DER NEW YORK RIPPER
Italien 1982
Regie: Lucio Fulci
DarstellerInnen: Jack Hedley, Almanta
Suska, Howard Ross, Andrea Occhipinti, Alexandra Delli Colli, Paolo
Malco, Cinzia de Ponti, Daniela Doria, Zora Kerova, Cosimo Cinieri, Lucio Fulci u.a.
Inhalt:
Polizist Williams ist in New York auf
der Suche nach einem Serienmörder, der Frauen auf besonders grausame
Weise quält und tötet. Zu seiner Unterstützung engagiert er den
Psychiater Dr. Davis, der ein Täterprofil erstellen und ihm mit Rat
und Tat zur Seite stehen soll. Der Killer meldet sich mittlerweile mehrmalig telefonisch bei Williams und spricht mit verfremdeter Stimme und
Donald Duck Gequake. Kann Williams den Irren rechtzeitig stoppen?
Jane (Delli Colli) auf der Suche nach Abenteuer |
Faye (Suska) fühlt sich bedroht |
New York City am Abgrund
New York, der sogenannte Big Apple, ist
eine sagenumwobene Stadt, die (sofern nicht gerade eine Pandemie
grassiert) von vielen Menschen aus der ganzen Welt bereist wird.
Doch "die Stadt, die niemals
schläft", bot in den Siebziger und Achtziger Jahren ein
gänzlich anderes Bild als die hippe Metropole von heute: Hohe
Mordraten, Bandenkriege, Armut, konstanter Verfall. Nicht nur der Zerfall von Bauwerken, sondern auch die zunehmende Zersetzung der Moral ihrer BewohnerInnen gaben Grund zur Besorgnis.
The deuce in "The New York Ripper" |
Die Grindhouse Kinos am Times Square
und in der 42nd Street, auch unter dem Begriff "The deuce" bekannt, befanden sich in unmittelbarer
Nachbarschaft des Rotlichtviertels. An jeder Straßenecke konnte man Drogen erwerben, Prostituierte beiderlei Geschlechts aufgabeln oder lief Gefahr, überfallen zu werden.
Die überbordende Kriminalitätsrate in
manchen Stadtteilen und zahlreiche alltägliche Gewaltdelikte,
nicht zuletzt auch der Serienmörder David Berkowitz, der unter dem
Namen "Son of Sam" für Verunsicherung unter den New Yorkern sorgte, malten in den
Köpfen der Menschen ein düsteres Bild der Stadt in den dreckigsten
Farben.
New York galt als Sündenpfuhl, als schmutziger Moloch, eine lebensfeindliche Stadt. Ein Ort, an dem die
Zivilisation auf eine harte Probe gestellt wurde.
Geprägt von diesen Eindrücken sind in besagtem historischen
Kontext bemerkenswerte Filme entstanden, die diese abgründige Atmosphäre eingefangen und zu einem wichtigen Rahmen der
Handlung gemacht haben.
Im Angesicht der desolaten Großstadt und des omnipräsenten kriminellen Milieus entstanden beispielsweise zwischen 1971 und 1983 Filme wie "Brennpunkt Brooklyn" (1971), "Ein Mann sieht rot" (1974), "Taxi Driver" (1976), The driller killer (1979), "Cruising" (1980), Maniac (1980), "Die Frau mit der 45er Magnum" (1981) und "Vigilante" (1983).
Ein Regisseur und sein Ruf
Anno 1981 reiste der Italiener Lucio Fulci in die große amerikanische Stadt, drehte dort einen Giallo in der besten Tradition Cinecittàs und sah sich bis zum heutigen Tag mit viel Verachtung und (wieder einmal) Vorwürfen von unverblümt zur Schau gestellter Frauenfeindlichkeit konfrontiert.
Warum eigentlich?
Ich kann und möchte nicht beurteilen,
ob die Texte auf der Online-Filmdatenbank repräsentativ für
das Publikum des Films sind, aber worüber ich in den seiteninternen
Kommentaren mehrfach gestolpert bin, waren Andeutungen wie, dass
ausnahmslos alle Frauencharaktere in "New York Ripper"
Zicken oder eben Prostituierte waren, was in der
Gesamtschau des Textes suggerieren sollte, dass es um "diese
Frauen" ja nicht schade ist. Ein User ging sogar so weit, eine
gewisse Form von "Genugtuung" über die Morde an diesen
Zicken als naheliegend zu betrachten.
