Sonntag, 22. März 2015

NIGHTCRAWLER (2014)














NIGHTCRAWLER – JEDE NACHT HAT IHREN PREIS

USA 2014
Regie: Dan Gilroy
DarstellerInnen: Jake Gyllenhaal, Rene Russo, Bill Paxton, Ann Cusack, Kevin Rahm, Eric Lange, Riz Ahmed, Kathleen York u.a.


Inhalt:
Wir verfolgen die steile Karriere eines aufstrebenden jungen Mannes im Mediengeschäft. Louis Bloom hat es sich zum Ziel gesetzt, mit seiner Kamera der Erste zu sein, der bei Unfällen und Tatorten Bilder einfängt um sie anschließend möglichst gewinnbringend an die Medienanstalten zu verkaufen.
Dabei kennt er keine Grenzen und bewegt sich am Rande der Legalität. Der Erfolg scheint ihm und seinen Methoden Recht zu geben...


Er weiß, was er will: Louis Bloom


Sie ebenfalls: Nina Romina


Vom Kinotrailer abgeschreckt, aber aufgrund zahlreicher positiver Kritiken dann doch neugierig geworden, habe ich mich nun endlich an diesen von Vielen als Meisterwerk angepriesenen Film gewagt.
Dass ich nun das Bedürfnis habe, meine Gedanken und Gefühle an dieser Stelle zusammenzufassen, ist ein Indikator dafür, dass der Film definitiv etwas zu bieten hat. Den ein oder anderen Schwachpunkt habe ich auch entdeckt, aber es ist gut möglich, dass ich an neuere Filme generell kritischer herangehe als an Italo-Schinken aus den 70er Jahren, bei denen mich allein schon der Anblick von diversen Nebendarstellern in Verzückung versetzt.
Aber kommen wir erst einmal zum Positiven und zu dem, warum "Nightcrawler" gedanklich bei mir nachhallt.

In erster Linie wird der Film getragen von der intensiven schauspielerischen Leistung von Jake Gyllenhaal (der Typ aus "Donnie Darko", der später durch Filme wie "Enemy" von sich reden machte) in der Rolle des skrupellosen und egozentrischen Louis Bloom.
Bloom zeigt keinerlei Emotion, keine Anzeichen von Empathie oder einem sozialen Gewissen. Dafür verfügt er über eine gewisse Intelligenz. Er hat in Seminaren und in Gesprächen zum Thema "berufliches Vorankommen" gut aufgepasst und seine Phrasen nicht nur auswendig gelernt, sondern internalisiert. Louis lässt sich leiten von allem, was beruflich erfolgreich macht. Er nähert sich dem Leben auf einer rein intellektuellen Ebene, da ihm das Gefühl für andere Menschen fehlt.
Dafür beherrscht er es perfekt, in eine Rolle zu schlüpfen und sich der Gesellschaft anzupassen. Er orientiert sich in erster Linie daran, was andere von ihm erwarten. Der Wahnsinn, der wiederholt in seinen Augen aufblitzt und seine Gewissenlosigkeit machen ihn zu einem gefährlichen, höchst manipulativen Menschen.
Doch diese wilde Bestie in ihm hat gelernt, sich hinter allgemein gültigen Aussagen und Floskeln gut zu verstecken.

Er findet in Nina Romina (glaubwürdig verkörpert von Rene Russo) eine Frau, die ähnlich tickt wie er selbst.
Für die ehrgeizige Medienmacherin zählt keine Moral, von Begriffen wie Ethik will sie nichts hören. Sie interessiert sich ausschließlich dafür, ob sie sich mit ihren bluttriefenden Beiträgen noch im rechtlichen Rahmen bewegt oder nicht.
Das Gesetz ist bekanntermaßen geduldig und stellt den minimalsten gesellschaftlichen Konsens dar.
Für Louis und Nina dient es als wichtige Orientierungshilfe. Wenn etwas gesetzlich erlaubt ist, muss man sich keine weiteren Fragen stellen.
Dem Rassismus und der Verschärfung sozialer Ungleichheiten wird mit der Art der Berichterstattung Tür und Tor geöffnet. Die Nachrichten-Beiträge von Lou und Nina werden durch das Vorenthalten wichtiger Details gefiltert und das Publikum gesteuert, ohne dass es sich dessen bewusst ist.

Die Charakterisierung der ProtagonistInnen dieses Films wirkt überspitzt, ist aber trotzdem verdammt nahe an der Realität angesiedelt. Eine relativ junge Studie der Universität St. Gallen hat ergeben, dass sich erfolgreiche Broker egoistischer, risikobereiter und manipulativer verhalten als Psychopathen. Noch Fragen?
Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel.

"Nightcrawler" zeigt auf eine brachiale, zynische und zugegeben auch polemische Art und Weise, welche Eigenschaften auf dem Weg zur Verwirklichung des "American Dream" benötigt werden und hält uns als MedienkonsumentInnen einen Spiegel vor. Natürlich herrschen bei uns noch keine amerikanischen Verhältnisse, aber dennoch dürfen wir uns angesprochen fühlen.
Wir sind an die täglichen Nachrichtenbilder von Unfällen und anderen menschlichen Tragödien sowie die Auswirkungen von Gewalt so sehr gewöhnt, dass wir aufgehört haben uns zu fragen, wie diese Bilder eigentlich zustande kommen und welche Art von Journalismus wir durch unseren persönlichen Beitrag zur hohen Einschaltquote und durch unsere Klicks im Internet hier eigentlich unterstützen.

Regisseur Dan Gilroy zwingt uns als Film-ZuschauerInnen quasi zur Auseinandersetzung mit unserer Rolle als Medien-KonsumentInnen.
Es gibt ausreichend Beispiele für menschliche Tragödien, zu denen Medienvertreter einen mehr oder weniger aktiven Beitrag geleistet haben: der Tod von Lady Diana, der letzte Tag im Leben der Silke Bischoff (eines der Opfer beim Geiseldrama von Gladbeck) oder das Schicksal von Raimund Harmstorf (der kultige Darsteller aus "Blutiger Freitag") wurden zum Teil medial aufgearbeitet.
Die zahllosen weniger prominenten Opfer von skrupelloser Berichterstattung bleiben im Verborgenen.
Die bekannten Fälle von ethisch und moralisch verwerflichem Verhalten von Vertretern der Presse rütteln zwar kurzfristig auf und stellen das Paparazzitum in Frage, aber die Betroffenheit wirkt nicht nachhaltig.
Auch wenn ich bemüht bin, es anders zu machen: ich selbst bilde hier keine Ausnahme. Wer informiert sein will, wird zwangsläufig immer wieder Teil dieser Maschinerie.

Doch zurück zum Film.
"Nightcrawler" fällt für mich zwar nicht in die Kategorie "Meisterwerk", dazu war er an manchen Stellen zu lange, zu viele inhaltliche Wiederholungen und der Soundtrack nicht eindringlich genug.
Eine musikalische Untermalung wie bei "Drive" oder Ajas "Maniac" hätte den morbiden und kalten Bildern bestimmt weitaus mehr Intensität verliehen.
Die mit Bedacht gewählte Fotografie des nächtlichen Los Angeles, von künstlichem Licht und Leuchtreklamen erhellt, sowie die rasanten Action-Sequenzen entschädigen doch ein bisschen für die ein oder andere unnötige Länge.

"Nightcrawler" ist ein sich besonders positiv aus der Masse des Mainstream-Kinos hervorhebender Film, den ich mir zwar nicht kaufen würde, aber für den sich der Besuch der schmuddeligen Videothek meines Heimatorts wirklich gelohnt hat.