Mittwoch, 8. Juli 2015

SPASMO (1974)














SPASMO

Italien 1974
Regie: Umberto Lenzi
DarstellerInnen: Robert Hoffmann, Maria Pia Conte, Suzy Kendall, Ivan Rassimov, Monica Monet, Guido Alberti, Adolfo Lastretti u.a.


Inhalt:
Christian Baumann, seines Zeichens Sprössling aus reichem Hause (Beruf: "Aktienteilhaber in der Firma seines Bruders"), wird im Badezimmer seiner neuen Geliebten Barbara von einem Fremden attackiert. Der Eindringling hat eine Waffe dabei, mit der er von Christian nach einem Handgemenge erschossen wird.
Schwer geschockt von dem Vorfall flieht das Liebespaar aufs Land. Für die beiden erscheint es naheliegend, in das derzeit leer stehende Haus einer Freundin Barbaras einzubrechen. Das Haus wird jedoch bewohnt von einem geheimnisvollen Senioren namens Malcolm und der jungen Clorinda.
Christian hat den Eindruck, dass die beiden mehr über ihn wissen als ihm lieb ist. Als Barbara plötzlich verschwindet und der Mann, den er im Bad ermordet hat, vor ihm steht, glaubt er, den Verstand zu verlieren.
Sein Bruder Fritz, der immer für ihn da war, ist partout nicht zu erreichen und Christian findet sich mit seinem Schicksal, in einem nicht enden wollenden Alptraum gefangen zu sein, beinahe ab. Doch schließlich wittert er ein Komplott gegen ihn und macht sich auf die Suche nach den Menschen, die ihm offenbar nichts Gutes wollen.
Und was hat es eigentlich mit den auf grausame Art erhängten, erstochenen und malträtierten Schaufensterpuppen auf sich, die in der letzten Zeit an diversen Orten aufgefunden werden?


"Christian, da liegt eine tote Frau! Da unten!"


Führt natürlich Böses im Schilde: Adolfo Lastretti


Für mich war die Einstiegsdroge in die Welt des italienischen Kinos nach den obligatorischen Horrorfilmen der Italowestern und beinahe zeitgleich der Poliziottesco.
Mit Gialli hatte ich, außer bei den ganz großen Klassikern wie beispielsweise Das Geheimnis der grünen Stecknadel, Una lucertola con la pelle di donna oder meinem geliebten Non si sevizia un paperino anfänglich noch etwas Mühe.
Wenn man einen Film verfolgt, der anfänglich vorgibt, eine sinnvolle Handlung zu haben und dann feststellen muss, dass plötzlich alle Hypothesen wie eine Seifenblase zerplatzten, wenn Charaktere sich nervenstrapazierend hysterisch und irrational verhalten, wenn man vor lauter roten Heringen das Gefühl hat, die Blätter im Wald nicht mehr zu sehen, dann ist das einfach etwas gewöhnungsbedürftig.
Doch über die Jahre lernte ich auch die besonders kapriziösen Wendungen und schrulligen Verwirr-Taktiken zu schätzen, indem ich ihnen mit kindlichem Staunen und Humor begegnete.
Außerdem legte sich mein Fokus, anfänglich ohne dass es mir bewusst gewesen wäre, verstärkt auf die Bilder und die Musik. Heute kann ich mit Fug und Recht behaupten, ganz tief in die Welt des italienischen Kriminalfilms eingetaucht zu sein.
Manche Filme dieser Gattung ähneln den bunten Wundertüten aus vergangenen Zeiten und erfreuen deshalb vermutlich besonders das Kind in uns.
"Spasmo" gehört definitiv in diese Kategorie und alle, denen stringente Handlung wichtig ist und die gerne eifrig und mit unverhohlenem pedantischen Vergnügen "Logiklöcher" anprangern, werden an diesem Film wenig Freude haben.
(Sollte dies auf euch zutreffen, gebt dem Film eventuell in ein ein paar Jahren nochmal eine Chance...)

"Spasmo" ist zwar, was Zeigefreudigkeit in puncto Gewalt und Nacktheit anbelangt, etwas weichgespülter als manch anderer Giallo. Dafür setzt er auf die schönsten gängigen Genre Klischees wie die psychologischen Folgen von unverarbeiteten Kindheits-Traumata, Isolation von der Außenwelt, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung und Paranoia.
Formvollendete wohlgestaltete Kamera-Einstellungen, stilvolle Original-Schauplätze und ein elegischer Soundtrack (natürlich Morricone), der wahre Trommelfell-Orgasmen hervorrufen kann – gelbes Herz, was willst du mehr?

