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Samstag, 19. April 2014

LA VITTIMA DESIGNATA (1971)














DER TODESENGEL

Italien 1971
Regie: Maurizio Lucidi
DarstellerInnen: Tomas Milian, Ottavio Alessi, Marisa Bartoli, Katia Christine, Pierre Clémenti, Luigi Casellato u.a.


Inhalt
Der mit der reichen Luisa unglücklich verheiratete Grafiker Stefano Augenti lernt bei einem Venedig-Aufenthalt mit seiner Langzeit-Affäre den exzentrischen Graf Matteo Tiepolo kennen. Letzterer versucht, die Freundschaft Stefanos zu erlangen und ihn zu einem perfekten Verbrechen zu überreden - Stefano soll Matteos verhassten Bruder ermorden, im Gegenzug tötet der Graf Stefanos Frau. Als Stefano sich nicht so recht für den ihm unterbreiteten Pakt begeistern kann, wird er mithilfe eines perfiden Plans dazu genötigt...


So muss Venedig aussehen


Eine Paradebeispiel für Extravaganz - Graf Tiepolo


Der Vollständigkeit halber sei gleich eingangs erwähnt:
"Der Todesengel" ist nach Alfred Hitchcocks "Der Fremde im Zug" die zweite Verfilmung der Romanvorlage der Autorin Patricia Highsmith.
Auch wenn man sich (wie ich) weder für Hitchcock noch für Kriminalromane begeistern kann, sollte man dennoch unbedingt einen Blick auf dieses Filmjuwel riskieren.

Warum?
Weil zwei großartige Schauspieler, nämlich das Ausnahmetalent Tomas Milian und Pierre Cleménti sich ein Psychoduell liefern, das an Intensität und Spannung kaum zu übertreffen ist.
Weil bereits von der ersten Minute an, während die Credits noch über den Leinwand flackern und Stefanos Geliebte sich vor seiner imaginären Kamera räkelt, deutlich wird, wie ästhetisch der Film fotografiert wurde.
Nicht nur die Kameraeinstellungen an sich, sondern auch die Farben und die Schauplätze (Mailand, Venedig und der Lago di Como) wurden hervorragend ausgewählt.

Mein Venedig


Venedig wird gezeigt, wie es am schönsten, morbidesten und zugleich romantischsten ist. Nämlich im Winter, wenn die Gassen eher leer sind und die Passanten Mäntel und ordentliches Schuhwerk (statt geschmacklosen Sandalen und Shorts) tragen.
Wenn der Nebel in der Luft hängt und seinen grauen Filter über die maroden Hausfassaden wirft.
Der eigenwillige Charme und die einzigartige Faszination, die Venedig ausübt, ja sogar die Spiegelungen im Wasser, wurden in "Der Todesengel" künstlerisch eingefangen.

Genau dieses düstere Venedig scheint auch den Geist Matteo Tiepolos, seine Todessehnsucht und seine Außergewöhnlichkeit wiederzuspiegeln und das Schicksal Stefanos zu prophezeien.
Vom Schicksal spricht der Graf immer wieder. Doch sind es tatsächlich schicksalhafte Begegnungen zwischen den beiden Männern oder lauert Tiepolo dem ahnungslosen Stefano gezielt immer wieder an verschiedenen Orten auf?
Wer den Film kennt, kann sich denken, dass wohl eher Letzteres der Fall ist.
Der diabolische Plan, den Matteo ausgeklügelt hat, weist in Wahrheit keine undichte Stelle auf. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, obwohl es lange Zeit diesen Anschein macht.
Seine Handlungen werden vom Motto "Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt" angeleitet.

"Always searching, never finding, my shadow in the dark..."


Der Soundtrack, den man nicht besser auf die Handlung abstimmen hätte können, stammt aus der Feder von Luis Enríquez Bacalov, der neben der Filmmusik für Corbuccis "Django" vor allem für Fernando Di Leos Filme (u.a. Milano Kaliber 9) Soundtracks von bemerkenswerter Raffinesse komponierte.
Umgesetzt wurde er von der Prog-Rock Band "The New Trolls", die gekonnt Klassik mit moderner Musik verbindet, und niemand geringerer als Tomas Milian hat den Gesang dazu beigesteuert.

Stefano wird durch die Aktionen Tiepolos immer stärker unter Druck gesetzt, wird zum getriebenen und gehetzten Tier, das immer mehr in die Enge gedrängt wird und keine Hoffnung mehr sieht.
Während sich die Flucht- und Handlungsoptionen Stefanos unerbittlich einengen und schließlich zur Gänze schwinden, wird man auch als ZuschauerIn mitgerissen von der Hoffnungslosigkeit und auch die zunehmende Atemlosigkeit Stefanos scheint sich zu übertragen.

Ich habe den Film bereits mehrfach in der deutschen, italienischen und englischen Sprachversion gesehen.
Obwohl ich tendenziell eher eine Verfechterin von Filmen in Originalton bin, ist die deutsche Synchronisation dermaßen gut gelungen, dass für mich keine andere Fassung mehr in Frage kommt.
Besonders den verbalen Äußerungen von Graf Tiepolo wohnt eine verschrobene Poesie inne, die perfekt zur Mimik und Gestik von Cleménti passen.
Und auch der Wortwitz mancher Dialoge kommt auf Deutsch am besten zur Geltung.

"Der Todesengel" ist ein Giallo im Sinne eines italienischen Thrillers, wie man diese Film-Gattung generell in Bella Italia betitelt.
Wer sich aufgrund der Bezeichnung behandschuhte Fetischmorde und ein gewisses Maß an Blutrünstigkeit erwartet, wird herb enttäuscht sein.

Wer hingegen Venedig liebt und sich für gut inszenierte psychologische Handlungselemente begeistern kann, darf sich von "Der Todesengel" getrost treiben lassen auf dem Trip zwischen Venedig, der mysteriösen Welt des Matteo Tiepolo, und dem von der bitteren Realität gefärbten Mailand Stefanos.


Einen Bildvergleich der Locations aus dem Jahr 1971 und 2014 gibt es hier.




Foto: "NEW" und "Shameless" VÖ




Foto: Soundtrack