EIN TOTER LACHT ALS LETZTER
AB IN DIE HÖLLE (Alternativtitel)
AB IN DIE HÖLLE (Alternativtitel)
Frankreich, Spanien 1973
Regie: Claudio Guerin Hill
DarstellerInnen: Renaud Verley, Rebecca
Lindfors, Alfredo Mayo, Christine Betzner, Juan Cazalilla, Maribel
Martín, Nuria Gimeno u.a.
Inhalt:
Jean wird vorübergehend aus der
Psychiatrie entlassen und beabsichtigt klar, nicht mehr dorthin
zurückzukehren. Seine Mutter ist verstorben, er wirkt allein und
verloren, heimatlos. Eines Tages besucht er seine Tante Marta, die
ihn einst in die geschlossene Anstalt einweisen ließ. Seine dort
lebenden drei bildhübschen Cousinen haben es ihm angetan.
Das fürsorgliche Tantchen plant, ihn zu entmündigen und in Folge das Vermögen seiner Mutter zu verwalten. In ein paar Monaten soll der Gerichtsprozess stattfinden. Doch so weit möchte Jean es nicht kommen lassen. Er hat augenscheinlich andere Zukunftspläne...
Das fürsorgliche Tantchen plant, ihn zu entmündigen und in Folge das Vermögen seiner Mutter zu verwalten. In ein paar Monaten soll der Gerichtsprozess stattfinden. Doch so weit möchte Jean es nicht kommen lassen. Er hat augenscheinlich andere Zukunftspläne...
Der etwas eigenartige, doch nicht
unpassende deutsche Titel "Ein Toter lacht als Letzter" weckt bei
mir Assoziationen zu dreckigen Italowestern.
Doch weit gefehlt! Es handelt sich
nämlich in Wahrheit um einen Psychothriller mit einem gialloesken
Drehbuch und visuellen Anleihen aus dem gotischen Horrorfilm.
"Ein Toter lacht als Letzter" ist
kein leicht zugänglicher Film. Er beginnt storytechnisch beinahe in
Zeitlupe und die Frage, was nun real ist, wer verrückt und grausam
und wer "normal", wird von der ersten Minute bis zum ganz
bitteren Ende genüsslich ausgereizt.
"Du warst fort. Warum bist du
zurückgekehrt?"
"Weil ich entlassen wurde."
"Schon als Kind hab ich dir
prophezeit, dass du kein Glück haben wirst. Alle besseren Karten
sind schon verteilt."
Dialog zwischen dem Hirten und Jean
Jeans Umgebung |
Düster und trostlos ist die Welt der
geschlossenen Anstalt, der Jean entflieht.
Doch das "Draußen" entpuppt sich als weitaus trostloser und düsterer. Die Landschaft, durch die er mit seinem Motorrad fährt, wirkt kalt, desolat und trostlos. Es ist Herbst. Die Blätter fallen, die Natur stirbt. Die Gebäude sind moosbewachsen und in dichten Nebel gehüllt. Regisseur Claudio Guerin Hill ist es eindeutig gelungen, die für den Tourismus wohl negativsten Landschaftsbilder Galiciens auf Zelluloid zu bannen.
Doch auch die Aufnahmen von Innenräumen vermitteln alles andere als ein Gefühl von Wohlbehagen. Die mangelnde Ausleuchtung der kargen Wohnräume lassen die braunen Tapeten und das dunkle Mobiliar noch trister wirken. Selbst die Tiere, die Jean in seinem Domizil hält, machen sein Haus nicht wohnlicher oder lebendiger. Der Papagei, die Katze, die Schildkröte, die verzweifelt umherflatternden Vögel und die Fische in ihrem kleinen Aquarium wirken auf dem für sie zu knapp bemessenen Raum deplatziert. Wie Gefangene.
Doch das "Draußen" entpuppt sich als weitaus trostloser und düsterer. Die Landschaft, durch die er mit seinem Motorrad fährt, wirkt kalt, desolat und trostlos. Es ist Herbst. Die Blätter fallen, die Natur stirbt. Die Gebäude sind moosbewachsen und in dichten Nebel gehüllt. Regisseur Claudio Guerin Hill ist es eindeutig gelungen, die für den Tourismus wohl negativsten Landschaftsbilder Galiciens auf Zelluloid zu bannen.