Ist dies tatsächlich die Aussage, die
auch Lucio Fulci treffen wollte?
In den meisten aufsehenerregenden
Fällen, in der ein Serienmörder über Jahre oder Jahrzehnte hinweg
unentdeckt gejagt, gefoltert, vergewaltigt und getötet hat, sind unbestritten Frauen das Objekt seiner krankhaften Leidenschaft.
Das, was man in vielen Filmen, die
gesellschaftlich oder von der Zensur geächtet werden, zu sehen
bekommt, ist somit näher an der Realität angesiedelt als manchen
Menschen lieb ist.
Die Frage, die man sich selbst an dieser
Stelle beantworten muss, ist, ob man so eine grauenvolle Geschichte
zuhause sehen möchte. Und wie explizit ein Film in der
Darstellung der Gewalt sein darf, dass er für einen selbst noch
erträglich erscheint.
Oder sieht man sich doch lieber einen
gesellschaftlich angesehenen, weil Oscar prämierten, Kriegsfilm an?
Oder gar ein realitätsnahes Drama, bei dem man sich vielleicht auf psychologischer
Ebene im Leid anderer Menschen suhlt bzw. sich daran ergötzt, aber
für das man sich nicht rechtfertigen muss, weil man schließlich
sozial engagiert ist?
Oder führt man sich mit Vorliebe Filme
von Woody Allen zu Gemüte, weil man seinen intellektuellem Humor so schätzt?
Maestro Fulci als Polizeikommissar |
Doch zurück zu der vermeintlichen
Intention Fulcis – darf/kann/soll man ihm unterstellen, dass er
einen Film wie "New York Ripper" nur geschaffen hat, um seine
misogyne Ader kreativ auszuleben?
Und wenn ja, warum wird dann diese
Diskussion nicht bei unzähligen anderen Regisseuren mit
vergleichbaren Filmen geführt?
Diese Fragen wären eine gute Ausgangsbasis für den Auftakt zu einer abendfüllenden Diskussion und am Ende muss
jeder reflektierte Mensch sich wohl ehrlich eingestehen, dass es in
diesem Fall keine allgemeingültigen Antworten gibt. Abgesehen
vielleicht von ein paar von sich selbst überzeugten KritikerInnen, die uns
weismachen wollen, dass sie die absolute Definitionsmacht besitzen.
Die moralischen Fragen, die Kino
aufwerfen kann, sind bisweilen vergleichbar mit der Schönheit, die
bekanntlich im Auge der Betrachterin oder des Betrachters liegt. Und
selbstverständlich abhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen
Konsens.
Dabei ist nicht selten die von manchen Männern empfundene "Zickigkeit" ein Indiz dafür, dass eine Frau einem konservativen, chauvinistischen Klischee nicht entsprechen will, sondern sagt, was sie denkt und sich nimmt, was sie will.
Bei genauerer Analyse der Art, wie Frauen in Fulcis Filmen charakterisiert werden, fallen mir seit jeher unangepasste, manchmal dominante und auf jeden Fall komplexe Frauenfiguren auf, die unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts (Entstehungszeit, Genre, kulturelle und gesellschaftliche Gegebenheiten) im Vergleich zu anderen damals aktuellen Filmen, aus der Reihe tanzen.
Eine Aufzählung oder nähere Beschreibung würde aber nun endgültigen den Rahmen sprengen und wir landen damit wieder im Bereich der bereits erwähnten "abendfüllenden Diskussionsgrundlage".
Der leider im Jahr 1996 früh verstorbene Regisseur Lucio Fulci mutierte jedenfalls bis heute aufgrund diverser Gerüchte und (sich teils widersprechenden) Aussagen von Zeitzeugen zur Projektionsfläche von Menschen, die gerne die verbale "Misogynie" Keule schwingen.
Dabei ist nicht selten die von manchen Männern empfundene "Zickigkeit" ein Indiz dafür, dass eine Frau einem konservativen, chauvinistischen Klischee nicht entsprechen will, sondern sagt, was sie denkt und sich nimmt, was sie will.
