Sonntag, 18. April 2021

BLOOD ON SATAN'S CLAW (1971)


IN DEN KRALLEN DES HEXENJÄGERS
SATAN’S SKIN
(Alternativtitel wie vom Regisseur intendiert)

Großbritannien 1971
Regie: Piers Haggard
DarstellerInnen: Linda Hayden, Patrick Wymark, Michelle Dotrice, Wendy Padbury, Anthony Ainley, Barry Andrews, Milton Reid u.a.

Inhalt:
In einem kleinen Dorf in Großbritannien des 17. Jahrhunderts macht Bauer Ralph beim Umgraben seines Ackers einen grausigen Fund. Die Egge fördert menschliche Überreste in Form eines wurmbedeckten Auges, umrahmt von tierähnlichem Fell zutage. Doch als er seine Entdeckung dem Richter des Orts zeigen möchte, ist nichts mehr davon auffindbar. Kurze Zeit später scheinen immer mehr Personen im Umkreis dem Wahnsinn zu verfallen und die Jugendlichen im Dorf, allen voran ein Mädchen namens Angel Blake, legen ein zunehmend merkwürdiges Benehmen an den Tag…


Angel Blake (Hayden) - Engel oder Teufel?


Die menschlichen Überreste sind verschwunden!?!


Bauer Ralph bemüht sich zu Beginn des Films noch, den gegenüber Hexenglauben und übernatürlichen Phänomenen kritisch eingestellten Richter zu überzeugen, dass er ein Biest auf dem Acker gefunden hat - oder zumindest merkwürdige menschliche Überreste. Als der Kopf mit dem bewurmten Glubschauge verschwunden ist und ihm Hochwürden keinen Glauben schenken will, kickt Ralph frustriert ein Stück einer Wirbelsäule zur Seite. Dies scheint originellerweise weder ihm selbst noch dem Richter aufzufallen.

Doch dieser Funke von Humor wird schon bald vom dichten Nebel, der sich schwer und bodennahe über den Feldern und Äckern ausbreitet, verhüllt.

Durch das Zutage fördern des seltsamen Wesens auf dem Acker wird eine Kette von unerklärlichen Ereignissen und Phänomenen in Gang gesetzt. Der Verfall von Sitte und christlicher Moral innerhalb der bigotten ländlichen Gemeinde schreitet unaufhaltsam voran.
Praktiziert wird alles, was einer christlichen Grundhaltung und den zehn Geboten widerspricht: es wird gelogen, vergewaltigt, gemordet.
Im Übertragenen Sinne könnte man das Geschehen auch sinnbildlich übersetzen. Das, was permanent unter der Oberfläche der Zivilisation lauert – der animalische, triebgesteuerte und gefährliche Teil der menschlichen Natur, wurde beim Umgraben ans Tageslicht befördert. Einmal aus dem Tabu bzw. der Dunkelheit (der Erde) geholt, verbreitet sich das Unmoralische ungehindert wie eine Seuche unter der Bevölkerung.

Die Auswüchse des dämonischen Treibens machen vor nichts und niemandem Halt.
Es beginnt mit der naiven Bauerstochter, die von ihrem Liebsten zuhause vorgestellt wird.
Während sie sich zu Beginn quasi als Inbegriff der "Unschuld vom Lande" präsentiert, so wird sie während ihres nächtlichen Aufenthalts auf dem Dachboden zu einer gefährlich und besessen wirkenden Irren transformiert. Durch die schauspielerische Qualität dieser Darstellerin hat man beinahe den Eindruck, dass sich über Nacht sowohl ihr Wesen als auch ihr gesamter Ausdruck, sogar ihre Gesichtszüge, komplett gewandelt haben.
Die genaue Ursache für den Ausbruch des Chaos bleibt ebenso wie die Verbreitungswege des Wahns unaufgeklärt, was der düsteren, beinahe apokalyptischen Atmosphäre des Films sehr zuträglich ist.
Die Grenzen zwischen Realität und Wahn verschieben sich und verschwimmen vor dem Auge des Filmpublikums bis nur noch die Umrisse der Handlung erkennbar sind.
Was von allen gezeigten Phänomenen und eigentümlichen Verhaltensweisen auf einfach erklärbare Sinnestäuschungen, was auf Massenhysterie und was tatsächlich auf dämonisches Treiben zurückzuführen ist, bleibt letztendlich unserer persönlichen Interpretation überlassen.


Nicht einmal mehr zwei Kreuze können noch helfen

Man könnte auch so weit gehen, das gesamte Treiben der Menschen im Film als Sittenspiegel des mittelalterlichen Aberglaubens oder lose Anspielung auf die vorherrschende Hysterie in der Zeit der Hexenprozesse zu deuten. Die Angst der christianisierten Bevölkerung vor dem Archaischen und den heidnischen Praktiken dominiert deren sichtbare Reaktionen und folgende Aktionen.
Gerade die Szene, in der einige Männer Margaret ins Wasser werfen und ihr interessiert und emotional distanziert beim Untergehen zusehen, zeigt, dass innerhalb der Dorfgemeinschaft etwas ganz fundamental aus dem Lot geraten ist.

