WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN
Großbritannien, Italien 1973
Regie: Nicolas Roeg
DarstellerInnen: Julie Christie, Donald
Sutherland, Hilary Mason, Cleilia Matania, Massimo Serato, Renato
Scarpa u.a.
Inhalt:
Bald nach dem Tod ihrer kleinen Tochter
Christine reisen John und Laura Baxter nach Venedig. Hier soll John
im Auftrag des Bischofs eine Kirche restaurieren. Bei einem Restaurant Besuch lernt das
britische Paar zwei ältere Schwestern aus Schottland kennen. Eine
der Frauen ist blind und besitzt hellseherische Fähigkeiten. Sie
erzählt Laura, dass Christine immer noch bei ihr ist und spricht
eine Warnung aus – John befindet sich hier in Venedig in
Lebensgefahr. Lauras Mann kann nicht verstehen, warum seine Frau der
blinden Lady Glauben schenkt, obwohl er selbst immer häufiger Dinge
sieht und erlebt, die nicht mehr rational zu erklären sind...
Drama pur bereits in den ersten Minuten |
Laura am Tisch mit der Seherin (links) und deren Schwester |
Die ersten Minuten von "Wenn die
Gondeln Trauer tragen" sind auf emotionaler Ebene wahrscheinlich
die dramatischsten des gesamten Werks. Immer, wenn ich diese Szenen gesehen habe, hatte ich das Gefühl, dass da neben dem Offensichtlichen
(Christines Tod, dem Schock ihres Bruders und der Verzweiflung der
Eltern) zugleich etwas nicht Greifbares, nicht Beschreibbares ist.
Etwas, was dicht unter der Oberfläche lauert und doch meisterlich
getarnt ist.
Es scheint der Geschichte etwas
Mysteriöses inne zu wohnen, das hinter den intensiven Rot-Tönen und
Spiegelungen lauert.
Dass der Anfang des Films bereits auf mehreren Ebenen andeutet, was am Ende passieren wird, habe ich erst jetzt bei der dritten Sichtung verstanden.
Dass der Anfang des Films bereits auf mehreren Ebenen andeutet, was am Ende passieren wird, habe ich erst jetzt bei der dritten Sichtung verstanden.
Die wahre Großartigkeit von Roegs Regie-Glanzleistung wurde mir genau genommen erst vor wenigen Tagen offenbar, als ich andächtig in
einem kleinen Kino, umgeben von ausschließlich grau-
und weißhaarigen Menschen saß. Weder die Unkosten für einen Kinobesuch in der Schweiz noch die Stimme einer älteren Dame hinter mir, die sich beim
ersten Zoom auf Sutherlands Gesicht paradoxerweise mit leicht abfälligem Unterton äußerte: "Däs
isch abr an alta Film!" vermochten meine euphorische Stimmung zu trüben.
Das Spiel mit Schatten, Lichtbrechung,
Farben und Spiegelungen setzt kontrastreiche Akzente in den an sich
langsam und fast träge inszenierten Handlungsrahmen in Venedig. Die gezielten
Schnitte und dadurch erzeugten Unterbrechungen der Kontinuität von
Szenen vermitteln ein Gefühl von surrealem Erleben. Wie Sprünge in der Oberfläche, wie Risse, die sich durch die Banalität des menschlichen Daseins ziehen.
Ebenso beeindruckend arbeitet Roeg mit Wiederholungen und Verfremdungen in einer Art und Weise, wie ich sie noch in keinem anderen Film erkennen konnte.
Die starke Symbolik der Bildsprache fordert das Publikum und bereitet den Pfad für unterschiedliche Deutungsebenen – religiös, psychologisch, übernatürlich. Diese inspirierende Wirkung, das Verführen zur eigenen geistigen Kreativität und Interpretation, zählt zu einem der bemerkenswertesten Aspekte von "Wenn die Gondeln Trauer tragen".
Wie der Originaltitel impliziert, kommt dem Sehen und dem Zeitpunkt des Sehens eine zentrale Bedeutung zu. Die tatsächliche Blindheit der Seherin wird der im übertragenen Sinne zu verstehenden Blindheit des Sehenden gegenüber gestellt. Die ältere Dame ohne Augenlicht versteht, was sie gerade wahrnimmt und vermag es in den richtigen Kontext zu bringen. John hingegen verwechselt fatalerweise das, was er sieht, mit der Realität und ignoriert infolgedessen jegliche Warnungen. Er kann nicht zwischen Sehen und Hellsehen unterscheiden. John verlässt sich nur auf einen seiner Sinne. Er nimmt keinen Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft wahr.
Ebenso beeindruckend arbeitet Roeg mit Wiederholungen und Verfremdungen in einer Art und Weise, wie ich sie noch in keinem anderen Film erkennen konnte.
