FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT
Italien, Spanien 1970
Regie: Luciano Ercoli
DarstellerInnen: Dagmar Lassander, Pier
Paolo Capponi, Nieves Navarro (aka Susan Scott), Simón Andreu u.a.
Inhalt:
Minou versucht ihren Gatten (reicher Geschäftsmann) vor dem Gefängnis zu
bewahren, indem sie sich auf die Erpressung durch einen mysteriösen
Fremden einlässt und tappt dabei selbst in eine Falle. Doch als sie
erkennt, dass sie hinters Licht geführt wurde, kann sie es nicht
beweisen. Weder ihr Mann noch ihre beste Freundin und nicht einmal
die Polizei schenken ihr Glauben. Nicht nur ihre Gesundheit, sondern
auch ihr Leben sind in Gefahr...
Minou (Lassander) im Zwielicht |
Lebefrau Dominique (Scott) |
Die schöne und sympathische Minou
(Dagmar Lassander, u.a. bekannt aus Femina Ridens oder Sonne, Sand und heiße Schenkel) hat leider ein Problem. Sie
ist nicht gerade das, was man als eine selbstbewusste, stabile
Persönlichkeit bezeichnen könnte.
Der kontinuierliche Missbrauch von
Beruhigungsmitteln in Kombination mit hochprozentigen Alkoholika ist außerdem ihrer allgemeinen Verfassung sowie ihrer psychischen Gesundheit nicht zuträglich. Den mit jedem erneuten Konsum von Rauschmitteln unweigerlich verknüpften Vorsatz, dieses Mal wirklich mit allem aufzuhören
(nicht um ihrer selbst willen, sondern um ihrem Gatten eine Freude zu
machen!), wirft sie alle paar Minuten kurzerhand wieder über Bord.
Generell wirkt die arme Minou sehr
beeinflussbar und vor allen Dingen abhängig – nicht nur von
Substanzen, sondern auch von der Aufmerksamkeit und Zuneigung ihres oft abwesenden Mannes Pier und ihrer Freundin Dominique.
Ihre Dependenzen und ihre Unselbständigkeit machen die gutgläubige Minou besonders vulnerabel. Aus diesem Grund wird sie auch zum perfekten Opfer des perversen Erpressers. Wie es das grausame Schicksal so will, passiert dies gerade in dem
Moment, als sie endlich einmal etwas selbst in die Hand nehmen möchte und
glaubt, ihren Angetrauten heldinnenhaft vor einem üblen Erpresser zu
retten.
Die Rolle der labilen Minou ist nicht nur mit viel
Feingefühl und Verständnis für den Charakter der Protagonistin konzipiert, sondern auch mit einer erstaunlichen Eleganz und Leichtigkeit
von Dagmar Lassander gespielt. Dieser wahrlich großartigen Schauspielerin gelingt es, die gutgläubige Minou trotz ihrer vermeintlichen
Schwächen so darzustellen, dass man gerne Anteil nimmt an dem
Schicksal dieser Frau.
Trotz schlimmer Erlebnisse kippt sie
nie in diese schier unerträgliche und überzogene Form schriller weiblicher
Hysterie, mit der viele Filmemacher früher sehr unreflektiert und
klischeehaft arbeiteten.
Das Rollenverständnis und das Talent
von Dagmar Lassander ist meiner Meinung nach einer der großen Pluspunkte dieses Thrillers.
Während sich der chronisch überarbeitete und anderweitig beschäftigte Ehemann Pier (Pier Paolo Capponi, u.a. Note 7 - Die Jungen der Gewalt und Das Rätsel des silbernen Halbmonds) gerne etwas aus der Affäre zieht und durch (emotionale und tatsächliche) Abwesenheit glänzt, steht Minou vor allem ihre selbstbewusste Freundin Dominique zur Seite. Letztere wird gespielt von der wie immer erfrischend temperamentvollen und charakterstarken Susan Scott. Dominique kostet das
Leben und ihre Sexualität in vollen Zügen aus und scheint tendenziell in erster Linie hedonistischen Prinzipien zu folgen.
Sie wartet nicht wie Minou auf ihren
Beschützer, der für sie "Ehemann, Freund und Vater" (Minou über ihren Mann) in Personalunion verkörpert. Dominique nimmt sich, wen sie
will und wann sie will. Sie lässt sich nichts vormachen und hat zu allem eine eigene Meinung.
