Sonntag, 1. Oktober 2017

THE VVITCH - A NEW-ENGLAND FOLKTALE (2015)















THE WITCH

Brasilien, GB, Kanada, USA 2015
Regie: Robert Eggers
DarstellerInnen: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie, Harvey Scrimshaw, Ellie Grainger, Lucas Dawson u.a.


Inhalt:
Neu-England in den 1630er Jahren. Eine siebenköpfige Familie versucht ihr Glück als Selbstversorger in der kargen Wildnis. Von der Gemeinde, in der sie vorher lebten, verstoßen, widmen sie sich tagein tagaus ihren Gebeten und den strengen christlichen Regeln und Geboten, die sie zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Als das jüngste Familienmitglied, Baby Samuel, spurlos verschwindet und sich unheilvolle Zeichen und Vorkommnisse häufen, beginnen die Familienbande zu bröckeln...


Thomasin (Anya Taylor-Joy)


Die Familie beim (letzten) Abendmahl


"The Witch" ist einer dieser Filme, bei dem es sich definitiv gelohnt hat, ihm noch eine zweite Chance zu geben. Die erste Sichtung stand unter keinem guten Stern. Als wir umgeben von einer Horde ganz laut mit offenem Mund Popcorn schmatzender Pubertierender (keine Übertreibung - so etwas habe ich davor noch nie und danach nie wieder gehört) in einem Würzburger Kino saßen, versuchte ich mir einzureden, dass die Geräuschkulisse im Saal doch wunderbar zu der Stall-Atmosphäre des Films passt. Es wollte mir leider nicht so richtig gelingen. Das andere Problem, neben der in meinen Ohren unangenehm klingenden deutschen Synchronisation, war die auf Wohnzimmerlautstärke eingestellte Soundanlage. Alles in allem wurde uns an diesem Abend kein erfreuliches Kino-Erlebnis zuteil. "The Witch" hat nicht gezündet und ich verlor das Werk wieder aus den Augen. Vorerst.
Als Robert Zion dann vor Kurzem auf seinem Blog zu dem Fazit kam, dieser Film sei "ein spätes, aber großes Meisterwerk des Genres", wollte ich es nochmal wissen...


Karge Landschaft, lebensfeindliche Natur


"The Witch" ist trotz oder vielleicht gerade wegen seiner fast kammerspielartigen räumlichen Enge von verstörender Intensität. Er erinnert mich an Lars von Triers "Antichrist" - lebensfeindliche Natur, Abgeschiedenheit von der Gesellschaft, Hexen, durch und durch pessimistisch und düster.
Die unwirtliche Landschaft, in der nichts gedeiht außer Missgunst und Hass in den Seelen der Familienmitglieder, wirkt bedrückend karg. Der einzige fruchtbare Acker sind die Herzen der bigotten Sippschaft, auf die der Same des Aberglaubens fällt und gedeiht.
Die Beschaffenheit der Natur wirkt wie ein Sinnbild der Selbstkasteiung, die diese puritanische Familie im Namen ihres Gottes, Jehova, betreibt.
Freude ist Sünde und das Leben voller Entbehrungen der einzige Schlüssel zum Paradies.
Die dunkle Poesie von "The Witch", verstärkt durch ikonische Bilder und surreale Bewegungen - manche Sequenzen wurden mit einer höheren als der normalerweise verwendeten Bildfrequenz aufgenommen - wird durch den teils dissonanten, jedenfalls Nerven zehrenden Soundtrack akkurat betont.
Die dezente Farbkomposition des Films lässt das spärlich, doch effektiv eingesetzte Rot (die Kapuze der Hexe und natürlich das Blut) umso kontrastreicher und intensiver erscheinen.

Trotz einiger schauriger (Gewalt-) Szenen ist das immanente Grauen des Films subtiler Natur. Nicht erst seit "Carrie" wissen Horrorfilmregisseure um die finstere Aura und die Gefährlichkeit von religiösen FanatikerInnen. (Leider auch ein brandaktuelles Thema in der heutigen Zeit.)
Das hervorragende Schauspiel der jungen Anya Taylor-Joy (Thomasin) und die Gänsehaut erzeugende "Besessenheitsszene" von Harvey Crimshaw (Caleb) sind wirklich ganz großes Kino. Ralph Ineson (Vater William) mit seiner unheimlichen Bass-Stimme und seinen markanten Gesichtszügen überzeugt ebenso wie Kate Dickie (Mutter Katherine) durch zurückhaltendes und an den notwendigen Stellen temperamentvolles Schauspiel.

Das Ende provoziert sein Publikum regelrecht zu divergierenden Interpretationen und es finden sich unterschiedliche Deutungsvarianten der Geschichte. Eine Form von Erzählkunst, die meist nur abseits der Straßen des Mainstreamkinos auf kleinen, verschlungenen Pfaden von Genreproduktionen zu finden ist.
Ich halte den Vergleich mit dem von mir sehr verehrten Werk Brunello Rondis Il demonio (1963) für angebracht. Worüber "The Witch" vor dem Abspann informiert, steht bei Il demonio"am Beginn - eine Texttafel über die recherchierten tatsächlichen Grundlagen des im Film skizzierten Aberglaubens der Bevölkerung.
In beiden Werken geht es um eine Frau, die in einem streng katholischen, jedoch zutiefst abergläubischen Umfeld der Hexerei verdächtigt wird. Und in beiden Fällen gibt es am Ende keine geradlinige Erklärung für gewisse Phänomene - was ist Einbildung, hervorgerufen durch fanatische Glaubensdoktrin und daraus resultierende Hysterie? Was ist tatsächlich (nicht) rational erklärbar?

"The Witch" ist sowohl als Genrefilm als auch als Spiegel einer paranoiden Gesellschaft voller Doppelmoral und alptraumhaftes Zerrbild eines (vermeintlich) idyllischen Familienlebens zu sehen.
Ein Film, der mehr illustriert, als es auf den ersten Blick den Anschein macht und ohne Frage geschmackstechnisch ein gewisses Spaltungspotential innerhalb der Horrorfilmcommunity besitzt.




Foto: Blu Ray von Universal