LEICHEN UNTER BRENNENDER SONNE
Belgien, Frankreich 2017
Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzani
DarstellerInnen: Elina Löwensohn,
Stéphane Ferrara, Bernie Bonvoisin, Michelangelo Marchese, Marc
Barbé, Hervé Sogne, Dorylia Calmel, Marilyn Jess u.a.
Inhalt:
Irgendwo an der Küste Korsikas lebt
die Künstlerin Luce in einer kleinen Ruinenanlage.
Derzeit leisten ihr ein Autor und ein
Anwalt Gesellschaft. Als drei Banditen, die gerade einen
Goldtransport überfallen haben sowie zwei Frauen und ein Kind
ebenfalls bei der exzentrischen Dame Zuflucht finden und kurz darauf die
Polizei auftaucht, bricht an dem an sich idyllischen Ort ein wahres Chaos
aus...
Die Künstlerin (Elina Löwensohn): ausdrucksstark |
Ein Beispiel für die stilvolle Szenen-Beleuchtung |
"Chaos" ist in Zusammenhang mit "Leichen unter brennender Sonne" ein gutes Stichwort für den Einstieg in meine Kritik.
Denn die – man mag es kaum glauben,
aber es entspricht der Wahrheit – tatsächlich auf einem Roman von Jean-Patrick Manchette basierende Geschichte, die Cattet und Forzani (nicht) erzählen,
wirkt bisweilen absurd und verwirrt alle, die den Versuch
unternehmen, nach einer schlüssigen Interpretation des Films zu
suchen.
Da ich den Vorgänger-Film des
französischen Regie-Paares (Der Tod weint rote Tränen) kenne und schätze, habe ich mich jedoch ganz entspannt ohne besondere
Erwartungshaltung bezüglich Nachvollziehbarkeit der Handlung zurückgelehnt und die optische und akustische Orgie
bewundert.
Wie Der Tod weint rote Tränen ist auch der neuste Film von Cattet und Forzani eine ehrfürchtige Verneigung
vor dem italienischen Genrekino der Siebziger Jahre, im direkten Vergleich jedoch weitaus
weniger düster und mysteriös. Dies ist nicht nur der Tatsache
geschuldet, dass ein Großteil der Szenen in der gleißenden Sonne
Korsikas gedreht wurde, sondern auch dem augenzwinkernden Humor, der
in einigen Momenten durchblitzt.
Wenn der Polizist, der von schwer
bewaffneten Gangstern umzingelt ist, völlig übermotiviert zwischen den Ruinen hin und her
hüpft und den Schurken zuruft, sie sollen sich ergeben, wirkt
es eher wie ein kindliches Räuber und Gendarm Spiel als mitten aus
dem Leben gegriffen.
Auch die spärlich eingesetzten Dialoge
sind zum Teil amüsant und doch sind sie das absolute Gegenteil von offensichtlichem oder gar plattem Humor. Manchmal fällt die Entscheidung, ob man eine Situation komisch oder eher tragisch finden soll, schwer.
Diese spezielle Situationskomik ist sicher nicht für ein breites (kommerzielles) Publikum geeignet, was selbstverständlich auch auf das Gesamtwerk zutrifft. Denn bei "Leichen unter brennender Sonne" gehen sogar unter Genre-KennerInnen die Meinungen eklatant weit auseinander.
Diese spezielle Situationskomik ist sicher nicht für ein breites (kommerzielles) Publikum geeignet, was selbstverständlich auch auf das Gesamtwerk zutrifft. Denn bei "Leichen unter brennender Sonne" gehen sogar unter Genre-KennerInnen die Meinungen eklatant weit auseinander.
Manche Kritikpunkte sind für mich
durchaus nachvollziehbar. Besonders wenn sie dem persönlichen
cineastischen Präferenzen geschuldet sind. Doch bei dem ein oder
anderen Review im Netz entsteht leider der Eindruck, dass sich jemand
mit einem unqualifizierten "Verriss" des Films auf dessen Kosten
einfach ein bisschen wichtig machen will.
Als bekennende Verehrerin der Filme
bzw. Genres, die quasi das künstlerische Fundament von "Leichen
unter brennender Sonne" darstellen, beginnt mein Herz ab den ersten
Minuten schon zu frohlocken.
Auf den Vorspann im Stil von manchen Italowestern Trailern folgen viele Reminiszenen an die italienischen
Regisseure von damals und einige meiner Lieblingssoundtracks (z.B. The Child – Die Stadt wird zum Alptraum, "Zombies unter
Kannibalen", "Willkommen in der Hölle" oder Von Angesicht zuAngesicht) heben die Stimmung noch weiter.