Doch auch die Aufnahmen von Innenräumen vermitteln alles andere als ein Gefühl von Wohlbehagen. Die mangelnde Ausleuchtung der kargen Wohnräume lassen die braunen Tapeten und das dunkle Mobiliar noch trister wirken. Selbst die Tiere, die Jean in seinem Domizil hält, machen sein Haus nicht wohnlicher oder lebendiger. Der Papagei, die Katze, die Schildkröte, die verzweifelt umherflatternden Vögel und die Fische in ihrem kleinen Aquarium wirken auf dem für sie zu knapp bemessenen Raum deplatziert. Wie Gefangene.
Die bigotte Bevölkerung, die die
Einweihung der neuen Glocke für den Kirchturm des Dorfes
vorbereitet, verhält sich in vermeintlich unbeobachteten Momenten
gottlos.
In letzter Minute rettet Jean die
Tochter eines Schäfers vor dem sexuellen Missbrauch durch ein paar
Fischer.
Seine Tante Marta, die sich als die Retterin ihres Neffen ausgibt (immerhin hat sie für die Einweisung Jeans gesorgt
und seine Therapie-Rechnungen bezahlt), wirkt kalt und manipulativ.
Jean findet im Haus der Tante Hinweise, dass sie den Arzt, der das
Gutachten über ihn erstellt hatte, bestochen hat.
Doch ist Jean wirklich ein ganz
normaler auf die schiefe Bahn geratener Junge, dem aus Habgier von
der eigenen Familie Unrecht angetan wurde?
Diese in den Köpfen des geneigten Publikums schwelende Unsicherheit wird nie ganz
aufgelöst. Es gibt keine klaren Antworten. Und genau das macht den
besonderen Reiz des Films aus.
Was war vor dem Aufenthalt in der Psychiatrie? Diesbezüglich hört man von Jean und Marta unterschiedliche Sichtweisen. Und es stellt sich die Frage, inwieweit eine vielleicht latent vorhandene Störung Jeans durch die falsche Behandlung in der Psychiatrie an die Oberfläche des Bewusstseins gebracht und manifestiert wurde.
Was war vor dem Aufenthalt in der Psychiatrie? Diesbezüglich hört man von Jean und Marta unterschiedliche Sichtweisen. Und es stellt sich die Frage, inwieweit eine vielleicht latent vorhandene Störung Jeans durch die falsche Behandlung in der Psychiatrie an die Oberfläche des Bewusstseins gebracht und manifestiert wurde.
Oder ob er vielleicht letzten Endes
doch ein ganz normales Mitglied der Gesellschaft ist, gesünder als
andere und getrieben von einem unbändigen Freiheitsdrang und
Lebenswillen. Einer, der das Pech hatte, zur falschen Zeit am
falschen Ort zu sein.
Das soziale Gefüge, in dem Jean sich
bewegt, ist das stark pessimistisch gefärbte Abbild einer von Doppelmoral
und Gier beherrschten Menschheit. Die subtil nihilistische Sicht auf
die menschlichen Abgründe zieht sich wie ein roter Faden durch den
Film.
Die inzestuösen Beziehungen zwischen
Jean und seinen Cousinen werden nicht nur angedeutet, sondern ganz
offen dargestellt. In einer Szene wirkt selbst Jeans Tante, als ob
sie nur allzu gerne bereit wäre, dem Charme ihres Neffen zu
erliegen. Doppelmoral so weit das Auge reicht.
Man wird das Gefühl nicht los, die Welt durch die misanthrope Brille eines depressiven Menschen zu betrachten.
Man wird das Gefühl nicht los, die Welt durch die misanthrope Brille eines depressiven Menschen zu betrachten.
Während der Zeit des Franco-Regimes herrschten rigide Zensur-Vorschriften, weshalb viele spanische
Regisseure ihre Werke im Ausland drehten und mehr oder weniger
verschlüsselt Kritik an der Diktatur in ihrem Heimatland übten.
Auch in "Ein Toter lacht als Letzter" findet man ohne geistige Akrobatik betreiben und weit reichende interpretatorische
Ansätze bemühen zu müssen klare Hinweise in diese Richtung.
Ein weiterer spannender Aspekt dieses
Films.
