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Geisterdorf
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Sonntag, 28. Mai 2017
BUCHTIPP: SELLERS, ROBERT: WHAT FRESH LUNACY IS THIS? - The authorised biography of OLIVER REED
Oliver Reed und ich
Mein allererster Film mit Oliver Reed war "Der Fluch von Siniestro".
Der zu diesem Zeitpunkt so um die 7 oder 8 Jahre alte Mini-Gore-Bauer, der ich damals war, fand Reed in dieser Rolle etwas unheimlich, aber den Film zu angestaubt und wollte dann doch lieber zum x-ten Mal American Werewolf über den Bildschirm flimmern lassen.
Als junge Erwachsene habe ich beim Ausmisten meiner alten VHS Kassetten bemerkt, was für ein Juwel dieser Hammer-Streifen doch ist und wie charismatisch Oliver Reed in der Rolle des Wolfsmenschen, die ihm seinen ersten kleinen Durchbruch verschaffte, war.
Wenige Wochen später bewunderte ich ihn in Landhaus der toten Seelen und bald darauf in Die perfekte Erpressung, einem meiner Lieblingsfilme.
Reeds mitreißende Performance in diesem italienischen Thriller war es schließlich, die mich innerhalb von 106 Minuten von einer Fabio Testi Verehrerin zu einem Oliver Reed Fan mutieren ließ.
Neben charismatischen Bad Boys verblassen selbstgefällige Schönlinge wie Testi und Co. eben sehr schnell.
Und als ich vor Kurzem zum wiederholen Male Die Brut gesehen habe, in dem Reed ebenfalls eine gigantisch starke Leinwand Präsenz besitzt, verspürte ich das Bedürfnis, mich etwas genauer mit der Person Oliver Reed zu beschäftigen.
Auf Youtube finden sich zahlreiche Interviews und Fernseh-Auftritte des Briten in offensichtlich heftig betrunkenem Zustand. Er wird der Lächerlichkeit preisgegeben oder macht sich selbst lächerlich. Meist trifft beides davon zu. Mich beschlich jedoch der Verdacht, dass das nicht alles gewesen sein kann und es mehr entdeckenswerte Facetten dieses ausdrucksstarken Mimen geben muss.
Dann stieß ich auf diesen Fernseh-Beitrag aus dem Jahr 1993 im Rahmen von "Without Walls - The Orbituary Show". Das etwas morbide Konzept dieser Reihe bestand offenbar darin, Leute aus dem öffentlichen Leben so zu interviewen, als wären sie bereits verstorben und säßen im Himmel.
Oliver Reed zeigte sich in dieser Show von einer emotionalen und tiefgründigen Seite. Das war das, wonach ich gesucht hatte. Ich fühlte mich darin bestätigt, dass seine Persönlichkeit mehr Substanz aufwies als manche seiner geistig umnachteten Interviews annehmen lassen.
Unheimlicherweise sagte er 1993 sogar seinen tatsächlichen Tod voraus:
"I died in a bar of a heart attack."
Eine andere Aussage, die mich sehr bewegt, trifft er sichtbar berührt in Zusammenhang mit seiner fiktiven Totenwache:
"And the only thing that happened that I regret about my funeral was the fact that I couldn't go to my own wake. Because it was a wonderful party. And every time I kept on tapping somebody on the shoulder I'm going to cry now... They didn't know I was there."
Gänsehaut. Faszination. Buch-Kauf.
Über das Buch
Das Interessante an dieser Biographie ist, dass sie nicht nur einen Zugang zu dem Schauspieler Oliver Reed, sondern zu der Persönlichkeit hinter seinen Rollen eröffnet. Damit meine ich nicht nur die Rollen in seinen Filmen.
Ollie, wie er von Freunden und Fans, aber auch in der englischen Presse liebevoll genannt wurde, war ein Mann, der rund um seine Schüchternheit, Verletzlichkeit und Minderwertigkeitskomplexe eine riesige Mauer errichtet hatte und ein exzessives und wildes Leben führte. So die erstaunlich übereinstimmenden Wahrnehmungen und Beschreibungen aus seinem nahen Umfeld.