Diese beiden ungleichen Frauen
verbindet dennoch eine enge und liebevolle Freundschaft. Doch wird
diese auch hart auf die Probe gestellt, als Minou merkt, dass ihre engste
Vertraute sich bisweilen nicht so deutlich bei ihr positioniert, wie es
notwendig wäre.
Die Rolle der Dominique ist neben
anderen etwas dubios erscheinenden Personen als roter Hering
angelegt. Ebenso wie die Figur des Ehemanns, der einerseits ja tatsächlich - wie vom Erpresser
behauptet - ein Mörder sein könnte, andererseits nicht in angemessener Form beunruhigt wirkt über die Schilderungen seiner Frau.
Das Motiv des Erpressers (gespielt von Simón
Andreu), der Minou zu sexuellen Handlungen zwingt und zuerst ihre Würde, dann ihr Leben bedroht, bleibt ebenfalls bis zum Ende nebulös.
Dadurch entwickelt sich die spannendste
Dynamik bei Minou selbst – sie wird zum Opfer ihrer eigenen psychischen Instabilität und steht vor allen anderen als unglaubwürdig da.
Dies führt sogar so weit, dass selbst beim Zuschauer oder der Zuschauerin ab und an
Zweifel an gewissen Wahrnehmungen Minous aufflammen.
Man fragt sich, ob die Protagonistin gerade ihren Verstand verliert oder zum Spielball in einem besonders perfiden Plan eines unbekannten Täters geworden ist.
Man fragt sich, ob die Protagonistin gerade ihren Verstand verliert oder zum Spielball in einem besonders perfiden Plan eines unbekannten Täters geworden ist.
Das Spiel mit der Wahrnehmung, Verzerrungen und das Phänomen des sogenannten "unzuverlässigen Erzählers/der unzuverlässigen Erzählerin" ist ein klassisches Motiv in vielen Gialli. Dadurch, dass gezielt Indizien für eine geistige Störung der Protagonistin angedeutet werden und diese Person oft die einzige ist, die gewisse Erlebnisse schildert, entsteht die Unsicherheit, ob eventuell eine paranoide Wirklichkeitsverzerrung die Ursache von den mysteriösen Vorkommnissen ist oder ob jemand gerade absichtlich in den Wahnsinn getrieben wird. Beispielhaft hierfür sind Genrefilme wie A lizard in a woman's skin, Der Killer von Wien oder Die Grotte der vergessenen Leichen.
Wer das Giallo Genre ausschließlich
mit schwarzen Handschuhen und blutbesudelten Rasierklingen verbindet,
ist mit "Le foto proibite..." eindeutig falsch beraten.
Zeit für einen Drink! |
Wer italienische Thriller mit viel
Stil, Eleganz und offen zur Schau gestellter Lasterhaftigkeit der High
Society zu schätzen weiß, muss diesen Film einfach in sein Herz
schließen.
Minou, Dominique und Pier hangeln sich
von einem Whiskey zum nächsten. Das Einzige, was in diesem Film
absolut vorhersehbar ist, sind die jeweils folgenden Drinks. Jede
neue Szene scheint begossen werden zu müssen, es finden sich
erstaunlich viele Anlässe, um sich ein Gläschen zu genehmigen. Dies wirkt herrlich belustigend und so
typisch für die damalige Zeit.
Extravagante Kleidung der 70er Jahre und eine Inneneinrichtung wie aus einem Designerkatalog vervollständigen die beinahe karikaturistische Darstellung des gesellschaftlichen Besitzbürgertums.
Extravagante Kleidung der 70er Jahre und eine Inneneinrichtung wie aus einem Designerkatalog vervollständigen die beinahe karikaturistische Darstellung des gesellschaftlichen Besitzbürgertums.
Der wunderbare Easy Listening
Soundtrack von Maestro Ennio Morricone unterstreicht das Lebensgefühl der Reichen und Schönen und suggeriert trotz an sich schwerer Thematik eine gewisse
Lockerheit und Leichtigkeit.
Fazit: Luciano Ercoli vermochte es, bereits bei
seinem Erstlingswerk beim geneigten Publikum einen wunderbares
cineastisches Flow-Erlebnis zu erzeugen. Die etwas triviale Auflösung am Ende, die
sich in bester Giallo Tradition befindet, gerät dabei eher ins
Hintertreffen. Die Lösung des Rätsels driftet dabei in die Marginalität, denn "Der Weg ist das Ziel".
Habe ich schon mal geschrieben, dass
ich fast alle Regiearbeiten Luciano Ercolis liebe? Ja, es ist so.