgrund seines markanten Äußeren (hervorstehende Augen, schiefe Zähne, dünne Haare und gedrungene Statur) gerne in spanischen und italienischen Produktionen als Nebendarsteller eingesetzt. Vor allem natürlich in Horrorfilmen. Wer ihn ein Mal gesehen hat, wird ihn so schnell nicht vergessen und garantiert im nächsten Film wiedererkennen.

Luis Enríquez Bacalov hat mit dem Titelsong "Sugar Colt" einen herzigen Soundtrack kreiert, der leicht ins Ohr geht und gute Laune macht.
In starkem Kontrast dazu steht das Trompetenstück, das düstere und gespenstische Stimmung kreiert.
Diese gegensätzliche Intendenz der Musik lässt sich auch gut auf die Handlung des Films umlegen. Großartige Momente voller Dramatik und dichter Atmosphäre (als zum Beispiel zum ersten Mal das Trompetensolo erklingt, die Szene mit dem Trauerzug oder die Rache der Soldaten) reihen sich nahtlos an übertrieben humorige Sequenzen.
Man könnte meinen, es wären zwei Drehbuchautoren im Widerstreit gewesen und hätten versucht, sich mit unterschiedlichen Ansätzen zu duellieren.
Dadurch verschenkt "Rocco" leider Einiges an Potential und zieht die Handlung gefühlt in die Länge.
Auch die geschwätzige Art unseres (Super-)Helden pendelt für mein Empfinden zwischen überspitzt-amüsant und abgehoben-überheblich (was vielleicht auch am Darsteller Jack Betts liegen mag).
Das zelebrierte Antiheldentum eines "Django" oder eines "Silence" in Leichen pflastern seinen Weg ist mir da doch weitaus sympathischer.

Die psychologische Tiefgründigkeit und Gesellschaftskritik eines "Der Gehetzte der Sierra Madre", den intelligenten Humor in "Lasst uns töten, Companeros" oder die Bildgewalt und Epik eines "Keoma" erreicht "Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern" mit Sicherheit nicht.
Für mich zählt er zwar nicht zu meinen Lieblings-Italowestern, aber ist trotz der ein oder anderen Schwäche ein sehenswerter früher Genrebeitrag mit einigen unbestritten starken Szenen.




Foto: BD von Koch Media