THE NEON DEMON
Dänemark, Frankreich, USA 2016
Regie: Nicolas Winding Refn
DarstellerInnen: Elle Fanning, Keanu
Reeves, Jena Malone, Christina Hendricks, Abbey Lee, Desmond
Harrington, Karl Glusman u.a.
Inhalt:
Die 16 Jahre alte Jesse mietet ein
Motelzimmer in Los Angeles und bewirbt sich vor Ort bei einer Modelagentur. Prompt wird sie angenommen und erfährt einen beinahe kometenhaften
Aufstieg in der Branche. Denn sie hat das "gewisse Etwas", eine
unverfälschte Natürlichkeit und eine besondere Ausstrahlung. Da
sie Waise ist und auch sonst keine Familie hat, ist sie bis auf ihren
Freund Dean sehr einsam und der gnadenlosen kalten Welt ihrer
Konkurrentinnen im Mode-Business schutzlos ausgeliefert.
Doch nach und nach beginnt sie sich
innerlich und äußerlich zu verändern...
Jesse, das etwas schutzlos wirkende Mädchen |
"The Neon Demon" ist ein Film, der
Kritik und Publikum spaltet. Deshalb bestimmt für alle interessant, die
ein Interesse an tendenziell etwas kontroverserem und experimentierfreudigerem Kino
haben.
Also für Menschen wie mich und meinen
Liebsten und... Und??? Ja, wen eigentlich?
Zum ersten Mal saßen wir allein in
einem Saal eines großen kommerziellen Kino Komplexes.
Wohl nicht nur aufgrund der Fußball
Europameisterschaft, sondern auch wegen des Programms.
Doch halt! Als das Licht bereits gedimmt wurde,
tapsten noch drei junge Mädchen kichernd mit Popcorntüten die Stufen rauf und verschwanden in den hinteren Reihen. Die dachten sich vielleicht: "Fußball ist doof. Heute Kino. Schauen wir uns mal den Film über die Models an, der ein bisschen gruselig sein soll."
Ob die auf das Kommende gefasst waren?
Vermutlich eher nicht.
Der dänische Regisseur und
Drehbuchautor Nicolas Winding Refn ist beileibe kein Neuling mehr in der Welt der Filmschaffenden.
"The Neon Demon" ist Refns mittlerweile elfter Spielfilm. Im Jahr 2011 verhalf ihm "Drive" zum Gewinn des Regiepreises bei den 64. Filmfestspielen in Cannes und damit auch zu einem gewaltigen Zuwachs an Popularität. Das darauf folgende Werk "Only god forgives" wurde in Cannes ebenfalls für einen Preis nominiert.
Ähnlich verhält es sich mit "The Neon Demon".
Seine bisherigen Filme habe ich mit
großem Interesse aufmerksam gesichtet. Aber einer, den ich
mir wirklich gerne mehr als ein Mal ansehen möchte oder der prägnante Spuren in meiner Erinnerung hinterlässt, war bislang nicht dabei. Immer hat mir das berühmte "gewisse Etwas" gefehlt.
Die Charaktere wirkten für mein Empfinden eine Spur zu motivationslos bzw. fremdgesteuert. Da war kein "Wow-Effekt", kein Samenkorn, das in meinen Gehirnwindungen mit der Zeit aufblühte.
Kurz und gut: Nachhaltige Emotionen hat keiner der
genannten Filme bei mir geweckt.
Ganz anders diese Woche bei "Neon Demon". Noch
Tage nach dem Kinobesuch drängen sich Bilder in mein Bewusstsein, beschäftigen mich
einzelne Szenen und das Gesamtkunstwerk an sich. Der Film hat mich in
einer Art und Weise berührt wie keiner seiner Vorgänger.
Er wirkt deutlich nach und ich weiß, dass ich ihn beim nächsten Wiedersehen mit einer anderen Herangehensweise betrachten möchte und werde. Dabei werde ich meinen Fokus vermutlich auf neue Aspekte legen, die ich nach diesem ersten visuellen Erlebnis noch gar nicht in der Lage bin in Worte zu fassen.
