Montag, 13. Januar 2020

EL JOROBADO DE LA MORGUE (1973)














DIE STUNDE DER GRAUSAMEN LEICHEN

Spanien 1973
Regie: Javier Aguirre
DarstellerInnen: Paul Naschy, Rosanna Yanni, Victor Barrera, María Elena Arpón, Maria Perschy, Alberto Dalbés, Manuel de Blas u.a.

Inhalt:
Der bucklige Gotho arbeitet in einem Leichenschauhaus und wird aufgrund seiner Missbildung in seinem Heimatdorf auf Schritt und Tritt verspottet oder sogar körperlich attackiert. Einzig die sterbenskranke Ilsa bringt ihm Respekt und sogar etwas Zuneigung entgegen. Als sie stirbt, wird er vom wahnsinnigen Dr. Orla unter dem Vorwand, er beabsichtige Ilsa wieder zum Leben erwecken, als Handlanger benutzt. Gotho wird die Aufgabe zuteil, menschliche Körperteile zu Dr. Orla zu bringen – egal ob von Toten oder Lebenden...


Gotho beschenkt die sterbenskranke Ilsa mit Blumen


Gotho kommt ein paar Sekunden zu spät


"Die Stunde der grausamen Leichen" ist einer dieser Eurohorrorfilme, die sich stark an den allseits bekannten Vorlagen und Klischees orientieren (das Mad Scientist-Thema, Frankenstein, Der Glöckner von Notre Dame) und es dennoch zustande bringen, ganz losgelöst von den traditionellen Vorbildern etwas ganz Eigenständiges zu erschaffen.
Dabei scheint Drehbuchautor Naschy und Regisseur Aguirre kein Dialog, kein Charakter und keine Wendung zu skurril gewesen zu sein.
Ständig pendelt der Film zwischen althergebrachten klassischen Schauergeschichten und Splatter-Einlagen bzw. Ekelszenen. Zu Letzteren zählen beispielsweise Köpfe und Extremitäten, die von Leichen abgetrennt werden, sich in Säure auflösende Körper oder die einst schöne Ilsa, deren Antlitz nach ihrem Ableben von Ratten angeknabbert wird (auch nicht besonders appetitlich).
Doch so richtig kalt über den Rücken läuft es mir meist bei den Szenen, in denen die eben erwähnten Nagetiere tatsächlich mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib angezündet wurden.
Dies ist nicht nur herzlos und grausam, sondern auch absolut unnötig. Für mich hätte der Film einen noch höheren Stellenwert ohne Tierquälerei und auch Naschy hat laut eigenen Aussagen später bedauert, dies zugelassen zu haben. Glücklicherweise hat sich in Tierschutzfragen auch in der Filmproduktion bis zur heutigen Zeit Vieles verbessert.

Was bei "Die Stunde der grausamen Leichen" neben dem unsinnigen deutschen Titel (wohl eine Anspielung auf Die Nacht der reitenden Leichen) gleich zu Beginn auffällt, sind die mit Sorgfalt und Sinn für morbide Ästhetik ausgewählten Schauplätze. Obwohl man auf den ersten Blick und im Laufe der Handlung meinen könnte, es hier mit einer reinen Exploitation Produktion zu tun zu haben, merkt man schnell, dass hier auf die Kulissen und die Ästhetik der Drehorte erstaunlich großen Wert gelegt wurde.


Malerische Ruinen


Das fiktive Dorf Feldkirch (das tatsächlich mit seinen Bergen und dem mittelalterlichen Stadtkern und dem sich durch den Ort schlängelnden Fluss an das reale Feldkirch in Österreich, erinnert) befindet sich in dem beschaulichen spanischen Ort Viella mitten im Nationalpark Pyrenäen.
Auch die Krankenhäuser und Katakomben wurden nicht etwa in einem Studio nachgebaut, was dem Film qualitativ enorm zugute kommt.
Dies ist vermutlich auch der Mitwirkung von Drehbuchautor und Hauptdarsteller Paul Naschy geschuldet. Der umtriebige, privat auf den klangvollen Namen Jacinto Molina Àlvarez hörende Naschy, war vor seiner Karriere als Schauspieler nicht nur als Profi Sportler sondern auch in der Filmbranche als Locationscout tätig.

