LEISE WEHT DER WIND DES TODES
Großbritannien 1971
Regie: Don Medford
DarstellerInnen: Oliver Reed, Candice
Bergen, Gene Hackman, Simon Oakland, Ronald Howard, L.Q. Jones,
Mitchell Ryan, William Watson, G.D. Spradlin u.a.
Inhalt:
Der gesuchte Verbrecher Frank Calder
zieht mit seiner Bande umher und entführt die
junge Lehrerin Melissa, von der er Lesen lernen möchte. Als sich herausstellt, dass Melissa ausgerechnet die Angetraute des schwer reichen und sadistischen Brandt Ruger ist, ist es schon zu
spät. Denn Letzterer macht gemeinsam mit ein paar Freunden, ausgerüstet
mit Gewehren mit enormer Reichweite plus Zielfernrohr, bereits erbarmungslos
Jagd auf Frank und seine Truppe...
Ein nachdenklicher Frank (Reed) |
Die Frau des Schurken - Melissa (Bergen) |
Als Oliver Reed Fan hatte ich diesen
gemeinhin als extrem gewalttätig und blutrünstig kategorisierten
und wahrscheinlich moralisch verwerflichen Western, an dem scheinbar
niemand Gefallen finden kann (oder darf), schon länger auf meinem Radar.
Selbstverständlich gucke ich mir einen
blutrünstigen (Filmblut geht immer), angeblich schlechten (ich kann auch Abstriche machen) Western an, wenn Ollie die
Hauptrolle spielt.
"So mies kann der doch gar nicht sein" dachte ich mir, als ich den Trailer zu "The hunting party" auf youtube sah.
"So mies kann der doch gar nicht sein" dachte ich mir, als ich den Trailer zu "The hunting party" auf youtube sah.
Glücklicherweise hat Explosive Media diesen bisher raren Film kürzlich in bester Qualität veröffentlicht.
Mit Rezensionen zu Oliver Reed Filmen
ist das überhaupt so eine merkwürdige Sache.
Meist findet man in englischsprachigen Quellen die vorherrschende Meinung, dass der
rüpelhafte Brite ein schlechter Schauspieler war oder dass er gar
überhaupt nicht schauspielern konnte.
Jeder Rezipient scheint, wenn
es um den tendenziell unterschätzten und wenig beliebten Engländer
geht, plötzlich zum Sucht-Experten oder Fleisch gewordenen Alkomat
zu werden und daher natürlich genau beurteilen zu können, ob und
wann bzw. in welcher Szene Ollie gerade einen im Tee hatte.
Er wird reduziert auf sein exzessives
Trinkverhalten und kaum als ernstzunehmender Schauspieler wahrgenommen.
Beschäftigt man sich etwas eingehender mit der Karriere von Reed, erfährt man beispielsweise durch die Lektüre seiner Biographie What fresh lunacy is this? unter anderem aus Interviews mit Zeitzeugen, dass Ollie am Set äußerst ehrgeizig war. Dass er trotz alkoholbedingten Exzessen und anderen Eskapaden pünktlichst zu den Dreharbeiten erschienen ist,
immer seinen Text beherrschte und sich stets um Professionalität
bemühte.
Ganz sicher darf man bei einer
Aversion gegen Oliver Reed oder seine Art zu schauspielern "Leise
weht der Wind des Todes" getrost links liegen lassen.
Auch jene, die kein Herz und kein
Verständnis für Exploitation Filme haben, werden mit diesem Film
garantiert nicht glücklich.
Das Magazin "The Variety" bildet mit dem Film Review in dessen Online Ausgabe hier keine Ausnahme.
Der Brutalo-Western erhält eine negative Kurzkritik und es wird
geurteilt, dass Reed und Publikumsliebling Gene Hackman eine eher schlechte Performance geliefert haben.
Im Unverständnis für
Exploitationfilme an sich bringt der nicht namentlich genannte Autor des Textes seine Abscheu, doch auch den
Kern des Genres und das Thema des Films für meine Begriffe
ironischerweise schön auf den Punkt:
"Seldom has so much fake blood been
splattered for so little reason." (The Variety online)
Ob man dieses Fazit zum Film nun als positiv oder negativ einordnet, liegt wie immer im Auge des Betrachters. Die Betrachterin, also in diesem Falle ich, findet die Formulierung jedenfalls interessant und angemessen.
"Leise weht der Wind des Todes", der getrost als typischer
Eurowestern bezeichnet werden kann, macht wahrlich keine Gefangenen.
Doch im Gegensatz zu manchen Italowestern, wo die Charakterzeichnung
und -entwicklung differenzierter ist und sich auf subtilerer Ebene bewegt, wird bei "Leise weht der Wind des Todes" heftigste
Schwarz-Weißmalerei betrieben.
Das gesamte Drehbuch basiert im
Wesentlichen auf dem Krieg zwischen zwei Männern:
Auf der dunklen Seite der
Menschlichkeit präsentiert sich der sadistische Ruger
(Gene Hackman). Er ist ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft,
berühmt und steinreich.
Auf der anderen Seite steht der arme
Schlucker von Bandenführer Calder (Oliver Reed), der doch so gerne
ein guter Mensch geworden wäre, wenn er zur richtigen Zeit am
richtigen Ort gewesen wäre und mehr Ressourcen zur Verfügung gehabt hätte. Ihm
sind Freundschaften und Gemeinschaft wichtig. Und er träumt als
Analphabet davon, eines Tages ein Buch lesen zu können. Deshalb
hatte er in seiner Verzweiflung wohl kaum eine andere Wahl, als Lehrerin Melissa zu kidnappen.