Er wirkt deutlich nach und ich weiß, dass ich ihn beim nächsten Wiedersehen mit einer anderen Herangehensweise betrachten möchte und werde. Dabei werde ich meinen Fokus vermutlich auf neue Aspekte legen, die ich nach diesem ersten visuellen Erlebnis noch gar nicht in der Lage bin in Worte zu fassen.
Schreiben hilft bekanntlich, Gedanken
zu ordnen und da ich sowieso nicht den Anspruch habe, Filme zu
analysieren oder inhaltlich zu sezieren, versuche ich schlicht in Worte zu fassen, was ich in "The Neon Demon" gesehen habe.
Elle Fanning, die kleine Schwester von
Dakota Fanning (damals hinreißend gut als Kinderdarstellerin an der Seite
von Robert DeNiro in "Hide and seek – Du kannst dich nicht
verstecken") spielt Jesse.
Die kleine blonde Jesse mit dem Porzellan Teint und den großen blauen Augen, die allein, einsam und verloren
wie Rotkäppchen im Wald wirkt. Fast noch ein Kind, das sich durch
den Dschungel der Modewelt kämpft, wo in jeder Ecke Gefahren zu
lauern scheinen. Sie wird von den anderen Models wie von Geiern umkreist. Sie scheinen ständig nur darauf zu warten, dass "die Neue" stolpert...
Wer meint es gut mit ihr, wer nutzt sie
aus, wer bedeutet tatsächlich eine reale Gefahr für sie?
Wer will ihr helfen, sie nur benutzen,
sie schützen oder ihr schaden?
Man weiß es zu Beginn nicht mit Sicherheit.
Jesse tritt etwas unbeholfen auf und doch hat es den Anschein als ob
sie etwas verbirgt. Eine Aura von düsterem Geheimnis umgibt das
Mädchen.
Erfahrene Fotografen und Designer werden von ihr angezogen wie die Motten vom Licht. Sie verunsichert ihre Konkurrentinnen.
Erfahrene Fotografen und Designer werden von ihr angezogen wie die Motten vom Licht. Sie verunsichert ihre Konkurrentinnen.
Wenn Jesse einen Raum betritt, sind alle
Augen auf sie gerichtet. Manchmal erscheint es, als sei ihr das nicht
bewusst. Doch hin und wieder lassen ihre Aussagen durchblitzen, dass
sie sehr wohl um ihre Schönheit weiß.
Ihre innerliche und äußerliche
Transformation findet schließlich vor unseren Augen statt. Zu Beginn durch dezente Andeutungen und
dann schließlich überdeutlich.
Jesse wird quasi Opfer des Neon Demons. Der schrillen Modewelt, der Oberflächlichkeit, des Neids und der Verachtung anderer Menschen.
Der Neon Demon füttert die dunkle Seite in ihr.
Jesse wird quasi Opfer des Neon Demons. Der schrillen Modewelt, der Oberflächlichkeit, des Neids und der Verachtung anderer Menschen.
Der Neon Demon füttert die dunkle Seite in ihr.
Farben geben den Ton an |
Die Erzählung rund um dieses
mysteriöse Mädchen, das seine (Vor-)Geschichte nur andeutungsweise preisgibt, wird in
grellen Farben auf die Leinwand gezaubert. Regisseur Refn ist laut eigener Aussage
farbenblind, hat Probleme mit der Wahrnehmung von Zwischentönen.
Dementsprechend dominant ist die Farbgestaltung in vielen Szenen.
Manche wirken dadurch grell und laut, obwohl auf der Leinwand gerade nicht viel passiert.
Manches erinnert an "Mulholland Drive", also an die symbolhaften alptraumartigen Bilder eines David Lynch, an die düster-depressive Bildsprache eines Lars von Trier oder an Mario Bavas farbenfrohe Ausleuchtung unheimlicher Szenen. Eine Reminiszenz an den mit dominanter, treibender Musik unterlegten Farbenrausch in Argentos "Suspiria" stellt sich ebenfalls ein.
Manches erinnert an "Mulholland Drive", also an die symbolhaften alptraumartigen Bilder eines David Lynch, an die düster-depressive Bildsprache eines Lars von Trier oder an Mario Bavas farbenfrohe Ausleuchtung unheimlicher Szenen. Eine Reminiszenz an den mit dominanter, treibender Musik unterlegten Farbenrausch in Argentos "Suspiria" stellt sich ebenfalls ein.
