Sonntag, 13. April 2014

AVERE VENT'ANNI (1978)














OBEN OHNE, UNTEN JEANS

Italien 1978
Regie: Fernando Di Leo
DarstellerInnen: Gloria Guida, Lilli Carati, Ray Lovelock, Daniele Vargas, Vittorio Caprioli, Olga Karlatos u.a.


Inhalt
Lia und Tina sind unbeschwerte junge Frauen, die das Leben genießen. Sie wollen nicht fremdbestimmt sein und sich weder den Regeln der Gesellschaft noch irgendwelchen Gesetzen unterwerfen. So beschließen sie spontan, gemeinsam nach Rom zu trampen, um dort Aufnahme in einer Kommune zu finden.
Was sie in der Hauptstadt allerdings vorfinden, entspricht nicht ganz ihren ursprünglichen Erwartungen. Nichtsdestotrotz quartieren sie sich ein und versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen.
Als die Polizei schließlich alle Kommunen-Mitglieder wegen Verdacht auf Drogenkonsum bzw. -handel festnimmt und verhört, werden Lia und Tina vom ehrgeizigen und brutalen Polizeikommissar Zambo des Stadtgebietes verwiesen.
Innerhalb von 24 Stunden müssen sie sich bei der Polizei ihrer Heimatprovinz melden, ansonsten riskieren sie eine Festnahme.
Wohl oder übel machen die beiden Frauen sich auf den Weg. Doch die Rückreise verläuft ganz anders, als die Freundinnen sich das vorgestellt hatten...


Innenansicht der Kommune Nazariotas


Tanzen macht Spaß


"Avere vent'anni" (engl.: "Being twenty", auch: "To be twenty") ist nicht einfach zu beschreiben.
Ein Grund dafür ist sicherlich die für das Review notwendige Vermeidung von Spoilern.
Ein anderer Grund ist schlicht und einfach, dass es sich bei diesem kleinen Kunstwerk um einen recht ungewöhnlichen Film mit teils absurden Szenen, der weit abseits der Norm liegt, handelt.

Mit "Avere vent'anni" begibt man sich auf einen ziemlich schrägen Trip.
Zwischen Sleaze- und Exploitation-Szenen und Nonsense-Dialogen finden sich tiefgründige philosophische Fragestellungen und feministische Theorien.
Nebenbei geht es noch um den Verfall der Werte, physische und psychische Auswirkungen von Drogenkonsum, das Ende der Hippie-Ära, Geringschätzung und Verachtung von Männern gegenüber Frauen und die allgegenwärtige Gewalt.

Ein Drama mit Elementen der Komödie. An manchen Stellen wirkt Fernando Di Leos Werk wiederum wie ein Arthaus-Film. Dann wieder wie eine Sleaze-Bombe.
Lange Zeit dümpelt die Handlung eher leicht und seicht vor sich hin und eigentlich weiß am Ende nur derjenige, der den Film als director's cut gesehen hat, was die eigentliche Aussage hinter dem Dargestellten sein soll.

Das bittere Ende ist tragisch und verdeutlicht, worauf der Regisseur thematisch beim Film wohl das größte Augenmerk gelegt hat.
Fernando di Leo, der das Drehbuch für "Avere vent'anni" geschrieben hat und Regie führte, ist ohne Zweifel ein Ausnahmeregisseur, der seiner Zeit um Einiges voraus war.
Er selbst betonte in diversen Interviews immer wieder, wie wichtig ihm die Darstellung der Frauencharaktere, die in seinen Filmen vorkommen, sei.

Lia und Tina sind junge Frauen, die auf eine sehr naive Art und Weise mit ihrer Sexualität kokettieren und nach dem Prinzip des Hedonismus zu leben scheinen.
Besonders faszinierte Di Leo laut eigener Aussage der Aspekt der Frau als freiem sexuellen Wesen.
Frauen, die tun, worauf sie gerade Lust haben und die sich nicht durch Regeln und Moralvorstellungen bzw. Rollenklischees der von Männern dominierten Welt einschränken lassen.
Dieses Verhalten wirkt sich im geschützten Rahmen der Kommune bzw. im Hippie-Milieu zwar nicht nachteilig aus, funktioniert aber außerhalb nur bedingt.
Und ist, wenn man es genau nimmt, eigentlich auch in der heutigen Gesellschaft noch eine Utopie.

Gloria Guida, die in Italien vor allem für (erotische) Komödien berühmt war und Lilli Carati sind zwei optisch ziemlich unterschiedliche Frauentypen, aber jede für sich eine Augenweide. Beide versprühen viel Leichtigkeit, Charme und Erotik.
Und was wäre der Film wohl ohne unseren Lieblings-Hippie Ray Lovelock und Vittorio Caprioli als "Kommunen-Oberhaupt" Nazariota (u.a. bekannt als Kommissar in Der Teufel führt Regie)?
Und wer Olga Karlatos (ua. bekannt aus Woodoo oder "Keoma") auf Anhieb erkennt, bekommt von mir 10 Punkte und eine Medaille in Form eines Holzsplitters.


Lieblingszitat:
Kommunen-Oberhaupt Nazariota auf die Frage der beiden Frauen, ob sie in der Kommune leben dürfen:
"Of course, why not? But now, there's a fee to pay."
Tina: "A fee? Communes can't charge fees! What is this, a hotel?"
Nazariota: "It's a family-run guest house! Communes are a thing from the past.
We have to pay electricity, water, gas, solid waste removal."



Diskussion über die Kommunen-Gebühren


Ein Film, den man als Italo-Fan einfach sehen muss.
Der in der Art der Darstellung (nicht nur aus feministischer Sicht) sicherlich diskussionswürdig ist und KritikerInnen vermutlich in zwei Lager spaltet.
Und der von einigen Menschen wahrscheinlich nie verstanden werden wird.

Der unsägliche deutsche Titel "Oben ohne, unten Jeans" wird dem "Avere vent'anni" jedenfalls bei Weitem nicht gerecht.
Die Vermarktung des Films im deutschsprachigen Raum als "Commedia sexy all'italiana" (vgl. "Oben ohne, unten Jeans") führt das von Di Leo eigentlich intendierte Film-Thema ad absurdum bzw. verkehrt den Sinn ins Gegenteil.

Die schön aufgemachte Doppel-DVD von Raro-Video mit interessantem Bonus-Material enthält beide Fassungen, auch die sinn-entleerte, abgeänderte Fassung. Aber das ist wieder eine andere Geschichte...

Genau so war es nicht gemeint:




Foto: DVD von Raro Video