Sonntag, 19. November 2017

I TRE VOLTI DELLA PAURA (1963)















DIE DREI GESICHTER DER FURCHT
DER RING DER VERDAMMTEN (österreichischer Kinotitel)

Frankreich, Italien 1963
Regie: Mario Bava
DarstellerInnen: Boris Karloff, Mark Damon, Michèle Mercier, Glauco Onorato, Gustavo de Nardo, Rika Dialyna, Lidia Alfonsi, Jacqueline Pierreux u.a.


Inhalt:
Horror-Ikone Boris Karloff berichtet von gruseligen Begebenheiten und stimmt uns mit finsteren Prophezeiungen und Warnungen auf die folgenden drei Episoden ein, in denen es um geisteskranke ehemalige Liebhaber mit Mordabsichten, vampirähnliche Wesen im winterlichen Russland und Heimsuchungen durch Verstorbene geht...


Boris Karloff stimmt uns auf das Folgende ein...


Wenn sich der Herbst dem Winter entgegen neigt, die Tage dunkler, kälter und regnerischer werden, wenn die Bäume ihre farbenprächtigen Blätter abgeworfen haben und ihre kahlen Äste wie skelettierte Finger dem grauen Himmel entgegen recken, dann ist Zeit für "Die drei Gesichter der Furcht".

Über zehn Jahre ist es her, dass ich dieses zeitlose cineastische Kunstwerk, das damals zum Glück von Anolis veröffentlicht wurde, gesehen habe. Eigenartigerweise kann ich mich noch wie heute an diesen Winterabend erinnern, an dem ich ob der Bildsprache Bavas in einen tranceähnlichen Zustand zwischen Euphorie und ehrfüchtigem Staunen versetzt wurde.
Im Nachhinein betrachtet war dieses Erlebnis so etwas wie ein Intitationsritus und entflammte endgültig meine Liebe zum italienischen Genrekino der Sechziger und Siebziger Jahre.

Ein aschfahler Boris Karloff stimmt uns mit durchdringendem Blick und eindrücklichen Warnungen umrahmt von einem expressiven Farbspiel in bester Lagerfeuergeschichten-Manier auf die folgenden drei Beiträge ein, deren Intensität und Schauerlichkeit sich von Episode zu Episode kontinuierlich steigern.



Michèle Mercier am roten Telefon



Episode 1 – DAS TELEFON
Eine Frau erfährt aus der Zeitung, dass ihr geisteskranker und gemeingefährlicher ehemaliger Liebhaber aus dem Zuchthaus ausgebrochen ist. Kurz darauf beginnt er sie über das Telefon zu terrorisieren und behauptet, sie zu beobachten und sogar schneller bei ihr sein zu können als die Polizei...


Schon die ersten Sekunden dieses Kurz-Giallos sind sagenhaft kunstvoll inszeniert. Wir sehen eine leere Wohnung, die nur spärlich beleuchtet ist. Die Kamera fährt langsam durch den Raum. Das schrille Läuten eines roten Telefons (das später in Blutige Seide wieder auftaucht) dringt unangenehm ins Ohr und geht in einen etwas erträglicheren Nachhall über, auf den dann wieder erbarmungslos der nächste alles durchdringende Ton folgt.
Als Kind, das noch in einem Haushalt mit Wählscheibentelefon aufgewachsen ist, denke ich mir so im Nachhinein betrachtet "Eigentlich kein Wunder, dass alle immer gleich gerannt sind, wenn das Telefon gebimmelt hat."
Das enervierende Klingeln wird abgelöst vom monotonen Ticken einer Uhr, das eine nur kurze Entspannung suggeriert, bevor ganz plötzlich lautstark die Tür geöffnet wird.
Durch diese paar Sekunden wird bereits die angespannte Atmosphäre der gesamten Episode vorweggenommen, in der die schöne Michèle Mercier (Friedhof ohne Kreuze) durch Telefonterror und Drohungen beinahe in den Wahnsinn getrieben wird.
Die erste der drei Erzählungen, die häufig als die schwächste der drei eingestuft wird, bietet natürlich nicht die inszenatorische Qualität eines im selben Jahr entstandenen La ragazza che sapeva troppo oder anderer Gialli Mario Bavas. Im Grunde genommen ist es auch vermessen, überhaupt einen Vergleich anzustreben, da "Das Telefon" ein auf 23 Minuten komprimiertes psychologisches Kammerspiel in bester Thriller Tradition mit wundervollen Beleuchtungseffekten ist.
Eine verheissungs- und effektvolle Einstimmung auf



Das unheimliche Familienoberhaupt (Karloff)



Episode 2 – DER WURDELAK
Ein nobler junger Mann reitet durch das winterliche Russland. Inmitten der Ödnis entdeckt er eine kopflose Leiche und kommt kurze Zeit später bei einer verängstigten Familie unter, die ihm etwas von Wurdelaks erzählt, die der Legende nach ihren Liebsten das Blut aussaugen. Bei dieser Gelegenheit macht er Bekanntschaft mit dem alten Vater der Familie, der sich äußerst merkwürdig verhält...


Das dumpfe unheilvolle Trompetenspiel, mit der die zweite Episode beginnt, lässt schon erahnen, auf welch düstere Handlung man sich nun einlassen wird.
Die letzten Sonnenstrahlen am Firmament werden von der Last der dichten blaugrauen Wolken, die am Abendhimmel erscheinen, eingekesselt und erdrückt. Vladimir (Mark Damon) macht in der Dämmerung einen grauenvollen Fund. Es handelt sich um eine Leiche mit abgetrenntem Kopf, in deren Rücken ein Dolch steckt. Dies ist nur der erste Vorbote allen Grauens, das da noch kommen wird. Die folgenden Szenen sind in eisigen bläulichen Nebel gehüllt, es gibt kein Sonnenlicht mehr zu sehen und auch keinen Hoffnungsschimmer für die Familie, bei der Vladimir Unterschlupf findet.

