SPASMO
Italien 1974
Regie: Umberto Lenzi
DarstellerInnen: Robert Hoffmann, Maria
Pia Conte, Suzy Kendall, Ivan Rassimov, Monica Monet, Guido Alberti,
Adolfo Lastretti u.a.
Inhalt:
Christian Baumann, seines Zeichens Sprössling aus reichem Hause (Beruf: "Aktienteilhaber in der Firma
seines Bruders"), wird im Badezimmer seiner neuen Geliebten Barbara
von einem Fremden attackiert. Der Eindringling hat eine Waffe dabei,
mit der er von Christian nach einem Handgemenge erschossen wird.
Schwer geschockt von dem Vorfall flieht
das Liebespaar aufs Land. Für die beiden erscheint es naheliegend, in das derzeit leer
stehende Haus einer Freundin Barbaras einzubrechen. Das Haus wird jedoch bewohnt von einem geheimnisvollen Senioren
namens Malcolm und der jungen Clorinda.
Christian hat den Eindruck, dass die
beiden mehr über ihn wissen als ihm lieb ist. Als Barbara
plötzlich verschwindet und der Mann, den er im Bad ermordet hat, vor ihm
steht, glaubt er, den Verstand zu verlieren.
Sein Bruder Fritz, der immer für ihn
da war, ist partout nicht zu erreichen und Christian
findet sich mit seinem Schicksal, in einem nicht enden wollenden
Alptraum gefangen zu sein, beinahe ab. Doch schließlich wittert er ein Komplott gegen ihn und macht sich auf die Suche nach den
Menschen, die ihm offenbar nichts Gutes wollen.
Und was hat es eigentlich mit den auf
grausame Art erhängten, erstochenen und malträtierten
Schaufensterpuppen auf sich, die in der letzten Zeit an diversen
Orten aufgefunden werden?
"Christian, da liegt eine tote Frau! Da unten!" |
Führt natürlich Böses im Schilde: Adolfo Lastretti |
Für mich war die Einstiegsdroge in die
Welt des italienischen Kinos nach den obligatorischen Horrorfilmen
der Italowestern und beinahe zeitgleich der Poliziottesco.
Mit Gialli hatte ich, außer bei den ganz großen Klassikern wie beispielsweise Das Geheimnis der grünen Stecknadel, Una lucertola con la pelle di donna oder meinem geliebten Non si sevizia un paperino anfänglich noch etwas Mühe.
Mit Gialli hatte ich, außer bei den ganz großen Klassikern wie beispielsweise Das Geheimnis der grünen Stecknadel, Una lucertola con la pelle di donna oder meinem geliebten Non si sevizia un paperino anfänglich noch etwas Mühe.
Wenn man einen Film verfolgt, der anfänglich vorgibt, eine sinnvolle Handlung zu haben und dann feststellen muss, dass
plötzlich alle Hypothesen wie eine Seifenblase zerplatzten, wenn Charaktere sich nervenstrapazierend hysterisch und irrational verhalten, wenn man vor lauter roten
Heringen das Gefühl hat, die Blätter im Wald nicht mehr zu sehen,
dann ist das einfach etwas gewöhnungsbedürftig.
Doch über die Jahre lernte ich auch die
besonders kapriziösen Wendungen und schrulligen Verwirr-Taktiken zu
schätzen, indem ich ihnen mit kindlichem Staunen und Humor
begegnete.
Außerdem legte sich mein Fokus, anfänglich ohne dass es mir bewusst gewesen wäre, verstärkt auf die Bilder und die Musik. Heute kann ich mit Fug und Recht behaupten, ganz tief in die Welt des italienischen Kriminalfilms eingetaucht zu sein.
Außerdem legte sich mein Fokus, anfänglich ohne dass es mir bewusst gewesen wäre, verstärkt auf die Bilder und die Musik. Heute kann ich mit Fug und Recht behaupten, ganz tief in die Welt des italienischen Kriminalfilms eingetaucht zu sein.
Manche Filme dieser Gattung ähneln den bunten Wundertüten aus vergangenen Zeiten und erfreuen deshalb vermutlich besonders das Kind in uns.
"Spasmo" gehört definitiv in diese
Kategorie und alle, denen stringente Handlung wichtig ist und die
gerne eifrig und mit unverhohlenem pedantischen Vergnügen "Logiklöcher" anprangern, werden an diesem Film wenig Freude
haben.
(Sollte dies auf euch zutreffen, gebt
dem Film eventuell in ein ein paar Jahren nochmal eine Chance...)
"Spasmo" ist zwar, was
Zeigefreudigkeit in puncto Gewalt und Nacktheit anbelangt, etwas
weichgespülter als manch anderer Giallo. Dafür setzt er auf
die schönsten gängigen Genre Klischees wie die psychologischen
Folgen von unverarbeiteten Kindheits-Traumata, Isolation von der Außenwelt, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung und
Paranoia.