Dass Frank Calder im Grunde genommen
ein netter Mensch ist, erkennt die schöne und mutige Melissa (Candice Bergen) spätestens nach der ersten
Vergewaltigung. Sie, die eigentlich Rugers Frau ist, wendet sich nach ein paar bockigen Aktionen
und etwas zur Schau gestellter Widerspenstigkeit sodann Calder
zu.
ZynikerInnen könnten die These
aufstellen, dass Frank sanfter vergewaltigt als Brandt, denn beide
nehmen sich Melissa ohne deren offensichtlichen freien Willen.
Aber wir bewegen uns wie eingangs
erwähnt in der Exploitation Ecke der ganz frühen 70er Jahre. In diesem Kontext kann man schon mal ein oder ganz kurz auch zwei Augen zudrücken.
Vielleicht passt der Film auch gar nicht so
gut in die Kategorie "Western", wie es auf den ersten Blick
scheinen mag. Obwohl Cowboys mit Hüten, Halsbändern und
Pistolengurten die Optik prägen, ist die Handlung näher verwandt mit
dem Manhuntfilm bzw. Slasher Genre. Die Gruppe um Frank wird nach und
nach dezimiert.
Die Effekte sind drastisch, aus den
Einschusslöchern spritzt in Zeitlupe Blut, Muskel- und manchmal auch Hirnmasse. Es wird dorthin geschossen, wo es richtig weh tut und
nicht alle Opfer von Brandt Ruger sterben einen gnädigen schnellen
Tod.
Ruger findet sichtlich immer mehr Gefallen an der
Jagd und dem Nervenkitzel, dem Gefühl von Macht über Leben und Tod.
Seine Gefährten äußern ab und an moralische Zweifel an der
Menschenjagd, setzen sich jedoch gegenüber dem dominant und
autoritär auftretenden Millionär nicht durch.
Im Gegensatz zu manchen italienischen Rache-Western wie beispielsweise Satan der Rache, Töte, Django oder Leichen pflastern seinen Weg steht das Motiv für die grausamen Morde Rugers und seiner Männer nicht als Motiv für seine Taten im Vordergrund. Ruger erwähnt zwar, dass er sauer auf Calder ist, der sicherlich bereits seine Frau geschwängert hat und dass er keine Lust hat, einen Bastard von Calder aufziehen und durchfüttern zu müssen. Aber diese Erklärung ist mehr Alibi Funktion. Denn es ist ihm keine himmelschreiende Ungerechtigkeit widerfahren und es wurde ihm auch nicht alles genommen, was ihm lieb und teuer ist. Er hat schlicht und einfach Blut geleckt. Das Überlegenheitsgefühl beim Töten, zu bestimmen, wer wann und wie stirbt, bereitet ihm diabolisches Vergnügen. Er will alles und jeden vernichten.
Ruger (Hackman) hat Blut geleckt... |
Dadurch, dass er und seine Begleiter
über speziell angefertigte Gewehre mit hoher Reichweite verfügen,
können sie sich an sicheren Orten verstecken und ihre Ziele in aller
Ruhe ins Visier nehmen.
Ungläubig, doch sehr eindringlich, wiederholt ein Mann aus Franks Truppe fast schon trotzig den Satz "No gun shoots that far!" so lange, bis er selbst zum Opfer Rugers wird.
Ungläubig, doch sehr eindringlich, wiederholt ein Mann aus Franks Truppe fast schon trotzig den Satz "No gun shoots that far!" so lange, bis er selbst zum Opfer Rugers wird.
Verzweiflung macht sich unter den
Männern Calders breit.
Candice Bergen, Oliver Reed und Gene
Hackman tragen diesen Film und machen ihn zu einem spannenden und
absolut intensiven Seh-Erlebnis. Das melancholische
Soundtrack-Hauptthema aus der Feder eines meiner italienischen
Lieblings-Komponisten, Riz Ortolani, betont und unterstreicht die
Dramatik der Geschichte.
Sogar die Romanze zwischen Melissa und
Frank entwickelt irgendwann eine gewisse Glaubwürdigkeit, was meiner Meinung nach dem hervorragenden Schauspiel Bergens und Reeds zu verdanken ist. Dennoch tut
man gut daran, nicht alles allzu Ernst zu nehmen.
Als Ollie Fan muss man diesen Film
gesehen haben! Seine Mimik, diese Blicke aus den blauen,
tiefgründigen und doch manchmal getrübt wirkenden Augen sind von
einer Intensität, der man sich kaum entziehen kann. Für seine Rolle
als Cowboy eignete Reed sich extra einen amerikanischen Akzent an,
den er bei einem New Yorker Hamburger Verkäufer öfters gehört
hatte.
Es wird zwar manchmal etwas genuschelt
und aufgrund der slang-gefärbten Sprache der Cowboys ist zumindest
mir nicht immer jedes einzelne Wort verständlich, aber mit
Unterstützung von Untertiteln überhaupt kein Problem. Oliver Reed
hatte eine wunderbare markante Stimme und sollte unbedingt in Originalton genossen werden!
Trotz der ein oder anderen unnötigen
Länge in der zweiten Filmhälfte ist "The hunting party" spannend, mitreißend und bewegend.
Definitiv Pflicht für alle, die
mit nihilistischen Eurowestern und den HauptdarstellerInnen etwas anfangen
können.
Foto: Blu Ray von Explosive Media