HAUS DER TÖDLICHEN SÜNDEN
AMUCK (Alternativtitel)
Italien 1972
Regie: Silvio Amadio
DarstellerInnen: Farley Granger,
Barbara Bouchet, Rosalba Neri, Umberto Raho, Peter Martinovitch, Nino
Segurini, Patrizia Viotti, Dino Mele u.a.
Inhalt:
Die aus London stammende Greta Franklin
zieht als Privatsekretärin in die Villa des Schriftstellers Richard
Stuart. In Wirklichkeit geht es ihr nicht um den attraktiven Job in
Venedig, sondern um die Suche nach ihrer verschwundenen Freundin Sally, die bis vor Kurzem ebenfalls Sekretärin im
Hause Stuart war. Richard und seine Frau Eleanora
verhalten sich von Anfang an so, als ob sie etwas vertuschen möchten.
Leider glaubt der für den Vermissten-Fall zuständige Kommissar
nicht an Gretas Hypothesen und Verdächtigungen. Deshalb muss die junge Frau ohne jegliche Unterstützung ermitteln...
Neri und Bouchet in einer der wenigen Stadt-Szenen |
"Haus der tödlichen Sünden" tanzt
etwas abseits des großen Giallo Reigens. Wer die Vorzüge dieses Genres ausschließlich über Fetisch,
Lederhandschuhe und Rasierklingen definiert, könnte sich bei diesem
Film langweilen. Für alle anderen gilt es, eine feine italienische Thriller-Rarität zu entdecken.
In gewisser Weise können bei diesem
Film handlungstechnisch Parallelen zu Mario Bavas
Genre-Initialzündung La ragazza che sapeva troppo gezogen
werden. Greta (Barbara Bouchet) ist wie die Protagonistin in Bavas
Klassiker eine Frau, die einen Mord aufklären möchte, sich dabei der Gefahr ihres Vorhabens aber nicht immer völlig bewusst zu sein scheint.
Im Gegensatz zu den weitaus häufiger
skizzierten Frauen-Stereotypen im Giallo, in denen die Darstellung der Frauen auf die Rolle des (potentiellen) Opfers oder der irren Täterin reduziert wird, betätigt sich Greta detektivisch. Dabei ist sie ganz auf sich
allein gestellt und darf keinem Menschen trauen.
Dennoch ruft ihre "Ermittlungstaktik" etwas Kopfschütteln hervor.
Sie lässt sich mehrmals unter Drogen setzen, nimmt an den sexuellen Ausschweifungen im Haushalt des dekadenten Paars teil und zieht auch nicht von dannen, als auf sie geschossen wird.
Greta nistet sich in der Villa ein wie die Made im Speck, sammelt Informationen, beobachtet und wartet ab, was passiert.
Ihre Beharrlichkeit, mit der sie trotz der ihr entgegengebrachten subtilen und offenen Feindseligkeit im Stuart Haushalt
verweilt, wirkt radikal, könnte in manchen Momenten aber auch negativ als "naiv" gedeutet werden.
Ähnlich wie bei Gregory Moore, der
sich in Malastrana sehenden Auges in Lebensgefahr begibt, um
das Verschwinden seiner Freundin aufzuklären, besteht auch bei Greta
eine tiefere emotionale Bindung zu der vermissten Sally. Wie bei Gregory wird auch für sie die Suche nach der Wahrheit zu einer Obsession. Aktuelle Gefahren werden ausgeblendet oder sind nicht von Bedeutung.
Rosalba Neri ("Der Triebmörder")
als Eleanora Stuart ist in diesem Film die absolute Wucht und stiehlt Frau Bouchet fast etwas die Show. Ihre Outfits, die
größtenteils aus dem privaten Kleiderschrank der italienischen Diva
entlehnt wurden, sind eine Augenweide.
Neris Mimik, die lüsternen Blicke, ihre aufreizende
und zugleich Gefahr signalisierende Aura sind von beeindruckender Intensität. Sie hat das Aussehen einer Sphinx und lockt wie eine Sirene.
Daneben wirkt der routinierte Brite Farley
Granger ("Cocktail für eine Leiche") als überheblicher
Schriftsteller zwar in überzeugendem Maße distinguiert, aber beinahe etwas blass um die Nase.
Umberto Raho (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) schleicht als zugeknöpfter und dubioser
Butler durch die Gänge.
Peter Martinovitch (Lady Frankenstein) spielt den Fischer, dessen körperliche Größe, Stärke und Potenz sich umgekehrt proportional zu seiner Intelligenz verhalten.
Peter Martinovitch (Lady Frankenstein) spielt den Fischer, dessen körperliche Größe, Stärke und Potenz sich umgekehrt proportional zu seiner Intelligenz verhalten.
Dass die Hauptverdächtigen ein
Schriftsteller und seine exzentrische Frau sind, bringt einen besonderen poetischen Bezug in den Film. Die Stuarts lassen sich allerlei durchtriebene, kreative Psycho-Spielchen einfallen, um der neugierigen Sekretärin
das Spionieren zu vergällen. Damit wollen sie nebenbei die Überlegenheit ihres Intellekts demonstrieren.
Besonders interessant wird es, als der
Autor beginnt, der schon etwas verstörten Greta eine Giallo
Geschichte über einen Mord an einer Sekretärin auf Band zu
sprechen.
Mit stilistisch blumigen Satzkonstruktionen
und Redewendungen wie "Una solitudine senza nome" (ich schmelze bei diesen schönen italienischen Formulierungen dahin)
erzählt er eine düstere Geschichte, die leider beängstigend real klingt.
"Haus der tödlichen Sünden" ist
ein famoses Katz und Maus-Spiel, das sich hauptsächlich in einer
stilvoll eingerichteten Villa irgendwo in der Lagune nahe Venedig
abspielt. Die Stadt selbst kommt in einigen Szenen zwar vor, aber
nicht auf eine prominente Art und Weise wie zum Beispiel in den
klassischen Venedig-Gialli The Child – Die Stadt wird zum Alptraum oder Anima Persa.
Die Giallo-Perle "Haus der tödlichen
Sünden" war über Jahrzehnte nicht offiziell in ungekürzter Fassung erhältlich und wurde
nun vom Label "Camera Obscura" endlich entsprechend gewürdigt.
Die aktuelle Veröffentlichung lässt
qualitativ keine Wünsche offen. Es wurden auch keine Kosten und
Mühen gescheut, den Sohn des Regisseurs und die großen Damen des
italienischen Kinos aus der guten alten Zeit, Barbara Bouchet und Rosalba
Neri, zu interviewen. Der Soundtrack, der in all seiner Düsternis
eher an einen Gotik-Horrorfilm erinnert, ist sogar als Extra auf CD
enthalten.
Für mich handelt es sich bei dieser "Camera Obscura" Blu Ray um eine der schönsten
Veröffentlichungen des Jahres.