Refns Stil wirkt mittlerweile gereift. Ganz eigenwillig und von hohem Wiedererkennungswert.
Die hervorragend besetzten Rollen besitzen eine erstaunliche Tiefe, die nicht der Narration des Drehbuchs oder Dialogen geschuldet ist. Sie agieren glaubhaft.
Die ein oder andere (im Kontext des modernen Mainstreamkinos tabubrechende) Szene wirkt nicht aufgesetzt, sondern
fügt sich nahtlos in die Handlung ein.
Zu keiner Zeit macht es den Anschein, als gehe es
lediglich um verkaufsfördernde "Shocking Moments".
Das Abartige an dem Eintauchen in die
Welt der "Schönen" ist, dass diese Branche und die Menschen, die
sich darin tummeln bereits so pervertiert wirken, dass auch diese etwas heftigeren Sequenzen nicht als Störfaktor oder Fremdkörper im Gesamtkunstwerk
erscheinen.
Das Schaudern beschränkt sich nicht auf die wenigen expliziten Momente, sondern lauert permanent unter der schrillen Oberfläche, nistet sich in vermeintlich unbeobachteten Momenten hinterlistig in Blicken, Gesten und Dialogen ein.
Manche Sequenzen sind auffallend langsam
inszeniert. Besonders ins Auge fiel mir die gefühlt unerträglich lange Szene, in
der die Visagistin in der Badewanne liegt:
Immer wieder fixiert die Kamera ihren Blick, der befremdlich leer wirkt und je länger man die Person betrachtet, umso mehr versucht man hinter die Fassade zu sehen, Emotionen zu erkennen, Gedanken zu erraten, zu interpretieren. Am Ende bleibt man jedoch verunsichert zurück.
Immer wieder fixiert die Kamera ihren Blick, der befremdlich leer wirkt und je länger man die Person betrachtet, umso mehr versucht man hinter die Fassade zu sehen, Emotionen zu erkennen, Gedanken zu erraten, zu interpretieren. Am Ende bleibt man jedoch verunsichert zurück.
Faszinierend, wie der Regisseur mit solchen scheinbar banalen Situationen spielt.
Für "The Neon Demon" verzichtet Refn auf die im Horrorgenre mittlerweile zum Standard erklärten öden und phantasielosen "Jump Scares" und fordert sein Publikum auf einer ganz anderen Ebene heraus.
Für "The Neon Demon" verzichtet Refn auf die im Horrorgenre mittlerweile zum Standard erklärten öden und phantasielosen "Jump Scares" und fordert sein Publikum auf einer ganz anderen Ebene heraus.
Entstanden ist ein Film, der
zum Nachdenken anregen kann. Über Schönheit, über den Sinn des
Lebens, darüber, was man jungen Menschen suggeriert, wie sie sein
und aussehen sollen.
Über Schein und Sein, die
Sinnhaftigkeit von Schönheitsoperationen und die Reduzierung auf
Äußerlichkeiten. Über eine bestimmte Strömung in unserer
Gesellschaft und das Prinzip "Homo homini lupus".
Man kann ihn natürlich auch dumm und unnötig finden oder vielleicht sogar hassen. Die Grenzen verschwimmen schnell, denn Refn hat mit Drehbuch und Inszenierung eine mutige, doch kompromisslose Gratwanderung gewagt.
In dem ein oder anderen Feuilleton wird "The Neon Demon" als "unfreiwillig komisch" bezeichnet und als "Edel-Trash" klassifiziert. Jeder sieht das, was er sehen möchte.
Eines ist sicher: er hat einen nicht zu leugnenden Effekt auf sein Publikum.
In dem ein oder anderen Feuilleton wird "The Neon Demon" als "unfreiwillig komisch" bezeichnet und als "Edel-Trash" klassifiziert. Jeder sieht das, was er sehen möchte.
Eines ist sicher: er hat einen nicht zu leugnenden Effekt auf sein Publikum.
Foto: VÖ von Koch Media