Formvollendete wohlgestaltete Kamera-Einstellungen, stilvolle Original-Schauplätze und ein elegischer Soundtrack (natürlich
Morricone), der wahre Trommelfell-Orgasmen hervorrufen kann – gelbes Herz,
was willst du mehr?
Umberto Lenzi hat mit diesem bildgewaltigen und extravaganten Werk Mut bewiesen. Bereits in der ersten halben Stunde
zieht er die Spannungs-Schrauben ordentlich an, indem er für die
Handlung vorerst Unwichtiges kurzerhand unter den Tisch kehrt.
Christian (Robert Hoffmann) und seine
Freundin Xenia treffen am Strand auf Barbara (Suzy Kendall), die sie
zunächst für eine Leiche halten, da sie mit seltsam gespreizten
Beinen flach mit dem Gesicht nach unten auf dem Sandstrand liegt.
Etwas später statten sie der mysteriösen Fremden, die mit Bekannten
auf einem Luxus-Liner eine Party feiert, einen Besuch ab.
Es ist warm, die Sonne scheint auf das
Deck des Schiffs.
Christian, sichtlich angetan von
Barbara, stellt ihr eine Frage. Sie antwortet. Klingt banal? Wenn die
Antwort allerdings in der Nacht in einem Auto erfolgt, stellt dies
schon einen etwas abrupten Szenenwechsel dar.
Die Freundin Christians, die ihm just
noch mit unverhohlenem Zynismus verkündete, zum Glück schon wieder
nicht schwanger zu sein, scheint plötzlich Schnee von gestern. Über
ihren Verbleib erfahren wir die nächste Stunde nichts.
Christian will sich mit seiner
Neo-Bekanntschaft in einem Motel vergnügen, wird von ihr aber
zuvor ins Bad geschickt. Sie möchte, dass er sich vor dem
Liebesspiel rasiert. Während er das Waschbecken mit Barthaaren
verdreckt, tanzt sie im Nebenzimmer herum.
Dieser Film steckt voller skurriler
Ideen und die (deutschen) Dialoge sind sozusagen das Sahnehäubchen auf der
Überraschungstorte.
Kostprobe gefällig?
Aus der Rubrik "Dialoge zum
Stirnrunzeln"
Strandszene (wie oben erwähnt)
Barbara: "Wieso dachtet ihr, ich sei
tot?"
Christian: "Wir sprachen von einem
Hund. Er wurde erwürgt."
Barbara: "Es war also nur die Macht
der Phantasie."
Christian: "Vielleicht. Woher kommen
Sie?"
Barbara: "Mh. Ich bin äh..."
Xenia: "Christian! Ich kann den
Whiskey nicht finden!"
Barbara und Christian brechen in das
Haus einer Bekannten ein und treffen im zappendusteren Keller auf
Malcolm und Clorinda.
Malcolm: "Ich verlange von Ihnen eine
Erklärung. Und zwar schnell!"
Christian: "Wer sind Sie? Was machen
Sie hier?"
Malcolm: "Das erzählen Sie besser
uns, bevor ich die Polizei hole. Dieses ist mein Haus!"
Barbara (energisch): "Nein, das ist
nicht wahr. Es gehört Ihnen nicht!"
Malcolm: "Da haben Sie Recht. Wir...
mieteten das Haus vor einem Monat. Nicht wahr, Clorinda?"
Clorinda: "Stimmt."
Malcolm: "Mein Name ist Malcolm. Sie
sind zwar hier eingedrungen, doch jetzt sind Sie meine Gäste."
Natürlich wirken diese Konversationen
noch ulkiger in Kombination mit den Bildern.
Robert Hoffmann ("Die Nacht der
rollenden Köpfe") hat eine Ausstrahlung, die ihn geradezu
prädestiniert für einen solchen Film und die Rolle des reichen
Schnösels. Guido Alberti (eindrucksvoll in Der Berserker) als
Malcolm ist ebenso eine exzellente Besetzung wie der sinistre Adolfo
Lastretti, dem man den Bösewicht natürlich auf den ersten Blick ansieht.
Die Britin Suzy Kendall, die in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe und Torso bereits
Giallo-Erfahrung sammelte, mimt eine nicht besonders charismatische,
etwas spröde Barbara.
Rassimov-Fans freuen sich sicherlich über seine Rolle als Bruder Fritz. Einziger Wermutstropfen: Die
deutsche Synchronisation wirkt störend, weil seine Stimme einen
eigenartigen Eunuchen-Touch hat, der leider so gar nicht zu seinem
ausdrucksstarken Gesicht und seiner Körpergröße passt.
Man muss "Spasmo" schon etwas Wohlwollen entgegenbringen und abwechselnd das linke und das rechte Auge
zudrücken, um Gefallen daran zu finden.
Sollte euch dieses Unterfangen gelingen, werdet
ihr, beglückt von den Bildern und dem wunderbaren Soundtrack, bestimmt auf vergnügliche gialloeske Weise unterhalten.
Foto: Shriek Show, Eyecatcher und X-Rated VÖ
Foto: Vinyl-OST von Dagored