"Der Wurdelak" ist von einer solch formvollendeten Morbidität durchzogen, dass alle mir geläufigen Superlative für die Beschreibung dieser ästhetischen Bildsprache als nicht ausreichend erscheinen. Die kahlen Bäume, dekorativ beleuchtete Spinnweben, der bläulich waberende Nebel, die farbenprächtig illuminierten Ruinen, die Gestalt des Großvaters (Boris Karloff) an der Fensterscheibe (Vorbote der Szene mit Melissa in Die toten Augen des Dr. Dracula) - es gibt so viele Szenenbilder, die ich am liebsten einfrieren und mir direkt an die Wand hängen möchte!

Boris Karloff als furchterregender Familientyrann Gorgo, der nach der Wurdelak Jagd unverhofft wieder bei seinen Liebsten auftaucht, guckt absolut finster aus der Kapuze und trägt ganz wesentlich zu der grimmigen Stimmung dieser Episode bei.
Glauco Onorato, der neben einigen Auf(t)ritten in Italowestern auch in Racket eine starke Rolle spielte, mimt seine Rolle ebenso intensiv wie die schöne Griechin Rika Dialyna als Maria. Susy Andersen (als Sdenka) sieht trotz ihres auffallend wuchtigen Kiefers irgendwie sehr attraktiv und geheimnisvoll aus.
Und ehe man sich aus den Fängen dieses dramatischen und finsteren Blutsauger Nachtmahrs befreit hat, findet man sich in der stürmischen regnerischen Nacht der nächsten Episode wieder...



Helen (Pierreux) hat nur Augen für den Ring



Episode 3 – DER WASSERTROPFEN
Eine Krankenschwester wird mitten in der Nacht in einen Haushalt gerufen, wo eine ältere Dame während einer Séance verstorben ist. Sie soll der Dahingeschiedenen das Totenkleid anziehen, klaut den Ring der Dame und wird alsbald nicht nur von mysteriösen Wassertropfen-Klängen heimgesucht...


Als Geräuschkulisse zur Einstimmung auf die verstörende Beschaffenheit der letzten Geschichte dient die verzerrt und dissonant wirkende Musik, die aus dem Grammophon der Krankenschwester Helen (perfekt unsympathisch gespielt von Jacqueline Pierreux) erklingt. Wie in der ersten Episode ist es wieder das Telefon, das Unheil und Verderben ankündigt. Helen erhält einen Anruf von einer verzweifelten älteren Haushälterin, die zu verängstigt ist, ihrer bei einer spiritistischen Sitzung verstorbenen Herrin das Totenhemd selbst anzuziehen.

Die gute Helen, die auf Pietät und Respekt vor den Toten keinen allzu großen Wert legt, übernimmt den nächtlichen Auftrag zunächst widerwillig und gibt die Routinierte. Doch beim Anblick der toten Frau muss sogar sie kurz durchatmen und sich am Bettpfosten festhalten...
Die Dame des Hauses hat ein schrecklich verzerrtes Gesicht, das wie im Moment großen Schocks eingefroren zu sein scheint. Die Augen der Leiche sind weit aufgerissen, der Mund offen, die Haut bereits wächsern. Die Totenstarre hat schon eingesetzt.
Dieser sehr unheimliche Anblick wird vom verstörend anmutenden Interieur der Wohnung ergänzt.
Es ist sehr dunkel, die Raumhöhe und Türen lassen die Haushälterin und die herbeigerufene Krankenschwester wie kleine verlorene Kinder wirken. Über den heruntergekommenen Teppichboden laufen scheinbar rastlos irgendwelche Katzen, auf den antiken Möbeln und in den Schubladen befinden sich Unmengen an Puppen (womit wieder Erinnerungen an Die toten Augen des Dr. Dracula geweckt werden).

Für die ruppige Krankenschwester, die der Toten den Ring vom Finger stiehlt, ist es der Beginn einer dämonischen Heimsuchung, von der der titelgebende mysteriöse Wassertropfen, der sie bis in ihre eigenen Vier Wände begleitet, noch der harmloseste Part ist.
Mit nur wenigen Minuten Laufzeit und mit spärlich aber pointiert platzierten Effekten erschuf Mario Bava eine hochgradig atmosphärische und gehaltvolle rabenschwarze Schauergeschichte, die in der Erinnerung kleben bleibt wie die Spinnweben am Kellerfenster...




Darüber, ob Bava, hätte er die Möglichkeit gehabt, einen Director's Cut seines favorisierten Werks zu erstellen, das humoristische und demaskierende Ende mit Karloff weggelassen hätte, kann nur spekuliert werden. Es bleibt fraglich, ob dieses Finale, das den Änderungswünschen der co-produzierenden AIP entsprach, in die endgültige Fassung Eingang gefunden hätte oder nicht.
Ist man mit den Filmen Bavas vertraut, freut man sich über einige Déjà-vus, da der italienische Genre Regisseur einige Motive aus "Drei Gesichter der Furcht" in seinen späteren Werken nochmals aufgegriffen hat.
Doch kann man sich ebenso für den Film begeistern wie wenn man (so wie ich damals, vor über einem Jahrzehnt) ganz unbedarft an dieses Werk herantritt und sich einspinnen lässt in das mentale Netz der stimmungsvollen Schauerromantik und der Magie der düsteren Fotografie.




Foto: DVD aus der Mario Bava Box von Anchor Bay, Anolis DVD und Arrow Blu Ray





Foto: Wunderschöne BluRay VÖ von Koch Media