Umberto Lenzi hat mit diesem bildgewaltigen und extravaganten Werk Mut bewiesen. Bereits in der ersten halben Stunde zieht er die Spannungs-Schrauben ordentlich an, indem er für die Handlung vorerst Unwichtiges kurzerhand unter den Tisch kehrt.
Christian (Robert Hoffmann) und seine Freundin Xenia treffen am Strand auf Barbara (Suzy Kendall), die sie zunächst für eine Leiche halten, da sie mit seltsam gespreizten Beinen flach mit dem Gesicht nach unten auf dem Sandstrand liegt. Etwas später statten sie der mysteriösen Fremden, die mit Bekannten auf einem Luxus-Liner eine Party feiert, einen Besuch ab.
Es ist warm, die Sonne scheint auf das Deck des Schiffs.
Christian, sichtlich angetan von Barbara, stellt ihr eine Frage. Sie antwortet. Klingt banal? Wenn die Antwort allerdings in der Nacht in einem Auto erfolgt, stellt dies schon einen etwas abrupten Szenenwechsel dar.
Die Freundin Christians, die ihm just noch mit unverhohlenem Zynismus verkündete, zum Glück schon wieder nicht schwanger zu sein, scheint plötzlich Schnee von gestern. Über ihren Verbleib erfahren wir die nächste Stunde nichts.
Christian will sich mit seiner Neo-Bekanntschaft in einem Motel vergnügen, wird von ihr aber zuvor ins Bad geschickt. Sie möchte, dass er sich vor dem Liebesspiel rasiert. Während er das Waschbecken mit Barthaaren verdreckt, tanzt sie im Nebenzimmer herum.
Dieser Film steckt voller skurriler Ideen und die (deutschen) Dialoge sind sozusagen das Sahnehäubchen auf der Überraschungstorte.
Kostprobe gefällig?

Aus der Rubrik "Dialoge zum Stirnrunzeln"

Strandszene (wie oben erwähnt)
Barbara: "Wieso dachtet ihr, ich sei tot?"
Christian: "Wir sprachen von einem Hund. Er wurde erwürgt."
Barbara: "Es war also nur die Macht der Phantasie."
Christian: "Vielleicht. Woher kommen Sie?"
Barbara: "Mh. Ich bin äh..."
Xenia: "Christian! Ich kann den Whiskey nicht finden!"

Barbara und Christian brechen in das Haus einer Bekannten ein und treffen im zappendusteren Keller auf Malcolm und Clorinda.
Malcolm: "Ich verlange von Ihnen eine Erklärung. Und zwar schnell!"
Christian: "Wer sind Sie? Was machen Sie hier?"
Malcolm: "Das erzählen Sie besser uns, bevor ich die Polizei hole. Dieses ist mein Haus!"
Barbara (energisch): "Nein, das ist nicht wahr. Es gehört Ihnen nicht!"
Malcolm: "Da haben Sie Recht. Wir... mieteten das Haus vor einem Monat. Nicht wahr, Clorinda?"
Clorinda: "Stimmt."
Malcolm: "Mein Name ist Malcolm. Sie sind zwar hier eingedrungen, doch jetzt sind Sie meine Gäste."

Natürlich wirken diese Konversationen noch ulkiger in Kombination mit den Bildern.

Robert Hoffmann ("Die Nacht der rollenden Köpfe") hat eine Ausstrahlung, die ihn geradezu prädestiniert für einen solchen Film und die Rolle des reichen Schnösels. Guido Alberti (eindrucksvoll in Der Berserker) als Malcolm ist ebenso eine exzellente Besetzung  wie der sinistre Adolfo Lastretti, dem man den Bösewicht natürlich auf den ersten Blick ansieht.
Die Britin Suzy Kendall, die in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe und Torso bereits Giallo-Erfahrung sammelte, mimt eine nicht besonders charismatische, etwas spröde Barbara.
Rassimov-Fans freuen sich sicherlich über seine Rolle als Bruder Fritz. Einziger Wermutstropfen: Die deutsche Synchronisation wirkt störend, weil seine Stimme einen eigenartigen Eunuchen-Touch hat, der leider so gar nicht zu seinem ausdrucksstarken Gesicht und seiner Körpergröße passt.

Man muss "Spasmo" schon etwas Wohlwollen entgegenbringen und abwechselnd das linke und das rechte Auge zudrücken, um Gefallen daran zu finden.
Sollte euch dieses Unterfangen gelingen, werdet ihr, beglückt von den Bildern und dem wunderbaren Soundtrack, bestimmt auf vergnügliche gialloeske Weise unterhalten.




Foto: Shriek Show, Eyecatcher und X-Rated VÖ




Foto: Vinyl-OST von Dagored