Apropos Drehbuch – natürlich ist die Geschichte um den entstellten Leichenschauhaus Mitarbeiter Gotho und den skrupellosen Dr. Orla völlig Banane. Die bösartigen Medizinstudenten, die den armen buckligen Tropf beim Blumen pflücken für seine Liebste mit Sprüchen wie "Zerdrück die Blümchen nicht, Gorilla. Das schickt sich nicht für einen artigen Affen und das willst du doch sein…." provozieren oder die Tatsache, dass Dr. Orlas Labor in mit mittelalterlichem Folter-Equipment ausstaffierten Katakomben eingerichtet wird, sind nur wenige Beispiele für die sich ständig an denkwürdigen Dialogen und Figuren überbietende Erzählung.

Doch trotz all dem, was an der Oberfläche lustig erscheinen mag, wohnt der Geschichte und vor allem dem Charakter des Gotho eine nicht zu verleugnende Melancholie und Dramatik inne.
Wenn man das vordergründig allzu Überspitzte und Klischeehafte in seinem Bewusstsein vorsichtig beiseite schiebt und den Kern des Hauptcharakters betrachtet, ist "Die Stunde der grausamen Leichen" eine einzige Tragödie.
Und immer wenn man glaubt, für Gotho kann es nicht mehr weiter abwärts gehen, passiert wieder etwas Schreckliches.
Nach der Schlägerei mit den Medizinstudenten wackelt der bucklige Außenseiter mit seinem liebevoll gepflückten Blumenstrauß nur wenige Sekunden zu spät ins Zimmer seiner Geliebten. Ihr eine letzte Freunde zu machen oder sich zu verabschieden war ihm nicht vergönnt.
In der irrigen Annahme, dass sie wieder zum Leben erweckt werden kann, schleppt er Ilsa (María Elena Arpón, auch bekannt aus Die Nacht der reitenden Leichen) in die Katakomben und wähnt seinen Schatz vorerst in Sicherheit. Er verspricht ihr sogar, auf sie aufzupassen. Doch kurze Zeit später ertappt er in flagranti einige Ratten, die gerade dabei sind, Ilsas makelloses Gesicht als Zwischenmahlzeit zu verspeisen. Schließlich wird Gotho auch noch von Dr. Orla nach Strich und Faden ausgenutzt und merkt gar nicht, dass seine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Ilsa immer unrealistischer und seine Gesamtsituation zunehmend aussichtsloser wird. Schließlich hat er sich mittlerweile nicht nur der Leichenfledderei sondern auch des mehrfachen Mordes schuldig gemacht. Die Polizei ist ihm dicht auf den Fersen.


Ein Herz für Gotho!?!


Naschy hat seine Rolle aller unfreiwilligen Komik, die so manche Szenen unweigerlich mit sich bringen, zum Trotz mit solch inbrünstiger Leidenschaft und Ernsthaftigkeit verkörpert, dass es einfach nur rührend ist. Man muss ein Herz für Gotho entwickeln, sein naiver schief von unten nach oben gehender Blick lässt einem keine andere Wahl.

"Die Stunde der grausamen Leichen" verbindet das Provinzielle mit dem (vermeintlichen) medizinischen Fortschritt, Liebe mit Trauer, Genie mit Wahnsinn und wenn man denkt, dass die Erzählung ihren Höhepunkt erreicht hat, wird das zuvor Gesehene garantiert noch durch eine abstruse Wendung getoppt.


Dr. Orla füttert begeistert seine "Schöpfung"


Immerhin brodelt und blubbert ein undefinierbares Organ, das sich in schleimige blass-graue von Adern durchzogene Blasen verwandelt und mit Körperteilen gefüttert wird, in Dr. Orlas Labor vor sich hin. Des Arztes ganzer Stolz wird vielleicht eine neue Spezies und hat definitiv das Potential zu etwas Monströsem.
Wer wissen will, was hier geschaffen wurde, muss sich den Film bis zum wahrlich bitteren Ende ansehen.




Foto: Mediabook von Anolis und Mediabook von Shock (Blu Ray)