Die drastischen und grausamen
Schlachthaus-Szenen sind nur schwer zu ertragen. Darauf war ich
nicht gefasst und ich bin nach wie vor etwas unentschlossen, ob diese
für die finale Wirkung und Aussage der Erzählung hilfreich bzw.
notwendig waren oder nicht.
Die Hauptfigur der Erzählung ist Jean, der in der
deutschen Synchronisation eine Zeit lang John und später Jean, im Spanischen natürlich Juan heißt. Dieser wird
verkörpert von Renaud Verley, für dessen schelmisches Antlitz und
tiefgründiges Schauspiel ich mich bereits seit der ersten Sichtung
von Il caso venere privata begeistere. Auch in "Ein Toter
lacht als Letzter" vermag er sich in einer ähnlich angelegten Rolle perfekt in Szene zu setzen. Verley präsentiert uns einen Einblick in die Seele eines zutiefst unglücklichen Menschen im Körper eines sympathischen jungen Mannes mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen. Unter der adretten Oberfläche brodelt eine tragisch gescheiterte Existenz.
Doch auch die anderen DarstellerInnen
agieren authentisch und leisten einen wichtigen Beitrag zur
unheilvollen morbiden Stimmung des Films.
Ebenso spielt der Soundtrack eine bedeutende Rolle im Gesamtwerk.
"Frère Jacques" (deutsch: "Bruder Jakob") ist ein weit verbreitetes und in viele Sprachen übersetztes Kinderlied, das meist in Form eines Kanons gesungen wird. In "Ein Toter lacht als Letzter" schwebt das immer wiederkehrende von Kindern gesungene Lied wie eine düstere Prophezeiung, ein böses Omen über der Handlung.
Im Text geht es bekanntlich um die Klänge von Glocken...
Ebenso spielt der Soundtrack eine bedeutende Rolle im Gesamtwerk.
"Frère Jacques" (deutsch: "Bruder Jakob") ist ein weit verbreitetes und in viele Sprachen übersetztes Kinderlied, das meist in Form eines Kanons gesungen wird. In "Ein Toter lacht als Letzter" schwebt das immer wiederkehrende von Kindern gesungene Lied wie eine düstere Prophezeiung, ein böses Omen über der Handlung.
Im Text geht es bekanntlich um die Klänge von Glocken...
"Armer Junge. Aufgewachsen ohne
Vater, bei einer Mutter, die...
... Es soll vergessen und
vergeben sein."
"Sie hat Selbstmord begangen. Das ist
eine Sünde. Und Gott vergibt ihr das nicht!"
"Es war ein Unfall. Gehen wir."
Dialog zwischen Tante Marta und Jean
Bedrückend, in welcher Weise dieser
Dialog das tragische Lebensende von Regisseur Claudio Guerin Hill
vorwegnimmt. Tatsache ist, dass er am Ende der Dreharbeiten vom Turm
der Kirche (auf der im Film die neue Glocke aufgehängt wird) stürzte und tödlich verunglückte.
Es ranken sich viele Gerüchte um
seinen frühen Tod. Und die Interpretationen dieses Ereignisses pendeln genau wie im oben zitierten Filmdialog zwischen Selbstmord und tragischem Unglück.
War sein eigener Tod etwa die letzte
Inszenierung Hills? Sein Ableben ist für ewige Zeit
verknüpft mit seiner letzten Regie-Arbeit und die Parallelen (der Glockenturm spielt
am Ende nämlich noch eine ganz besondere Rolle) sind nicht von der
Hand zu weisen. Es scheint ein Rätsel zu bleiben. Eine weitere
unbeantwortbare Frage, wie sie im Film haufenweise aufgeworfen
werden.
In diesem Kontext erscheint der
deutsche Titel in seiner Zweideutigkeit wie ein Scherz der besonders
makaberen Sorte.
"Ein Toter lacht als Letzter" ist
die von Fatalismus geprägte, psychologisch und soziologisch
vielschichtige finale Hinterlassenschaft eines bemerkenswerten spanischen
Regisseurs. Einer jener Filme, in der bei jedem Ansehen ein neues Puzzleteil entdeckt, jedoch nie zu einem vollständigen sinnigen Gesamtbild zusammengefügt werden kann.