Die starke Symbolik der Bildsprache fordert das Publikum und bereitet den Pfad für unterschiedliche Deutungsebenen – religiös, psychologisch, übernatürlich. Diese inspirierende Wirkung, das Verführen zur eigenen geistigen Kreativität und Interpretation, zählt zu einem der bemerkenswertesten Aspekte von "Wenn die Gondeln Trauer tragen".
Wie der Originaltitel impliziert, kommt dem Sehen und dem Zeitpunkt des Sehens eine zentrale Bedeutung zu. Die tatsächliche Blindheit der Seherin wird der im übertragenen Sinne zu verstehenden Blindheit des Sehenden gegenüber gestellt. Die ältere Dame ohne Augenlicht versteht, was sie gerade wahrnimmt und vermag es in den richtigen Kontext zu bringen. John hingegen verwechselt fatalerweise das, was er sieht, mit der Realität und ignoriert infolgedessen jegliche Warnungen. Er kann nicht zwischen Sehen und Hellsehen unterscheiden. John verlässt sich nur auf einen seiner Sinne. Er nimmt keinen Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft wahr.
Donald Sutherland (John Baxter) und
Julie Christie (Laura Baxter) wurden nicht nur von Roeg zu
schauspielerischen Höchstleistungen motiviert, sondern auch zu
vollem Körpereinsatz. Die damals für einen kleinen Skandal sorgende
Sex Szene zwischen dem Paar heizte Spekulationen darüber an, ob diese
Sequenz tatsächlich nur gespielt war. Wie wir heute wissen, wurde sie minutiös mithilfe von genauen Regieanweisungen inszeniert.
Sutherland, der laut eigener Aussage
unter Höhenschwindel litt, vollführte den waghalsigen und
lebensgefährlichen Stunt in der Szene, in der er nur noch an einem
Seil in halsbrecherischer Höhe über dem Marmorboden der Kirche
hängt, höchstpersönlich. Die Arbeit an diesem Film hat den Schauspieler nachhaltig beeinflusst. Aus großem Respekt vor dem Regisseur
benannte Donald sogar einen seiner Söhne nach ihm – Roeg
Sutherland.
Venedig, die im Verfall begriffene Stadt, die nicht
nur durch das seine Grundmauern abtragende Wasser, sondern auch vom Massentourismus allmählich ausgehöhlt wird, war und ist
faszinierend. Besonders in der kalten Jahreszeit und
in Abwesenheit von Tagestouristen verströmt es nach wie vor einen
unwirklich morbiden Charme und regt mit seinen dunklen Gassen und spärlich beleuchteten Ecken die Phantasie an.
Dass Daphne du Mauriers Geschichte, auf
der das Drehbuch basiert, in Venedig ihren Lauf nimmt und den Ort zu
einem Schauplatz von Mysteriösem und menschlicher Tragödien wird,
verwundert nicht. Diese Umgebung wirkt an sich wie eine Phantasie und fungiert als perfekter psychologischer Nährboden für Visionen. Für die ästhetischen Aufnahmen der Lagunenstadt und die faszinierende Bildsprache wurde Kameramann Anthony B. Richmond 1974 mit dem Britischen Filmpreis honoriert.
Doch was wäre "Wenn die Gondeln
Trauer tragen" ohne die elegische Musik von Pino Donaggio, die
zwischen Naivität, Melancholie und Dramatik changiert. Für mich zählt dieser
Soundtrack zu den schönsten und tragendsten Kompositionen in der
Geschichte der Filmmusik.
Er bildet einen essentiellen Bestandteil des Gesamtkunstwerks "Don't look now", das sich am Ende wie die
Mosaiksteine in der Kirche, die John restauriert, zu einem großen formvollendeten Ganzen zusammenfügt.
Wie bei Die Wiege des Satans und Parapsycho - Spektrum der Angst fiel mir auf, dass ich einen kleinen Drehortvergleich (noch mehr Bilder in meinem Venedig-Drehort-Special hier) mit meinen Urlaubsfotos machen könnte et voilà:
Hier die Szene aus dem Film |
Es ist fast schon unheimlich, ich staune selbst... Mein Foto aus dem Jahr 2009 |
Die Kirche, die John restauriert |
Mein Foto von der Kirche 2014 |
Hier stehen die älteren Damen neben der Säule... |
... die man auf meinem Foto ebenfalls sieht |
John als dunkle Gestalt zwischen den Bögen |
Wieder ein merkwürdiger Zufall? Auf meinem Foto befindet sich ebenfalls eine dunkle Gestalt an diesem Punkt |
Screenshot von der Anlegestelle |
Auch an dieser Stelle war ich auch schon. Wie man sieht... |
... das Haus hat heute eine andere Farbe, das Wasser steht höher |
Foto: DVD vom Label Kinowelt
Foto: 4K Veröffentlichung von Studio Canal