Manche der vom Regiepaar zitierten Filme sind für mich klar identifizierbar wie zum Beispiel Der Killer von Wien, Töte, Django, "Die Rache des Paten", "Für ein paar Dollar mehr" oder Mario Bavas Wild dogs. Doch bei nicht wenigen Szenen entsteht einfach das seltsame Gefühl der Vertrautheit. Man nimmt etwas wahr, das man schon mehrfach ähnlich oder genau so in Heist-Movies, Poliziotteschi, Gialli oder Italowestern gesehen hat. Doch es lässt sich (noch) nicht eindeutig zuordnen.
Manche der vom Regiepaar zitierten Filme sind für mich klar identifizierbar wie zum Beispiel Der Killer von Wien, Töte, Django, "Die Rache des Paten", "Für ein paar Dollar mehr" oder Mario Bavas Wild dogs. Doch bei nicht wenigen Szenen entsteht einfach das seltsame Gefühl der Vertrautheit. Man nimmt etwas wahr, das man schon mehrfach ähnlich oder genau so in Heist-Movies, Poliziotteschi, Gialli oder Italowestern gesehen hat. Doch es lässt sich (noch) nicht eindeutig zuordnen.
Der weiße Lieferwagen
(Goldtransport), der auf der Küstenstraße überfallen wird, das
Entlangrasen an dieser kurvenreichen Strecke, die in Staub und Dreck
eingegrabenen (unechten) Gliedmaßen, die prominent in Szene
gesetzten schwarzen Lederhandschuhe (sind es vielleicht doch genau die Handschuhe aus Torso?) oder der zerbrochene Spiegel, in dem
man das Antlitz des Polizisten sieht fallen mir spontan als Beispiele dafür ein.
Cattet und Forzani spielen wie gewohnt
meisterhaft und exzessiv mit Farben, Formen, Techniken und Effekten. Close-Ups,
kunstvolle Beleuchtung, das Hervorheben und Überbetonen von Farben
und der Geräuschkulisse bilden bei "Leichen unter brennender
Sonne" zusammen mit dem hervorragenden Soundtrack das Salz in der
(drehbuchtechnischen) Suppe.
Obwohl "Leichen unter brennender
Sonne" auf ProtagonistInnen mit eindeutigem
Identifikationspotential verzichtet, bleibt der Film
faszinierenderweise spannend. Man sieht schlichtweg zu wenig
Zusammenhängendes von den einzelnen Personen, um eine genauere
Charakterisierung vornehmen zu können.
Doch die SchauspielerInnen, allen voran
Elina Löwensohn (Luce), sind so gut gecastet, dass die trotz einigen Rückblenden fehlende Tiefe der Figuren dem
Sehvergnügen keinen Abbruch tut.
Denn sie alle haben Charaktergesichter, die
wirken, als ob ihre Physiognomie selbst mit ihren Ecken und Kanten
(bzw. Falten) bereits eine Geschichte erzählt. Man nimmt ihnen die
Menschen mit (bewegter) Vergangenheit ohne mit der Wimper zu zucken
einfach ab und mir hat es großes Vergnügen bereitet, jedem
Einzelnen beim Spielen zuzusehen.
"Leichen unter brennender Sonne" entzieht sich in vielen Aspekten jeglicher Form von
Eindeutigkeit. Wer damit umgehen kann, sollte dieses Seh-Experiment
auf jeden Fall wagen.
Foto: Blu Ray von Koch Media
Foto: Blu Ray von Koch Media
Noch eine kleine persönliche
Nebenbemerkung in eigener Sache.
Wer sich ab und zu auf diesen Blog
verirrt, hat wahrscheinlich schon den ein oder anderen unserer Drehort-Vergleiche gesehen. Die auf "Schattenlichter" veröffentlichten Fotos sind einige, doch noch längst nicht alle,
die ich im Laufe der letzten Jahre von Film-Locations (eine
vollständige Übersicht findet man hier) gemacht habe.
Während es früher meist so war, dass wir uns dachten "da will ich hin", kommt es in den letzten Jahren
immer öfters vor, dass es heißt "da waren wir doch schon einmal" bzw. "davon hab ich doch irgendwo Fotos". Und jedes Mal, wenn dies der Fall ist, freuen wir uns wie kleine Kinder darüber. So auch heute.
"Leichen unter brennender Sonne" wurde offenbar auf Korsika gedreht, was man überall im
Netz nachlesen kann. Doch ich kann euch versichern, dass die
verfallene Kirche, in der manche Szenen spielen, nicht auf der Insel
steht.
Denn wir waren im Jahr 2016 anlässlich eines Geburtstags-Wochenendausflugs zufällig in einem
kleinen verfallenen Dorf in den Bergen, wohin sich normalerweise keine
bis wenig Touristen verirren und wo ich doch tatsächlich besagte Kirche bewundert und
fotografiert habe...
Hier ein paar meiner Urlaubs-Impressionen und Screenshots (linksbündig) zum Vergleich: