DIE STUNDE DER GRAUSAMEN LEICHEN
Spanien 1973
Regie: Javier Aguirre
DarstellerInnen: Paul Naschy, Rosanna
Yanni, Victor Barrera, María Elena Arpón, Maria Perschy, Alberto
Dalbés, Manuel de Blas u.a.
Inhalt:
Der bucklige Gotho arbeitet in einem
Leichenschauhaus und wird aufgrund seiner Missbildung in seinem
Heimatdorf auf Schritt und Tritt verspottet oder sogar körperlich attackiert.
Einzig die sterbenskranke Ilsa bringt ihm Respekt und sogar etwas
Zuneigung entgegen. Als sie stirbt, wird er vom wahnsinnigen Dr. Orla
unter dem Vorwand, er beabsichtige Ilsa wieder zum Leben erwecken, als
Handlanger benutzt. Gotho wird die Aufgabe zuteil, menschliche Körperteile
zu Dr. Orla zu bringen – egal ob von Toten oder Lebenden...
Gotho beschenkt die sterbenskranke Ilsa mit Blumen |
Gotho kommt ein paar Sekunden zu spät |
"Die Stunde der grausamen Leichen" ist einer dieser Eurohorrorfilme, die sich stark an den allseits
bekannten Vorlagen und Klischees orientieren (das Mad
Scientist-Thema, Frankenstein, Der Glöckner von Notre Dame) und es
dennoch zustande bringen, ganz losgelöst von den traditionellen
Vorbildern etwas ganz Eigenständiges zu erschaffen.
Dabei scheint Drehbuchautor Naschy und
Regisseur Aguirre kein Dialog, kein Charakter und keine Wendung zu
skurril gewesen zu sein.
Ständig pendelt der Film zwischen
althergebrachten klassischen Schauergeschichten und Splatter-Einlagen bzw.
Ekelszenen. Zu Letzteren zählen beispielsweise Köpfe und
Extremitäten, die von Leichen abgetrennt werden, sich in Säure
auflösende Körper oder die einst schöne Ilsa, deren Antlitz nach
ihrem Ableben von Ratten angeknabbert wird (auch nicht besonders
appetitlich).
Doch so richtig kalt über den Rücken
läuft es mir meist bei den Szenen, in denen die eben erwähnten
Nagetiere tatsächlich mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib
angezündet wurden.
Dies ist nicht nur herzlos und grausam,
sondern auch absolut unnötig. Für mich hätte der Film einen noch
höheren Stellenwert ohne Tierquälerei und auch Naschy hat laut
eigenen Aussagen später bedauert, dies zugelassen zu haben.
Glücklicherweise hat sich in Tierschutzfragen auch in der
Filmproduktion bis zur heutigen Zeit Vieles verbessert.
Was bei "Die Stunde der grausamen
Leichen" neben dem unsinnigen deutschen Titel (wohl eine Anspielung auf Die Nacht der reitenden Leichen) gleich zu
Beginn auffällt, sind die mit Sorgfalt und Sinn für morbide
Ästhetik ausgewählten Schauplätze. Obwohl man auf den ersten Blick
und im Laufe der Handlung meinen könnte, es hier mit einer reinen
Exploitation Produktion zu tun zu haben, merkt man schnell, dass hier
auf die Kulissen und die Ästhetik der Drehorte erstaunlich großen
Wert gelegt wurde.
Malerische Ruinen |
Das fiktive Dorf Feldkirch (das
tatsächlich mit seinen Bergen und dem mittelalterlichen
Stadtkern und dem sich durch den Ort schlängelnden Fluss an das
reale Feldkirch in Österreich, erinnert) befindet sich in dem
beschaulichen spanischen Ort Viella mitten im Nationalpark Pyrenäen.
Auch die Krankenhäuser und Katakomben
wurden nicht etwa in einem Studio nachgebaut, was dem Film qualitativ enorm zugute kommt.
Dies ist vermutlich auch der Mitwirkung
von Drehbuchautor und Hauptdarsteller Paul Naschy geschuldet. Der umtriebige, privat auf den klangvollen Namen Jacinto Molina
Àlvarez hörende Naschy, war vor seiner Karriere als Schauspieler
nicht nur als Profi Sportler sondern auch in der Filmbranche als Locationscout tätig.
Apropos Drehbuch – natürlich ist die
Geschichte um den entstellten Leichenschauhaus Mitarbeiter Gotho und
den skrupellosen Dr. Orla völlig Banane. Die bösartigen Medizinstudenten, die
den armen buckligen Tropf beim Blumen pflücken für seine Liebste
mit Sprüchen wie "Zerdrück die Blümchen nicht, Gorilla. Das
schickt sich nicht für einen artigen Affen und das willst du doch
sein…." provozieren oder die Tatsache, dass Dr. Orlas Labor in
mit mittelalterlichem Folter-Equipment ausstaffierten Katakomben
eingerichtet wird, sind nur wenige Beispiele für die sich ständig
an denkwürdigen Dialogen und Figuren überbietende Erzählung.
Doch trotz all dem, was an der
Oberfläche lustig erscheinen mag, wohnt der Geschichte und vor allem
dem Charakter des Gotho eine nicht zu verleugnende Melancholie und Dramatik inne.
Wenn man das vordergründig allzu
Überspitzte und Klischeehafte in seinem Bewusstsein vorsichtig
beiseite schiebt und den Kern des Hauptcharakters betrachtet, ist "Die Stunde der grausamen Leichen" eine einzige Tragödie.
Und immer wenn man glaubt, für Gotho
kann es nicht mehr weiter abwärts gehen, passiert wieder etwas
Schreckliches.
Nach der Schlägerei mit den Medizinstudenten wackelt der bucklige Außenseiter mit seinem liebevoll gepflückten Blumenstrauß nur wenige Sekunden zu spät ins Zimmer seiner Geliebten. Ihr eine letzte Freunde zu machen oder sich zu verabschieden war ihm nicht vergönnt.
Nach der Schlägerei mit den Medizinstudenten wackelt der bucklige Außenseiter mit seinem liebevoll gepflückten Blumenstrauß nur wenige Sekunden zu spät ins Zimmer seiner Geliebten. Ihr eine letzte Freunde zu machen oder sich zu verabschieden war ihm nicht vergönnt.
In der irrigen Annahme, dass sie wieder
zum Leben erweckt werden kann, schleppt er Ilsa (María Elena Arpón, auch bekannt aus Die Nacht der reitenden Leichen) in die Katakomben und wähnt seinen Schatz vorerst in Sicherheit. Er verspricht ihr sogar, auf sie aufzupassen. Doch kurze Zeit später ertappt er in flagranti einige Ratten, die gerade dabei sind, Ilsas makelloses Gesicht als Zwischenmahlzeit zu verspeisen. Schließlich wird Gotho auch noch von Dr. Orla nach Strich und
Faden ausgenutzt und merkt gar nicht, dass seine Hoffnung auf ein
Wiedersehen mit Ilsa immer unrealistischer und seine Gesamtsituation
zunehmend aussichtsloser wird. Schließlich hat er sich mittlerweile
nicht nur der Leichenfledderei sondern auch des mehrfachen Mordes
schuldig gemacht. Die Polizei ist ihm dicht auf den Fersen.
Ein Herz für Gotho!?! |
Naschy hat seine Rolle aller
unfreiwilligen Komik, die so manche Szenen unweigerlich mit sich bringen, zum Trotz mit solch inbrünstiger Leidenschaft und Ernsthaftigkeit
verkörpert, dass es einfach nur rührend ist. Man muss ein Herz für
Gotho entwickeln, sein naiver schief von unten nach oben gehender
Blick lässt einem keine andere Wahl.
"Die Stunde der grausamen Leichen" verbindet das Provinzielle mit dem (vermeintlichen) medizinischen
Fortschritt, Liebe mit Trauer, Genie mit Wahnsinn und wenn man denkt,
dass die Erzählung ihren Höhepunkt erreicht hat, wird das zuvor
Gesehene garantiert noch durch eine abstruse Wendung getoppt.
Dr. Orla füttert begeistert seine "Schöpfung" |
Immerhin brodelt und blubbert ein
undefinierbares Organ, das sich in schleimige blass-graue von Adern durchzogene Blasen verwandelt
und mit Körperteilen gefüttert wird, in Dr. Orlas Labor vor sich
hin. Des Arztes ganzer Stolz wird vielleicht eine neue Spezies und
hat definitiv das Potential zu etwas Monströsem.
Wer wissen will, was hier geschaffen
wurde, muss sich den Film bis zum wahrlich bitteren Ende ansehen.