Freitag, 7. Januar 2022

EDEN LAKE (2008)









EDEN LAKE

Großbritannien 2008

Regie: James Watkins
DarstellerInnen: Kelly Reilly, Michael Fassbender, Jack O‘Connell, Tara Ellis, Finn Atkins, Jumayn Hunter, Thomas Turgoose, James Burrows, James Gandhi u.a.

Inhalt:
Jenny und Steve, ein junges glückliches Paar, machen Zelt-Urlaub an einem kleinen See inmitten der Natur. Kurz nach ihrer Ankunft bekommen sie Ärger mit einer Gruppe von Jugendlichen, die alles daran setzt, die Idylle und Zweisamkeit von Jenny und Steve zu stören. Aus Streit wird ein Psychokrieg und schließlich münden die Auseinandersetzungen in nackte Gewalt und Terror…


Steve spricht die Störenfriede an


Die Urlaubsfreude Jennys ist leicht getrübt


"Eden Lake" habe ich zum ersten Mal im Jahr 2008 auf dem Fantasy Filmfest in Stuttgart gesehen. Der Debütfilm des britischen Regisseurs James Watkins hat mich beeindruckt, was damals mit ein Grund war, ihn einem netten Menschen mit ähnlichem Filmgeschmack zu empfehlen. Er hat sich darauf hin den mir unbekannten Film "Eden Log" (ebenfalls aus dem Jahr 2008) angesehen und sich etwas über den Filmtipp gewundert, worüber wir im Nachhinein noch ein paar Mal gelacht haben.
Doch das war es auch schon mit lustigen Begebenheiten und Anekdoten zu diesem Film.

Denn "Eden Lake" ist ein durch und durch bitterer, ernster Terrorfilm, der in der Tradition von Terror- beziehungsweise Backwood Filmen wie Wes Cravens "The last house on the left" oder John Boormans "Beim Sterben ist jeder der Erste" a.k.a. "Deliverance" steht.
Heute habe ich den Film zum dritten Mal gesehen (Kino-DVD-Blu Ray) und stelle fest, wie viele Fragen und damit verbundene Gedankengänge die Handlung bei mir evozieren.
Auf den ersten Blick ist er als Horrorfilm vordergründig radikal in der Inszenierung der Gewalt, wodurch er sich in Richtung der Grenzen von gesellschaftlichen Tabus bewegt, was in Deutschland im Jahr 2009 offenbar auch zu einer Indizierung geführt hat.
Doch es ist kein überzeichneter Splatterfilm und daher wird er wahrscheinlich ein Publikum, das in erster Linie möglichst viele blutige und eklige Effekte sehen will, nicht zufrieden stellen.
"Eden Lake" funktioniert - sofern man es so betrachten will -  noch auf einer ganz anderen Ebene. Er wirft interessante gesellschaftliche Fragen auf und beschäftigt sich mit Phänomenen von Jugendgewalt und dem Umgang der Erwachsenen mit dieser Thematik ebenso wie mit Mitläufertum, Gruppendynamik und dem Durst der Menschen nach Rache.

Doch fangen wir ganz von vorne an. Jenny (Kelly Reilly) und Steve (Michael Fassbender) wirken wie ein gut situiertes Londoner Mittelschichtspaar in den besten Jahren. Sie arbeitet als Kindergartenpädagogin, er hat zumindest genug Geld für ein schickes Auto und den Diamantring, mit dem er seine Liebste im Urlaub überraschen möchte.
Das Thema zwischenmenschliche Gewalt, um das es im Lauf der weiteren Handlung gehen wird, kündigt sich schon ganz zu Beginn der Laufzeit des Films an. Das Liebespaar wird beim ersten Zwischenstopp auf einer Raststätte Augenzeuge einer Situation, in der eine Mutter ihr Kind mit einer heftigen Ohrfeige bestraft und muss später in der Nacht lautstarke Streitigkeiten zwischen einem Paar mitanhören, bei denen ob ihrer Heftigkeit davon auszugehen ist, dass es sich dabei nicht nur um eine verbale Auseinandersetzung handelt.
An dieser Stelle beweisen weder Steve noch Jenny einen Funken Zivilcourage. Unsere engagierte Pädagogin Kelly blickt bei der Ohrfeige der Mutter betroffen weg. Steve muntert seine Freundin gleich auf und sie lässt sich nur allzu gerne ablenken. Die beiden grinsen sich an, das unangenehme Thema scheint erledigt.
Als sie in der Nacht aufgrund des lauten Konflikts nicht schlafen können, machen sie sich mit etwas Galgenhumor über die Situation lustig. Auf die Idee, die Rezeption oder gar die Polizei zu rufen, kommen sie nicht.
Kelly und Steve stehen gewissermaßen sinnbildlich für eine Gesellschaft, die sich zwar gegen Gewalt ausspricht und diese moralisch verurteilt, jedoch selbst keinen aktiven Beitrag zur Bekämpfung leistet, also kein Eingreifen ihrerseits als erforderlich sieht.
Wegschauen ist indessen leider auch keine Lösung.

