Sonntag, 30. Mai 2021

NAPOLI VIOLENTA (1976)



CAMORRA – EIN BULLE RÄUMT AUF

Italien 1976
Regie: Umberto Lenzi
DarstellerInnen: Maurizio Merli, John Saxon, Guido Alberti, Giovanni Cianfriglia, Luciano Rossi, Gabriella Lepori, Ivana Novak, Tommaso Palladino, Massimo Deda, Barry Sullivan u.a.

Inhalt:
Kommissar Betti prügelt sich durch die neapolitanische Unterwelt und legt sich mit dem obersten Camorra Boss und seinen Schergen an. Es geht nicht nur um die Bekämpfung des Verbrechens, sondern schließlich auch um Leben und Tod…


Kommissar Betti (Merli) mit entschlossenem Blick



Ganz vorne mit dabei in der Mafia (John Saxon)


Kaum einer der italienischen Regisseure seiner Zeit bediente so viele verschiedene Genres wie Umberto Lenzi (Der Berserker, Spasmo). "Napoli Violenta" entstand zur Blütezeit des italienischen Polizeifilms und war in Italien, gemessen an den Einspielergebnissen, wohl auch einer der erfolgreichsten Poliziotteschi.
Kein Wunder, wenn man den Film kennt.

„So lange ich atme entkommt mir keiner!“ (Kommissar Betti)


Kommissar Betti (Maurizio Merli, u.a. bekannt aus Verdammte, heilige Stadt oder Die Gewalt bin ich) lässt sich von nichts und niemandem einschüchtern und verfolgt die Verbrecher wie ein Bluthund. Für einen Mann wie ihn wurde das Wort "Draufgänger" vermutlich erfunden.
Frisch nach Neapel versetzt, wird Betti schon am Bahnhof persönlich vom ortsansässigen Camorra Boss, der sich von seinen Untergebenen "Generale" nennen lässt, begrüßt. Nachdem sich die beiden Kontrahenten tief, feindselig und bedeutungsschwanger in die Augen gesehen haben, geht es so richtig zur Sache in der süditalienischen Stadt und das Blut fließt auf beiden Seiten des Gesetzes.


Halsbrecherische Fahrten...



... und das Ganze aus Ego-Perspektive



Bereits diese erste Szene des Vorspanns, in dem der Generale sich von seinem Chauffeur durch den neapolitanischen Stadtverkehr kutschieren lässt, katapultiert das Publikum direkt ins Geschehen.
Auch im weiteren Verlauf gibt es 
sowohl für die Protagonisten als auch das Filmpublikum kaum Atempausen. Das actionreiche Drehbuch kommt mit nur wenigen Dialogen aus, die Szenen sind selbsterklärend. Niemand sagt einen Satz oder ein Wort zu viel. Wir werden konfrontiert mit einer Aneinanderreihung von dramatischen Ereignissen, in denen teils grausame Verbrechen begangen werden und Menschen wegen kleinen Beträgen Leid zugefügt wird.

Das Herausragende an "Napoli Violenta" ist, dass er abseits des Genremainstreams nicht nur eine geradlinige Milieustudie präsentiert, sondern auch, dass die Seite der Opfer beinahe empathisch beleuchtet wird. Diese Menschen, die beraubt, vergewaltigt und verletzt wurden, haben einen Namen und eine Geschichte. Das ihnen zugefügte Leid ist nicht nur materiell, sondern es wird sichtbar, dass sie einen viel höheren Preis bezahlen als einen Vermögensschaden.
Sie fühlen sich nicht mehr sicher, sind körperlich aber vor allem auch seelisch verwundet. Man kann nur erahnen, welche Auswirkungen die Traumatisierung der vergewaltigten Frau oder der alten wehrlosen Dame, die wegen eines Rings die Treppe hinuntergestoßen wird und im Krankenhaus landet, hat.
Am eindrücklichsten und sehr bewegend ist das Schicksal des kleinen Gennarino, dessen Vater sich weigert, Schutzgeld für seine Autowerkstätte zu zahlen. Kommissar Betti begegnet dem Jungen mehrmals. Offensichtlich gefällt ihm die unbekümmerte freche Art des kleinen Rabauken, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt. Doch nachdem die Mafiosi mit Gennaro und seinem Vater abgerechnet haben, ist auch der kleine Junge deutlich für sein restliches Leben gezeichnet.
All das wird ohne übertriebenen Pathos in einer komprimierten Weise dargestellt und dient vielleicht auch ein wenig der Legitimation der oft übertriebenen Gewalttätigkeiten, die Betti gegenüber den Verbrechern einsetzt. 


Unverkennbar unser Parade-Schurke - L. Rossi


Wie man es von Merli und seinen Rollen als Polizist erwartet, prügelt er ohne Rücksicht auf Verluste auf die Verdächtigen ein, bevor er sie verhört und nicht immer liefert er die Schurken der Justiz aus, sondern spielt sich bisweilen sogar als Personalunion zwischen Richter und Henker auf.
Die unverhohlene Drastik, mit der sowohl das Vorgehen der fiesen Kleinkriminellen und Mafiosi als auch die Gewaltbereitschaft des Kommissars dargestellt wird, beschönigt weder die Seite der Verbrecher noch die der Polizei. Die Taten werden nüchtern gegenübergestellt und dem Publikum die persönlichen Bewertung bzw. moralische Einordnung überlassen.


Merli macht auf Belmondo


Neben ausgezeichnet gecasteten Darstellern (die weibliche Endung lasse ich mal absichtlich weg, denn es ist in erster Linie ein Männerfilm) bietet "Napoli Violenta" Stunts und Actionszenen, spektakulär gedrehte halsbrecherische Verfolgungsjagden durch den Stadtverkehr Neapels und einen wunderbar groovigen Soundtrack ("A man before your time…"), der zu den besten aus dem Polizeifilmgenre gezählt werden kann.
Die deutsche Synchronisation trägt noch ordentlich auf und setzt dem rasanten Treiben durch markige und politisch unkorrekte Sprüche noch die Krone auf.
"Napoli Violenta" ist ein Film, der eindeutig ein Kind seiner Zeit ist und im historischen Kontext als brachialer und testosterongeladener Action Film eingeordnet, auch heute noch beste Unterhaltung und Zerstreuung bieten kann.





Foto: DVD von KochMedia