Bei genauerer Analyse der Art, wie Frauen in Fulcis Filmen charakterisiert werden, fallen mir seit jeher unangepasste, manchmal dominante und auf jeden Fall komplexe Frauenfiguren auf, die unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts (Entstehungszeit, Genre, kulturelle und gesellschaftliche Gegebenheiten) im Vergleich zu anderen damals aktuellen Filmen, aus der Reihe tanzen.
Eine Aufzählung oder nähere Beschreibung würde aber nun endgültigen den Rahmen sprengen und wir landen damit wieder im Bereich der bereits erwähnten "abendfüllenden Diskussionsgrundlage".
Der leider im Jahr 1996 früh verstorbene Regisseur Lucio Fulci mutierte jedenfalls bis heute aufgrund diverser Gerüchte und (sich teils widersprechenden) Aussagen von Zeitzeugen zur Projektionsfläche von Menschen, die gerne die verbale "Misogynie" Keule schwingen.
Leider hat er die Gelegenheit, seriös und ehrlich dazu
Stellung zu nehmen, zu Lebzeiten verpasst. Vielleicht war ihm die
ganze Diskussion auch einfach zu banal und er hat in seinem
Kämmerchen über die Mythen, die um ihn ranken, gelacht. Oder er hätte auf eine entsprechende Frage trotzig versucht, die Voreingenommenheit des Interviewers zu bestätigen.
Durch die eingehende Beschäftigung mit
seinem Leben und seinen Filmen gelingt interessierten Menschen bestenfalls eine vorsichtige Annäherung an eine Antwort auf manche
Fragen.
Dennoch - die Bewertung und Einordnung eines Genre-Films ist meiner Meinung nach in den meisten Fällen mehr eine Selbstoffenbarung des Kritikers/der Kritikerin als eine Erkenntnis über die Weltanschauung des Regisseurs.
Dennoch - die Bewertung und Einordnung eines Genre-Films ist meiner Meinung nach in den meisten Fällen mehr eine Selbstoffenbarung des Kritikers/der Kritikerin als eine Erkenntnis über die Weltanschauung des Regisseurs.
In der Tradition des Giallo Films
Der Fulci Experte Stephen Thrower (Autor von "Beyond Terror"), der
übrigens in einem Interview auf der Blue Underground
Veröffentlichung kurz auf die gemeinhin unterstellte Frauenfeindlichkeit
Fulcis eingeht und mir wie so oft aus der Seele spricht, verwendet im
Zusammenhang mit dem Genre Publikum die Umschreibung "Thrill-Seeker".
Was für ein passender Begriff! Ich
kenne kein deutsches Pendant dazu, das so pointiert beschreibt, warum
ich (und sicher viele andere Menschen) mir einen Film wie "New
York Ripper" ansehe.
Spiegelung des Mörders? Oder roter Hering? |
Wer einen ultrabrutalen Slasher
erwartet, wird vielleicht etwas Probleme haben mit diesem Film. Einige deftige Szenen stellen zwar die Gore-Hounds mit Sicherheit zufrieden. Aber "Der New York Ripper" steht eindeutig in der Tradition des
Giallo Genres, wodurch manchen doch der Zugang zu diesem Film verwehrt bleibt.
Wie im italienischen Thriller der
damaligen Zeit üblich geht es um einen Killer, der aus irgendeinem absolut irrwitzigen Grund (den man wegen seiner vollkommenen Absurdität niemals im Vorhinein erraten
kann und den man selbstverständlich erst ganz am Ende des Films
erfährt) mordet, bis seine Identität gelüftet ist oder er selbst
das Zeitliche gesegnet hat. Oder bis beide Varianten gleichzeitig eingetroffen sind.
Vor der Lüftung des Geheimnisses
werden einige dubiose Charaktere eingeführt, die per se verdächtig
erscheinen. Dies sind die obligatorischen roten Heringe, die das
Kinopublikum auf die falsche Fährte locken oder einfach die Laufzeit über bei Laune halten sollen.
Allen, die keine an den Haaren herbeigezogene Auflösung nach dem Scooby-Doo-Prinzip wollen, muss von "Der New York Ripper" daher dringend abgeraten werden.
Allen, die keine an den Haaren herbeigezogene Auflösung nach dem Scooby-Doo-Prinzip wollen, muss von "Der New York Ripper" daher dringend abgeraten werden.
