Mittwoch, 12. November 2014

BUCHTIPP: Berger, Helmut: Ich. Die Autobiographie. Unter Mitarbeit von Holde Heuer














Muss man dieses Buch gelesen haben? Wenn man sich für den einst als "schönsten Mann der Welt" titulierten Helmut Berger interessiert und ihn auch nur dezent sympathisch findet (trotz oder gerade wegen seiner Eskapaden), dann ja.
Wenn man es als Psychografie eines extravaganten Künstlers interpretiert, ist es interessant und aufschlussreich.
Beeindruckend: die schonungslose Ehrlichkeit, mit der er über seine seelischen Abgründe schreibt. Er lässt (vielleicht sogar ohne sich dessen bewusst zu sein) tief blicken.

Der Schreibstil ist eigenwillig, aber amüsant. Neben Hochdeutsch finden sich immer wieder Sätze im Dialekt, die mit "I" beginnen. "I mag mi" beispielsweise. Nach irgendwelchen banalen Sätzen pflegt Berger seine LeserInnenschaft bisweilen mit "Capito?" direkt anzusprechen.
Allerdings scheint entweder die "mitarbeitende" Holde Heuer eine sprachliche Wildsau zu sein oder Bergers von Substanzen in Mitleidenschaft gezogenes Gehirn lässt ihn des Öfteren im Stich. Vielleicht auch eine Mischung aus Beidem.
Auffallend sind Wortkreationen, die es in dieser Form nicht gibt und ein an mehreren Stellen fehlerhaftes Italienisch.
Berger führt beispielsweise an, dass Viscontis Schloss "columbaia" (seine Übersetzung: Möwe) hieß. "Möwe" heißt aber "gabbiano". In Wirklichkeit existiert das Wort "colombo" (Taube) und "colombaia" bedeutet "Taubenschlag". Ein bisschen verwirrend.
"Il bacio della scorpione" müsste korrekterweise "Il bacio dello scorpione" heißen. Ein paar Seiten später verwandelt sich das zuvor korrekte "bacio" in ein "bagio"...
Diese sprachlich mehr oder minder groben Schnitzer bilden keine Ausnahme. Nicht nur im Italienischen, sondern auch im Englischen und Deutschen hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen.
Dies erscheint mir deshalb erwähnenswert, weil Berger paradoxerweise über sämtliche Seiten hinweg wiederholt damit angibt, ein sprachliches Naturtalent (Genie?) zu sein und die erwähnten Sprachen perfekt zu beherrschen...

Lieblingsfehler:
Unter einem Bild Bergers mit der verstorbenen Fürstin von Monaco lautet die Beschreibung "Fürstin Garcia" (statt Gracia).

Thematisch und zeitlich wagt das Autorenduo Berger-Heuer große Sprünge und hält sich mit skurrilen Nebensächlichkeiten auf. Sogar ein paar bergersche Kochrezepte haben Eingang in die Autobiographie gefunden.
Seiner großen Liebe Luchino Visconti hat der Schauspieler viele Seiten gewidmet. Visconti mochte das, Visconti tat jenes, Visconti interessierte sich für und so weiter. Man erhält einen kleinen Einblick in die Beziehung der beiden Männer.
Viele andere prominente Namen fallen im Buch, meist in Zusammenhang mit Parties: Florinda Bolkan, Tomas Milian, Barbara Bouchet, Marisa Mell, Senta Berger, Marisa Berenson, Mick Jagger, Liz Taylor, Richard Burton, Romy Schneider, Jack Nicholson, Ari Onassis und so weiter und so fort.
Man erfährt nicht allzu viel über die genannten Stars, am ehesten vielleicht über Romy Schneider. Meist beschränkt sich Berger auf Andeutungen über Bettgeschichten und Affären mit bzw. zwischen Prominenten.

Schön: das von Berger beigesteuerte private Bildmaterial: Partyfotos, professionelle Fotos, Peinliches, Lustiges, Nettes.
Einige Geschichten aus dem Buch sind bereits hinreichend öffentlich bekannt, andere vermutlich weniger. Sein legendär peinliches Malheur mit dem weißen Anzug auf dem Ball in Monaco wiederholt er ebenso wie einige seiner amourösen Abenteuer in der High Society.

Fazit: Literarisch vielleicht nicht besonders wertvoll, aber trotz scheinbarer Oberflächlichkeit ein interessanter Einblick in eine zerrissene und sensible Künstler-Seele sowie in die Gepflogenheiten des damaligen Jet Sets.
Mir half das Buch, Helmut Berger besser zu verstehen und ich finde ihn nach (trotz?) der Lektüre sogar einen Tick sympathischer als zuvor.
Capito?