Montag, 1. Mai 2017

OPERAZIONE PAURA (1966)















DIE TOTEN AUGEN DES DR. DRACULA

Italien 1966
Regie: Mario Bava
DarstellerInnen: Giacomo Rossi Stewart, Erika Blanc, Fabienne Dali, Piero Lulli, Luciano Catenacci, Valerio Valeri, Giovanna Galletti, Micaela Esdra u.a.


Inhalt:
Dr. Paul Eswai wird von Inspektor Kruger für eine Obduktion in das abgeschiedene Dörfchen Karmingen gerufen. Er trifft dort auf eine eingeschworene, zutiefst abergläubische Gemeinschaft mit eigentümlichen Sitten und Gebräuchen. Besonders vor dem nahe gelegenen Schloss Graps scheinen sich die Dorfbewohner zu fürchten. Gemeinsam mit seiner neuen Bekannten Monica macht er sich auf die Suche nach der Wahrheit. Schon bald soll er herausfinden, was hinter den unerklärlichen Todesfällen unter den Einwohnern steckt...


Dr. Eswai (Stewart) und Monica (Blanc) in Angst


Gespenstisch: Die kleine Melissa (Valeri)


Ich kann mich nicht erinnern, wann mir ein Film das letzte Mal dermaßen die Sprache verschlagen hat und mich ehrfürchtig auf die Leinwand starren ließ wie "Die toten Augen des Dr. Dracula" bei der der jüngsten Sichtung.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der Meinung, dass der Genuss des Films auf dem zweiten Terza Visione Festival in Nürnberg mein persönliches Highlight war. Aber ihn nun in Form einer restaurierten HD Fassung auf einer zwar kleineren, aber immerhin 100 Zoll großen Leinwand zuhause sehen zu dürfen, war ein besonderes Erlebnis.

Die erste Szene, in der die Angestellte der Baronesse Graps wie von unsichtbaren Dämonen getrieben um ihr (Über-) Leben kämpft, ist eine würdige Einstimmung auf eine in höchstem Maße ästhetische und in sich stimmige morbide Fabelwelt.
Perfektionist Mario Bava hat nichts dem Zufall überlassen. Jede Kameraeinstellung, die Maske, die Kostüme sowie die Außen- und Studioaufnahmen wurden akribisch aufeinander abgestimmt.
Am Himmel, der sich bereits langsam verdunkelt, glimmen noch sanfte Orange- und Gelbtöne. Die scharfen tödlichen Spitzen des Zauns, denen die Frau mit einer angstverzerrten Grimasse voller Verzweiflung entgegen blickt, scheinen von innen heraus bedrohlich zu leuchten.


Morbide Ästhetik so weit das Auge reicht


Die formvollendeten Bildkompositionen und die mit Feingefühl selektierten, je nach Szene unterschiedlich dominanten Farben, sind künstlerischer Ausdruck eines Regie-Genies.
Mario Bava, der zu Lebzeiten niemals erahnen hätte können, welch Ruhm und Ehre ihm posthum zuteil werden würde, hat mit "Die toten Augen des Dr. Dracula" ein Werk von zeitloser Eleganz geschaffen.
Seine Kreativität lebte er nicht nur bei der Auswahl von Drehorten und Gestaltung der Sets und Kostüme, sondern auch durch die Verwendung diverser Filmtechniken aus.
Folienfilter kamen ebenso zum Einsatz wie starkes Zoom, Unschärfen, Verzerrungen durch die Verwendung entsprechender Objektive oder rückwärts gedrehte Szenen.

Das Kind mit den großen, im schmalen Gesicht deutlich hervorstehenden Augen und dem stechenden Blick, war der kleine Valerio Valeri. Dadurch, dass Melissa Graps in Wirklichkeit von einem blässlichen Jungen mit Perücke gespielt wird und die Bewegungen zum Teil rückwärts gedreht wurden, wirkt die Unheil und Tod verkündende Geistererscheinung in besonderem Maße widernatürlich und verstörend.


Verfall kann so schön sein


Einen wesentlichen Beitrag zur gespenstischen Atmosphäre leistet auch das verfallene Dorf mit den bröckelnden Fassaden, Ruinen und moosüberwucherten Steinen, das sich die Natur schon teilweise zurückerobert hat. Bava stellt mit seinem Drehort-Konzept unter Beweis, dass man nicht unbedingt nach Venedig reisen muss, um eine ebenso ästhetische wie morbide Umgebung einzufangen.
Beschlagene Fensterscheiben, wabernder Nebel und diffuses Licht tragen ihr Übriges zum schaurigen Erscheinungsbild des Dorfes bei.


Umwerfend: die zauberkundige Ruth (Dali)


Furchteinflößend: Baronesse Graps (Galletti)


Dr. Eswai (Giacomo Rossi Stewart) als vernunftbetonter, bodenständiger Arzt wirkt wie ein Fremdkörper in der von Angst und Aberglauben geleiteten Dorfgemeinschaft.
Ihm zur Seite steht die ebenfalls von außerhalb kommende Monica (Erika Blanc, u.a. bekannt aus "Hexen – Geschändet und zu Tode gequält"), die in dem Ort quasi auf der Suche nach ihren familiären Wurzeln ist.
Zwei Frauen jedoch stechen neben prominenteren Gesichtern wie Piero Lulli (Töte, Django) oder Luciano Catenacci (Malastrana, Der Berserker) besonders aus dem Cast hervor:
Die belgische Schauspielerin Fabienne Dali als zauberkundige Beschützerin umgibt in diesem Film eine Aura, wie man sie sonst von einer Barbara Steele kennt: Geheimnisvoll, unnahbar und gleichzeitig Respekt einflößend.
Diese Frau tritt nicht auf, sie erscheint. Bereits in Melvilles "Der Teufel mit der weißen Weste" (1962) stellte sie ihr Charisma eindrucksvoll zur Schau.
Und was wäre "Die toten Augen des Dr. Dracula" ohne die großartige Darbietung der italienischen Mimin Giovanna Galletti als verbitterte, geistig verwirrte, aber umso gefährlichere Baronesse Graps?
Für mich sind Dali und Galetti die heimlichen, eigentlichen Stars des Films.

Indem Bava räumliche Distanzen und zeitliche Abläufe immer wieder neu arrangierte und durcheinanderwirbelte, gelang es ihm den Realitätsbezug in einigen Szenen komplett auszuhebeln.
Die von ihm kreierte somnambule Welt entzieht sich in vielen Bereichen unserem logischen Denken.
"Die toten Augen des Dr. Dracula" ist wie ein Trip in eine andere, rätselhafte Dimension.
Die teils nebulöse Geschichte rund um die mysteriöse Melissa Graps und die Ereignisse im und nahe dem Schloss bleiben unerklärlich und inspirieren bis heute zahlreiche KritikerInnen und begeisterte Fans zu diversen Hypothesen und Deutungen.
Bavas Kunstwerk ist nun schon über ein halbes Jahrhundert alt, doch alles andere als angestaubt.
Für mich ist "Die toten Augen des Dr. Dracula" ein Film, der mich von Anfang an in seinen Bann gezogen hat und mich bei jeder Sichtung in den letzten zehn Jahren wieder verzaubert wie beim ersten Mal.




Foto: DVD von Anolis




Foto: DVD aus der Mario Bava Box von Anchor Bay





Foto: Blu Ray von Koch Media - die ultimative VÖ