Als sie sich von den Jugendlichen am See durch laute Musik und einen nervösen bis aggressiven Rottweiler belästigt fühlen, verhalten sie sich zu Beginn noch relativ defensiv. Es dauert relativ lange, bis Steve endlich zu der Gruppe hinübergeht und sie auf ihr Verhalten anspricht. Kelly bleibt in einer passiven Rolle und scheint mit der Situation überfordert.
Schließlich sind es Jugendliche, keine Erwachsene. Wie ernst nimmt man sie, wie viel Bühne soll man ihnen überlassen? Dadurch ist die Einordnung des Verhaltens der Gruppe vielleicht etwas erschwert bzw. es wird schlicht mit anderen Maßstäben als bei Erwachsenen gemessen.

Kellys Kampf ums Überleben verändert sie nicht nur äußerlich


Kelly, die im späteren Verlauf selbst kämpferisch, aber auch brutal agieren wird, passt zu Beginn in das Klischee einer etwas unterwürfigen, niedlich wirkenden und passiven Frau. Es ist schwer zu verstehen, dass sie Steve nicht auffordert, mit ihr den Ort zu verlassen oder dass sie, als sie von den Jungs mit einem Fernglas beobachtet wird, schamhaft ein Tuch über ihr Bikinioberteil wickelt und nicht weiter darauf reagiert. Das könnte vielleicht wiederum mit dem Alter der Jugendlichen zusammenhängen, zum Teil sind es ja fast noch Kinder.
Was jedoch wirklich schwer nachvollziehbar scheint, ist, dass sie Steve in seinen zum Teil kindischen und auch riskanten Handlungen nicht begrenzt.
Als er die Fahrräder der jugendlichen Clique in einem Vorgarten entdeckt, hält sie ihn nicht davon ab, in das Haus einzusteigen, sondern bleibt im Wagen sitzen und wartet brav auf Steves Rückkehr.
An dieser Stelle erhalten wir auch einen kurzen Einblick in die Lebenswelt und das familiäre Umfeld unserer jungen ProtagonistInnen (ein Mädchen ist unter ihnen). Der Anführer Brett, vor dem die anderen nicht nur Respekt, sondern auch Angst zeigen, lebt in einem Haus mit seinem hoch aggressiven und dominant wirkenden Vater, dem Steve bei seiner Hauserkundungstour beinahe begegnet. Er flüchtet schließlich über das Dachfenster und eine Mauer.


Brett sagt, wo es lang geht und hat sein Messer stets zur Hand


Gerade wenn man den Film schon mehr als ein Mal gesehen hat, werden mögliche Ausstiegszenarien zu Beginn deutlich und man fängt an zu verstehen, wie und an welcher Stelle sich der anfängliche Psycho-Kleinkrieg zwischen den Jugendlichen und dem erwachsenen Paar gefährlich zuspitzt. Jemandem wie Steve müsste man an der ein oder anderen Stelle zu deeskalierendem Verhalten raten und vielleicht wäre das viele Leid, das folgt, vermeidbar gewesen, wenn das Paar sich einfach rechtzeitig einen ruhigeren Ort gesucht hätte.

