Sonntag, 25. Februar 2018

ALUCARDA, LA HIJA DE LAS TINIEBLAS (1977)















ALUCARDA – TOCHTER DER FINSTERNIS

Mexiko 1977
Regie: Juan L. Moctezuma
DarstellerInnen: Tina Romero, Susana Kamini, Claudio Brook, David Silva, Adriana Roel, Tina French, Lili Garza u.a.


Inhalt:
Das Waisenmädchen Alucarda wächst in einem Konvent auf. Mit ihrer neuen Zimmergenossin Justine versteht sie sich auf Anhieb. Kurz nachdem die beiden jungen Frauen im Wald einem Gauklerpaar begegnen, die Düsteres prophezeien, entfesseln sie in einer verlassenen Kirche einen gefährlichen Dämon, der Besitz von ihrer Seele zu ergreifen versucht...


Alucardas Geburtsort


Alucarda (re) erklärt Justine die Mysterien der Natur


Alucarda wird in einer verlassenen Kirche zwischen Särgen, Heiligenstatuen, Gargoyles und furchteinflößenden Fresken zur Welt gebracht. Überall ist Stroh, an den Wänden hängen rote Tücher. Der Ort, an dem das Mädchen das Licht der Welt erblickt, ist mysteriös und auf eigentümliche Art schön.
Ihre Mutter (Tina Romero in einer Doppelrolle) wirkt panisch und bittet eine Helferin, Alucarda in das Konvent zu bringen, damit das Kind in Sicherheit "vor ihm" ist.
Welcher Fluch auf Alucarda lastet, welche Bürde sie mit sich bringt, wird nicht genauer erläutert.

Als Alucarda (Tina Romero) sich im Teenager Alter befindet, lernt sie Justine (Susana Kamini) kennen. Aus Zuneigung entwickelt sich Freundschaft und sexuelles Interesse zwischen den beiden Mädchen, vielleicht sogar Liebe. Alucarda, die im Kloster aufwächst, wirkt in Anbetracht ihrer Sozialisation bisweilen etwas sonderbar, da sie immer schwarz angezogen ist und großes Interesse an weltlichen Dingen und der Natur außerhalb der Klostermauern  hegt.


Wie im Märchen - zwei Mädchen allein im (Zauber-) Wald


In der ersten Hälfte des Films lullt Moctezuma sein Publikum mit allegorisch anmutenden Bildern und bisweilen märchenhafter Atmosphäre ein. Man kann sich der Ahnung nicht erwehren, dass man es bei diesem Film mit einer Parabel zu tun hat, die die Mechanismen von strengen katholischen Glaubensgemeinschaften und den damit verbundenen religiösen Ritualen in Frage stellt.
Vieles riecht förmlich nach unverholener Religionskritik, ein Anprangern von kirchlicher Doppelmoral und deren potentiell negativen Auswirkungen auf die menschliche Psyche.
Eine Religion, deren Eckpfeiler auf Angst machenden Begriffen wie "Dämonen", "Hölle", "Sünde", "Schuld" und anderen negativ besetzten Begriffen basieren, wird (vermeintlich) enttarnt.
Als Alucarda und Justine ihre Liebe zueinander entdecken und aufgrund ihrer Erziehung und Umgebung überfordert sind mit ihrer Begierde, verwundert es nicht, dass sie sich den Dämonen zuwenden.


Die Wege des Blutes sind unergründlich (links)


Ein unbedarfter Betrachter könnte zumindest in der ersten Hälfte der Laufzeit noch meinen, dass die Gewänder der Nonnen das Gruseligste bzw. Expliziteste in "Alucarda" sind.
Die Klosterschwestern, deren Körper und Köpfe in Mullbinden gewickelt sind, erinnern von ihrem Erscheinungsbild her ein bisschen an ägyptische Mumien.
Die Gewänder der frommen Frauen sind teilweise gelblich verfärbt, aber vor allem rot. Blutrot. Ganz besonders die Röcke, deren Farbe von scheinbar sintflutartigen Menstruationsblutungen stammt. Wobei, sollte das Blut tatsächlich davon herrühren, die Nonnen ausschließlich exzessiv nach vorne bluten und der hintere Teil ihrer Kleidung unbefleckt bleibt. Ein Mysterium.
Doch genau das ist am Ende des Films wahrscheinlich der Teil, der am wenigsten irritiert!

Regisseur Juan López Moctezuma, der in vielen Bereichen künstlerisch tätig war, unter anderem als Maler, arbeitete vor seinem ersten eigenen Film mit seinem prominenteren und in manchen Kreisen verehrten Filmemacher Alejandro Jodorowsky zusammen. Bei "Fando y Lis" fungierte Moctezuma als Produzent, bei "El Topo" war er Co-Produzent.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Moctezuma sich bei seinem als Enfant terrible geltenden Kollegen Einiges abgeschaut hat, ist groß.
Besonders, wenn "Alucarda" plötzlich ins Skurrile und unverblümt Hysterische kippt.
Der Film verwandelt sich nämlich nach etwas seichtem Hin- und Herpendeln zwischen Märchen und Anfeindungen gegenüber dem christlichen Glauben zu einem überraschend derben bildgewaltigem Spektakel mit literweise Blut, Besessenheit, Vampirismus, Sex, Orgien, Verbrennungen, Levitationen und allem, was man sich selbst mit viel Phantasie kaum ausmalen kann.
Alucarda entwickelt sogar telekinetische Fähigkeiten und kann rein durch die Kraft ihrer Gedanken Nonnen anzünden wie Streichhölzer. Das Konvent verwandelt sich in ein Inferno.
Es wird blutig und radikal. Regan MacNeil ("Der Exorzist") und Carrie White ("Carrie" 1976) lassen grüßen.
Es ist alles real, die Bibel ist wörtlich zu verstehen. Es gibt einen Gott, Engel, den Teufel und Dämonen. Die Naturwissenschaft in Gestalt des Arztes Dr. Oszek wird ein für allemal eines Besseren belehrt und am Ende kann nur der (Aber-) Glaube siegen.

"Alucarda" ist in Wahrheit ein diabolisches Spektakel, das sich nach einem anfänglichen kleinen inhaltlichen Umweg zu einer Inszenierung in bester Grand Guignol Tradition wandelt.
Experimentierfreudigen und toleranten CineastInnen wird hier herrlich abstruse und bluttriefende Zerstreuung kredenzt.
Der Film wurde übrigens in englischer Sprache gedreht. Dem O-Ton sollte hier gegenüber der miesen, unpassenden und stümperhaft bis lächerlich klingenden deutschen Synchro unbedingt der Vorzug gegeben werden!




Foto: DVD von Mondo Macabro und cmv Laservision