Für sein Buch lässt Filmjournalist Sellers Familienmitglieder, (ehemalige) Ehefrauen, Geliebte, enge Vertraute, Freunde, Army-Kameraden und Barbekanntschaften zu Wort kommen. Natürlich auch Menschen aus dem Filmbusiness und Journalisten. Als Quellen dienten dabei eigene Interviews des Autors aus dem genannten Personenkreis sowie Biographien (u.a. von Christopher Lee) und Aussagen von KollegInnen, die auf DVD Bonusmaterial nachzuhören sind.
Nicht zuletzt finden Passagen aus Ollies vergriffener Autobiographie "Reed all about me" Eingang in das Buch. Neben wichtigen Filmrollen werden bedeutsame Interviews und Show-Auftritte skizziert und deren Umstände näher beleuchtet.
Alle Beschreibungen und Charakterisierungen ergeben ein sehr differenziertes Gesamtbild von einem Menschen, der voller Extreme und Gegensätze zu stecken schien.
Von Leuten aus seinem engsten Kreis und SchauspielkollegInnen wird er als über die Maßen loyal, verlässlich, großzügig, höflich und humorvoll beschrieben. Auf der anderen Seite wird er in betrunkenem Zustand als penetrant, aggressiv, gewalttätig, peinlich und unberechenbar charakterisiert.
Mehrmals wird eine Parallele zu "Dr. Jekyll und Mister Hyde" gezogen.
Seine schauspielerische Professionalität wird von beinahe allen, mit denen er zusammengearbeitet hat, betont. Auch in seiner exzessivsten Lebensphase kam er pünktlich ans Set, konnte ausnahmslos alle seine Textzeilen auswendig und lieferte vor der Kamera eine professionelle Leistung ab.
Dies wird in "What fresh lunacy is this?" von Regisseuren wie Ken Russell, Nicolas Roeg, Michael Winner, John Hough, Stuart Gordon oder Terry Gilliam geschildert und auch vom Produzenten seines letzten Films, "Gladiator", bestätigt.
Er besaß enormes künstlerisches Potential, doch seine Karriere kam durch seinen Ruf, den er sich selbst erschaffen hatte, ins Stocken. Die Angebote versiegten, sein Bruder Simon kündigte schließlich desillusioniert seinen Job als Ollies Manager und auch andere Familienmitglieder wendeten sich von ihm ab.
Nicht nur wegen des sehr flüssigen Schreibstils des Autors, der sich mit eigenen Bewertungen stark zurückhält, sondern auch wegen den unzähligen Begebenheiten aus Reeds Leben, die eine große Bandbreite zwischen lustigen Anekdoten bis hin zu tragischen Ereignissen umfassen, ist "What fresh lunacy is this?" die vielschichtigste und interessanteste Biographie, die ich jemals gelesen habe.
Das Buch gibt so tiefe intime Einblicke in das Leben Reeds, dass er einem beim Lesen vertraut wird und trotz seines oftmals schlechten Benehmens und seiner wenig ruhm- aber sehr Rum-vollen Eskapaden unweigerlich ans Herz wächst.
Umso mehr hat mich das Ende emotional mitgenommen. Je näher ich den letzten Buchseiten bzw. Stunden seines Lebens kam umso trauriger wurde ich.
Seine verbalen Ausfälle und seine öffentlichen Auftritte in desolatem Geisteszustand sehe ich nun mit anderen Augen.
Sie betrüben mich und ich würde mir wünschen, dass sich der andere, der begabte, tiefgründige und galante Ollie mit seinem zynischen Humor häufiger in der Öffentlichkeit gezeigt hätte.
Oder wie Autor Robert Sellers es auf den letzten Seiten pointiert in Worte fasst:
"Perhaps the tragedy of Oliver Reed is that he created a persona for himself that he felt obliged constantly to act out in the public arena. It was part of his creative life."
Ob dieses Werk je übersetzt wird, ist mehr als fraglich. Oliver Reed ist im deutschsprachigen Raum wohl nicht populär genug. Allen, die gerne mal englische Bücher lesen, auch Nicht-Fans, lege ich diese Biographie wärmstens ans Herz.