HEREDITARY – DAS VERMÄCHTNIS
USA 2018
Regie: Ari Aster
DarstellerInnen: Toni Colette, Alex
Wolff, Gabriel Byrne, Milly Shapiro, Ann Dowd u.a.
Inhalt:
Annie Graham ringt auf der Trauerfeier
ihrer kürzlich dahingeschiedenen Mutter um angemessene
Worte, die trotz ihrem Bemühen, die etwas komplexe und schwierige
Beziehung zu der Verstorbenen kaum verbergen. Unter den Trauergästen
befinden sich außer Annies Gatten Steve, ihrem Teenager-Sohn Peter
und der etwas jüngeren Tochter Charlie noch einige Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen hat. Doch bevor sie Zeit findet, über
dies und manch Anderes im Leben ihrer Mutter und Familie
nachzudenken, verwandelt sich die Geschichte der Grahams in eine Tragödie...
Ein merkwürdiges Mädchen - Charlie (Milly Shapiro) |
"Hereditary" habe ich zum ersten
Mal im Kino gesehen. Ganz unvorbereitet, ganz unvoreingenommen.
Ich behaupte von mir selbst, leider etwas abgestumpft zu sein, was die Wirkung von Horrorfilmen betrifft und war hoch erfreut und beeindruckt,
dass ich bei mehreren Szenen kurz richtiges Gänsehaut-Feeling
verspürte.
Nun, bei der zweiten Sichtung zuhause, war
das Gefühl nicht mehr ganz so intensiv wie im Kino, aber ich musste mir
zwischendurch meine Kuscheldecke holen, weil ich den Eindruck hatte,
dass die Raumtemperatur eigenartigerweise rapide gesunken ist.
Wenn man ein ähnlich
Horrorfilm-verseuchtes Hirn wie ich hat, fallen einem ja auch noch
andere (parapsychologische) Thesen zu diesem Temperatur-Phänomen
ein...
Es ist nicht einfach, etwas
Zusammenhängendes über "Hereditary" zu schreiben, ohne unnötig
zu spoilern (was ja mein selbstauferlegtes Prinzip für die Texte auf "Schattenlichter" ist).
Die allerschönste Erstsichtung ist mit Sicherheit die, bei der man weitestgehend unvoreingenommen und nur rudimentär informiert ist.
Die allerschönste Erstsichtung ist mit Sicherheit die, bei der man weitestgehend unvoreingenommen und nur rudimentär informiert ist.
Was man garantiert nicht zu sehen
bekommt, ist einer dieser modernen Genre-Kinofilme, die mit den
üblichen Klischees arbeiten, auf Lautstärke und diese ermüdenden und billigen "BUH!-Jetzt-hab-ich-dich-aber-erschreckt"- Momente setzen.
Es finden sich natürlich auch ein paar wenige einprägsame Szenen, die schockieren und relativ drastisch inszeniert
sind.
"Hereditary" lebt jedoch grundsätzlich von seiner Subtilität und ist eine bemerkenswerte Verquickung von Drama und Okkultismus-Grusler. Im Wesentlichen dominiert die Erzählung jener leise, psychologische Horror, der mit Irritation und Verstörung sowie der menschlichen Gefühlswelt und Verhaltensweisen spielt.
"Hereditary" lebt jedoch grundsätzlich von seiner Subtilität und ist eine bemerkenswerte Verquickung von Drama und Okkultismus-Grusler. Im Wesentlichen dominiert die Erzählung jener leise, psychologische Horror, der mit Irritation und Verstörung sowie der menschlichen Gefühlswelt und Verhaltensweisen spielt.
Vordergründig wird im ersten Drittel
des Films die Dysfunktionalität der familiären Beziehungen zwischen den Grahams stark in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt.
Die Unfähigkeit, zu trauern oder gar über den Verlust der Großmutter zu sprechen, kreiert eine Atmosphäre der Unbehaglichkeit.
Die Unfähigkeit, zu trauern oder gar über den Verlust der Großmutter zu sprechen, kreiert eine Atmosphäre der Unbehaglichkeit.
Die einzelnen Familienmitglieder leben
abgeschottet in ihrem eigenen Universum. Der Versuch, auf der
Trauerfeier als heile Familie aufzutreten, will nicht so richtig gelingen
und endet darin, dass die Grahams ähnlich (künstlich) arrangiert
wie Annies Miniatur-Welten wirken.
Symbole und Symbolik sind, wenn auch
nicht immer im Zentrum des Sichtbaren, omnipräsent.
Die zum Teil bewusst schemenhaft gehaltene Darstellung erzeugt das Gefühl von drohendem Unheil ebenso intentional wie die ungewöhnliche, aber eindrucksvolle musikalische Untermalung des Films. Für Letztere zeigt sich der Jazzmusiker Colin Stetson verantwortlich, dessen selbst erklärtes Ziel es war, Töne und Geräusche aus der Umgebung als Grundlage zu nehmen und in eine eigenständige, zum Teil dissonante Komposition einzuarbeiten. Diese außergewöhnliche Soundkulisse drängt sich nicht in den Vordergrund, hat aber dennoch eine unheimlich intensive Wirkung.