Die Charaktere und Parallelen zu anderen Werken
Bei Fulci-Filmen kommen neben katholischen Priestern die Psychiater bekanntlich eher nicht so gut weg. So auch Dr. Davis (Paolo Malco, ebenfalls zu sehen in Fulcis Das Haus an der Friedhofmauer). Der Mann ist zwar fachlich eine Koryphäe, aber ein unangenehmer Zeitgenosse, im Grunde genommen ein Narzisst. Beinahe jedem, so auch ihm, traut man die Täterschaft zu.
Unsympathisch - Dr. Davis (Malco) |
Die männlichen Charaktere sind
allesamt keine Sympathieträger. Auch nicht der Polizist Williams,
dem es unverhohlenes Vergnügen bereitet, dem trauenden Ehegatten einer
eben erst ermordeten Frau Tonbandaufnahmen von ihren sexuellen
Abenteuern (wohlgemerkt mit anderen Männern) vorzuspielen.
Die offen ausgelebte oder verdrängte Sexualität von Frauen, die sie ins Verderben stürzt, ist ebenfalls
ein wiederkehrendes Fulci-Giallo-Thema.
In A Lizard in a Woman's Skin ist es Carol Hammond. Eine Frau aus einer gut situierten,
wohlhabenden Familie, deren dominante sexuellen Fantasien zu einer
Belastung werden und sie sogar in Gefahr bringen.
In "The New York Ripper" lebt
Jane (Alexandra Delli Colli), eine Dame aus der High Society ihren voyeuristischen Trieb ganz offenherzig aus und manövriert sich leidenschaftlich mit voller Absicht in Situationen, in denen sie ganz leicht zum Opfer
(sexueller) Gewalt werden könnte.
Auch in Nackt über Leichen spielt das Ausleben weiblicher Sexualität und das Ausspielen
weiblicher Reize eine bedeutende Rolle.
Fulci bleibt auch in einem weiteren Punkt seinem Giallo Universum treu. Eine interessante und wichtige
Parallele zwischen "The New York Ripper" und Non si sevizia un paperino ist die Kinderspielzeug-Ente (Donald Duck) und das in
beiden Gialli verwandte Motiv für die Tötungen, das
in gewisser Weise mit der Adoleszenz und dem daraus resultierenden
Erwachen der Sexualität verbunden ist.
Fazit
"The New York Ripper" ist von
allen Gialli, bei denen Lucio Fulci Regie geführt hat, unzweifelhaft der Film, der am deutlichsten dem Exploitationkino
zugeordnet werden kann.
Ultrabrutale Szenen, Gore-Effekte jenseits des Erwartbaren und die
sleazigen Sexszenen deuten in diese Richtung.
Doch die Kameraarbeit von Luigi Kuveiller und das Arrangement der Sets zeigen einen, sich visuell und künstlerisch von anderen, zu dieser Zeit kursierenden Grindhousefilmen abhebenden Gegenpol.
Typisch Fulci - er war und ist ein Regisseur voller Widersprüche.
Stilsichere Beleuchtung |
Doch die Kameraarbeit von Luigi Kuveiller und das Arrangement der Sets zeigen einen, sich visuell und künstlerisch von anderen, zu dieser Zeit kursierenden Grindhousefilmen abhebenden Gegenpol.
Typisch Fulci - er war und ist ein Regisseur voller Widersprüche.
Als Thrill-Seeker, Liebhaberin des abseitigen Kinos und nicht zuletzt des Giallo Genres fasziniert mich diese ausgesprochen widerwärtige Atmosphäre des Films absolut.
Sowohl die skizzierten Persönlichkeiten
als auch die zwielichtigen schmuddeligen Schauplätze, die
überdeutlich und drastisch dargestellten Schnitte ins
(empfindlichste) Fleisch der Opfer, die Verstümmelungen und die
schmierige sexuelle Komponente tragen zu einem die ganze Laufzeit
über wahrzunehmenden Unbehagen bei.
Die Szene ganz am Ende ist aus
emotionaler Sicht besonders grausam...
Daher ist "The New York Ripper"
in meinen Augen Fulcis nihilistischster und deprimierendster Film.
Definitiv wird er genau aus diesem Grund nie zu den Fulci
Werken, die ich beinahe auswendig kann und immer und immer wieder
sehen möchte, gehören.