Donnerstag, 4. Juni 2015

LA MORTE HA FATTO L'UOVO (1968)














DIE FALLE

Frankreich, Italien 1968
Regie: Giulio Questi
DarstellerInnen: Gina Lollobrigida, Jean-Louis Trintignant, Ewa Aulin, Jean Sobieski, Renato Romano, Giulio Donnini u.a.


Inhalt:
Die geschäftstüchtigen Eheleute Anna und Marco betreiben eine Hühnerfarm. Abgesehen von Gesprächen über Profit-Maximierung haben sich die beiden jedoch nicht mehr viel zu sagen.
Umso mehr genießen sie die Gesellschaft von Gabrielle, die beide mit ihrem jugendlichen Aussehen und ihrem naiv wirkenden Gemüt bezaubert und betört. Die Cousine Annas hat es jedoch faustdick hinter den Ohren und schmiedet gemeinsam mit ihrem Verbündeten bereits hinter dem Rücken des nichts ahnenden Ehepaars Intrigen...


Undurchschaubar: Marco (Trintignant)


Anna (Lollobrigida) ist zärtlich zu Gabrielle (Aulin)


Der Film beginnt mit einem Vorspann, der uns leinwandfüllend in Eiern pulsierende Küken-Embryonen zeigt, und dessen verstörende Wirkung durch die disharmonischen Ton- und Instrumentenkombinationen intensiviert wird.
Regie-Exzentriker Questi (Töte, Django, "Arcana") leitet sodann unsere Aufmerksamkeit zu weiteren beklemmenden Sequenzen: Ein Mann, der in der sterilen, trostlos wirkenden Umgebung eines Hotelzimmers Selbstmord verübt. Ein anderer Mann, der auf sadistische Weise einen augenscheinlich sexuell motivierten Mord an einer Prostituierten begeht. Ein weiterer Mann als stummer Beobachter des Geschehens, der nicht eingreift, sondern passiv an Ort und Stelle verharrt.
Überleitung zum frustrierten Ehepaar Marco (der Mörder aus der Anfangssequenz) und Anna, die wie Kinder inmitten der trostlosen Szenerie von eingepferchten Hühnern (man denkt hier unweigerlich wieder an das unpersönliche Hotel, das seinen Bewohnern eine gewisse Quadratmeteranzahl und notdürftige Grundausstattung bietet) gemeinsam mit Gabrielle ein Fotoshooting machen und sich bestens zu amüsieren scheinen.

Wer bis zu diesem Zeitpunkt durchgehalten hat und sich auf der Welle morbider Faszination mittragen lässt, hat gute Chancen, Gefallen an Giulio Questis avantgardistischem Giallo zu finden.
Eindeutig gehört "Die Falle" nicht zu der Kategorie von Film, die lockere Unterhaltung verspricht. Jedoch hat er inhaltlich unheimlich viel zu bieten. Er weckt Assoziationen, regt zu eigenen Interpretationen an und stimuliert unser limbisches System (das Hirnareal, das für Emotionen zuständig ist).
Die Morde, die Marco verübt, treten erzählerisch auf groteske Weise in den Hintergrund, geraten zur Nebensache.
Es verhält sich hierbei ähnlich dem routinierten und rationalisierten Töten der Hühner in der Farm, das ebenfalls wie beiläufig eingeschoben und detailliert gezeigt wird.
Im Zentrum der Geschichte steht scheinbar die Dreiecksbeziehung des Ehepaars und Gabrielle. Die sexuelle Anziehungskraft der jungen Blondine weckt sowohl Marcos als auch Annas Begierde.

Analog zu Questis Intention, zu keinem der ProtagonistInnen eine tiefere emotionale Bindung zu entwickeln, verfolgt man die bemerkenswert eigenwillig konstruierten Szenenabläufe und die Aneinanderreihung einzelner Handlungsstränge, deren teilweise Desorganisation wiederum eine stimmige Parallele zum Soundtrack markieren.
Sowohl Marco als auch Anna sind gewissenlose Ausbeuter, denen jegliche Empathie (sowohl für die von ihnen entlassenen Arbeiter als auch für die von ihnen gequälten Tiere) zu fehlen scheint. Doch dieselbe Emotionsarmut ist auch bei Gabrielle erkennbar, die wiederum ihre Unterkunftgeber ausbeutet, hinter deren Rücken sie einen eiskalten Plan verfolgt.
Marco und Anna befinden sich selbst – ohne es zu wissen – in einer Art Käfig unter Beobachtung.

"Homo homini lupus!" (Der Mensch ist des Menschen Wolf) schreit uns Questis desillusionierendes Werk förmlich entgegen.
Und auch das Schlagwort "Ausbeutung" wird in "Die Falle" groß geschrieben. Menschen benutzen Tiere für finanziellen Gewinn, Menschen benutzen Menschen, um zu Reichtum zu gelangen.
Stoff zum Analysieren und Interpretieren findet der geneigte Filmfreund und die Filmfreundin hier natürlich en masse. Ohne die einzelnen Handlungsstränge an dieser Stelle weiter entflechten zu wollen (das Schöne sind ja oft die eigenen Rückschlüsse, die sich nicht unbedingt mit den meinen decken müssen), reduziert sich "Die Falle" auf ein zurückbleibendes Gefühl der Irritation.
Dies geschieht nicht mithilfe expliziter Gewaltszenen (von der Grausamkeit den bemitleidenswerten Hühnern gegenüber abgesehen), sondern mehr durch seine psychologische Komponente.

Jean-Louis Trintignant (Marco) mimt wieder einmal den Undurchschaubaren und lässt aufgrund seiner nur dezent vorhandenen Mimikregungen kaum Affekte erkennen.
Gina Lollobrigida, aus zugegebenermaßen mir nicht nachvollziehbaren Gründen als Sexsymbol des italienischen Kinos der Nachkriegszeit deklariert, fügt sich gut in die Rolle der unzufriedenen Ehefrau.
Ewa Aulin, das Blondchen mit dem Schlafzimmerblick, gibt sich ebenfalls große Mühe mit der Interpretation ihrer Rolle als hinterhältige Gabrielle.

"Die Falle" ist nicht unbedingt ein vergnüglicher Krimi zum Mitraten, bietet aber dem Zuschauer am Ende doch ausreichend rätselhafte Aspekte, die den Denkapparat ankurbeln. Questi lehnte sich damit weit über die eng gesteckten Genre-Grenzen hinaus.
Der Film polarisiert und spaltet Genre Fans aus nachvollziehbaren Gründen in zwei Lager. Wer diesen schrägen Streifzug durch die Gefilde der niederen menschlichen Instinkte bis zum Finale gebannt verfolgt hat, weiß, wovon ich schreibe. 




Foto: italienische VÖ von Eagle Pictures und VÖ von Ascot Elite