Die zum Teil bewusst schemenhaft gehaltene Darstellung erzeugt das Gefühl von drohendem Unheil ebenso intentional wie die ungewöhnliche, aber eindrucksvolle musikalische Untermalung des Films. Für Letztere zeigt sich der Jazzmusiker Colin Stetson verantwortlich, dessen selbst erklärtes Ziel es war, Töne und Geräusche aus der Umgebung als Grundlage zu nehmen und in eine eigenständige, zum Teil dissonante Komposition einzuarbeiten. Diese außergewöhnliche Soundkulisse drängt sich nicht in den Vordergrund, hat aber dennoch eine unheimlich intensive Wirkung.
Die mehrfach preisgekrönte und für
den ebenfalls im Genre-Kino bahnbrechenden "The Sixth Sense" für den Oscar nominierte Toni Colette spielt die vom Schicksal
gebeutelte Ehefrau und Mutter Annie mit einer solchen Hingabe, dass
die Szenen der tiefgreifenden Erschütterung und kaum ertragbaren
Trauer buchstäblich unter die Haut gehen.
Auch Alex Wolff, der den Sohn Peter
verkörpert, ist offensichtlich ein schauspielerisches Ausnahmetalent. Doch
die faszinierendste Persönlichkeit ist in meinen Augen Milly Shapiro
als Tochter Charlie.
Ihre außergewöhnlichen und
unverwechselbaren Gesichtszüge, die sie per se wirken lassen, als
sei sie nicht von dieser Welt, ergänzen sich mit ihrem bewusst
platzierten zurücknehmendem Schauspiel. Shapiro wurde perfekt
gecastet für diese Rolle. Hoffentlich macht sie in Zukunft noch
öfter Ausflüge in die Welt des Genrekinos.
Gabriel Byrne ("Stigmata") spielt den Ehemann und Familienvater, der mit bisweilen stoischer Mine und unendlich scheinender Geduld bemüht ist, seine zerrüttete Familie zu verstehen und doch nicht imstande ist, über seine Rolle des hilflosen Beobachters hinaus zu wachsen.
Um nochmal den Vergleich zu "The Sixth
Sense" zu bemühen – dies war für mich der erste Film, bei dem
ich wenige Tage später das Bedürfnis hatte, nochmal ins Kino zu
gehen, weil der doch etwas überraschende und damals noch innovative
Twist mich neugierig gemacht hat, wie alles wirkt, wenn man das Ende schon kennt.
Bei "Hereditary" machte ich einen ähnlichen Effekt aus, wobei es in dem Sinn nicht die große überraschende
Wendung gibt. Doch sämtliche vorangehenden Ereignisse und
rätselhaften Vorgänge können mit dem Wissen, das dem Publikum erst
mit der Schluss-Sequenz nahe gebracht wird, beim wiederholten Ansehen
auf eine andere, wissendere Art gesehen werden. Die Erzählung
offenbart ihren vollen Umfang erst mit der Kenntnis der Hintergründe.
Das in manchen Rezensionen stark kritisierte Ende ist in meinen Augen schlichtweg der folgerichtige, radikale Höhepunkt der bedachtsam und wohl überlegt aufgebauten Geschichte.
Das in manchen Rezensionen stark kritisierte Ende ist in meinen Augen schlichtweg der folgerichtige, radikale Höhepunkt der bedachtsam und wohl überlegt aufgebauten Geschichte.
Für Ari Aster ist "Hereditary" die
erste Regiearbeit in Spielfilmlänge. Ob er in der Lage ist, einen
weiteren Film auf ähnlich hohem Niveau abzuliefern, wage ich nach
Sichtung des dezent peinlich anmutenden Trailers zu "Midsommar" in Frage zu stellen. Aber dass er unmittelbar nach dem erfolgreichen Erstlingswerk nochmal so einen Ausnahmefilm zustande bringt wäre auch mehr als erstaunlich. Außerdem befindet
er sich mit dieser Tradition in den Reihen der Genre-Regisseure in
bester Gesellschaft. Man denke dabei an M. Night Shyalaman, Tobe
Hooper oder William Friedkin,...
"Hereditary" fühlt sich an wie eine unaufhaltsame Fahrt auf einer Rutschbahn in den Schlund der Hölle. Ohne Notbremse findet man sich auf dem immer steiler werdenden Weg in eine einzige Richtung: runter in den
infernalischen Abgrund.
Dieser Film lässt sich an den Maßstäben des modernen Horrorkinos kaum messen. Er ist formal und von seiner Wirkung her absolut außergewöhnlich und dürfte wohl in die Annalen der Genrefilmgeschichte eingehen.
Dieser Film lässt sich an den Maßstäben des modernen Horrorkinos kaum messen. Er ist formal und von seiner Wirkung her absolut außergewöhnlich und dürfte wohl in die Annalen der Genrefilmgeschichte eingehen.