Doch so funktionieren Genrefilme naturgemäß natürlich nicht und so rotiert die Gewaltspirale immer schneller und schneller.
Die anfänglich eher abwartende und zurückhaltende Rolle Jennys wandelt sich jedoch radikal als Steve im Wald von den Jugendlichen mit Stacheldraht gefesselt, verletzt und gefoltert wird. Sie kämpft und sie tötet, wobei nicht mehr klar definierbar ist, welche Handlungen sie aus Überlebensinstinkt oder aus dem Motiv der Rache heraus setzt.
Das, was sich durch die Taten der Gruppe von Jugendlichen an sadistischer Gewalt gegenüber Steve, aber auch einem unbeteiligten anderen Kind abspielt, ist ebenfalls drastisch.
Brett, der blind vor Hass zu sein scheint und vermutlich ein gefühlloser Soziopath ist, stiftet die anderen zum Mitmachen an. Nicht alle tun es freiwillig. Manche (Beitrags-)Handlungen sind der Gruppendynamik geschuldet, dem Dazugehören wollen zur Peergruppe – um jeden Preis.
Andere haben offensichtlich große Angst, sich Brett zu widersetzen und rechnen vielleicht auch insgeheim damit, das nächste Opfer zu werden, wenn sie sich nicht fügen.
Das einzige Mädchen der Gruppe (hervorragend gespielt von Finn Atkins) filmt die Folterung von Steve mit ihrem Handy. Ob diese Aktion schlicht der medialen (Selbst-) Inszenierung der Jugendlichen dient oder ob es ihr hilft, sich von dem realen Geschehen durch die Kamera-Perspektive zu distanzieren, ist unklar.
Ob der gruppendynamische Prozess wirklich auf ein jugendliches Peergruppen Verhalten zurückzuführen ist oder ob diese Hypothese um einige Aspekte erweitert werden muss, wird spätestens dann in Frage gestellt, wenn wir gegen Ende eine ähnliche Dynamik unter einer Gruppe von Erwachsenen beobachten...


Mit Brett wird es auch für die Jugendlichen ungemütlich


Die Brutalität und Grausamkeit aller Charaktere steigert sich jedenfalls kontinuierlich. Das Ende von "Eden Lake" ist schließlich dermaßen konsequent und heftig, dass man den Film garantiert nicht so schnell aus dem Kopf bekommt.

"Eden Lake" ist unter dem Strich, trotz aller soziologischer und psychologischer Fragen, die er aufwerfen kann, natürlich nicht als Lehrfilm über Gewalt in unserer Gesellschaft, sondern als Genrefilm im Bereich der großen Bandbreite des Horrorfilms zu klassifizieren. Er spielt mit den Ängsten und dem Ekel des Publikums, will Spannung erzeugen und schockieren.
Unter dem Strich haben wir es hier mit einem dramatischen, mitreißenden Terrorfilm mit durchgehend bedrohlicher Atmosphäre zu tun.
Im Vergleich zu ähnlichen Filmen wurde bei Musik, Drehort und Beleuchtung auf zurückhaltendere Effekte gebaut und somit eine eher reizärmere Stimmung als bei vergleichbaren Filmen dieser Zeit geschaffen. Die herausragenden SchauspielerInnen tragen ihrerseits wesentlich dazu bei, dass man emotional mitgerissen wird und besonders mit Kelly Reilly (die Rolle der Jenny) bis zum Ende trotz ihrer sich steigernden Aggressivität sympathisiert. Auch Jack O`Connell als Brett, der die Rolle des Anführers der Jugendlichen spielt, leistet einen wichtigen Beitrag zur unheilvollen Atmosphäre.

Wer den Film im englischen O-Ton ansieht, tut sich eindeutig einen Gefallen damit, weil durch die Sprache bzw. den gesprochenen Slang die unterschiedliche Herkunft des Paares und der Jugendlichen offensichtlicher und dadurch eine noch größere Authentizität vermittelt wird.




Foto: DVD vom Label Optimum und Blu Ray von Universum