Der Natur wird in "Satan's Skin" eine essenzielle Bedeutung eingeräumt. Das Umpflügen des Ackers als Eingriff des Menschen in das Ökosystem (die Oberfläche) der Erde und die daraus resultierende Zerrüttung moralischer Werte und Verrohung der Menschen kann eine Bedeutung auf metaphorischer Ebene haben.
Offensichtlich ist jedenfalls, dass die Landschaft an sich in vielen Szenenbildern wie ein optischer Rahmen und zugleich wie ein Versuch der Ordnung des ausbrechenden Chaos' wirken.
Im Vergleich zu anderen Genrefilmen der Sechziger und frühen Siebziger wurden die Landschaft, das Firmament und die Vegetation nicht künstlich durch die Verwendung von Kulissen, Filtern und Matte Paintings erzeugt. Durch den Verzicht auf diese Instrumentarien und Techniken wirkt "Satan's Skin" besonders authentisch und zeitlos.

Der Soundtrack dieses frühen britischen Folk Horrorfilms verbreitet einen Hauch Melancholie und Tragik. An dieser Stelle bildet die musikalische Untermalung einen auffälligen Kontrast zu vergleichbaren zeitgenössischen Filmen (wie beispielsweise die vieler Produktionen der Hammer Studios) ab.
Das Hauptthema ist eine Melodie mit besonderem Wiedererkennungswert.
In diesem Bereich und auch was die mitunter radikalen Effekte und die Freizügigkeit der Darstellerinnen betrifft, war Haggards Werk seiner Zeit deutlich voraus.

Die Intensität des Films und das Unbehagen, das er hervorruft, sind in nicht zu unterschätzendem Ausmaß den talentierten jungen Schauspielerinnen zu verdanken. Besonders im Gedächtnis bleibt natürlich Linda Hayden in der Rolle der Angel Blake. Trotz ihrer passend zum Vornamen engelsähnlichen blonden Mähne und den strahlenden blauen Augen lässt ihre laszive Körpersprache und auch ihre undurchschaubare Mimik keinen Zweifel aufkommen, dass dieses Mädchen mit Teufel im Bunde ist.
Es kristallisiert sich schon bald heraus, dass sie so etwas wie die treibende Kraft und Anführerin der Menschen, die sich bei einer Ruine im Wald versammeln und auf die Wiederkehr des Satans hoffen, darstellt.

"Hail Behemoth, spirit of the dark, take thou my blood, my flesh, my skin and walk.
Holy Behemoth, father of my life, speak now, come now, rise now from the forest, from the furrows, from the fields and live."
(Margaret) 


Ebenso brilliert in diesem Film Michelle Dotrice als Margaret (auch zu sehen in dem im selben Jahr produzierten Thriller And soon the darkness). Sie erzeugt bei mir wahrlich Gänsehaut in der Szene, in der sie die Beschwörungsformeln voller Inbrunst intoniert und dabei sich und die Anwesenden in eine Art ekstatische Trance versetzt.


Auch sie warten auf die Wiederkehr Behemoths


An dieser Stelle sollte noch kurz erwähnt werden, dass entgegen der landläufig im Internet verbreiteten Meinung, dass es sich bei der Teufelsanbeter-Sekte ausschließlich um Jugendliche und junge Erwachsene handelt, auch ältere Menschen bei den Ritualen anwesend sind.
Über das Ende, bei dem der fellige faltige Beelzebub dann persönlich auftritt, kann man diskutieren. Die Maske ist leider nicht gerade überzeugend, weniger zu zeigen wäre wahrscheinlich besser gewesen. Dieser Kritikpunkt schmälert jedoch die zuvor über die gesamte Laufzeit aufgebaute und verdichtete unheimliche Atmosphäre nur geringfügig und ist daher verzeihlich.

Die tendenziell wenig bis gar nicht euphorischen Stimmen zu "In den Krallen des Hexenjägers", die man zumindest in deutschsprachigen Internet-Quellen findet, kann ich mir nur durch die Hypothese erklären, dass sich die Kritiken auf die deutsche Videofassung des Films beziehen.
In England wird "Satan's Claw" jedoch ein besonderer Stellenwert eingeräumt.
In seinem Herkunftsland wird er meist in einem Atemzug mit 
"Der Hexenjäger" und The Wicker Man genannt und gemeinhin, verweisend auf die Anfänge des Subgenres, als die "Unholy Trinity" des Folk Horror bezeichnet.
Meiner Meinung nach hat der Film diesen Stellenwert zu Recht. Richtet man das Augenmerk auf die Uneindeutigkeit, die Doppelbödigkeit und Ambiguität der Geschichte, erzeugen gerade die Unschärfen in der Erzählung einen ganz speziellen Reiz. 




Foto: DVD von Kochmedia und Blu Ray von Odeon