Donnerstag, 27. Oktober 2016

LA POLIZIA CHIEDE AIUTO (1974)














DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER

Italien 1974
Regie: Massimo Dallamano
DarstellerInnen: Giovanna Ralli, Claudio Cassinelli, Mario Adorf, Franco Fabrizi, Farley Granger, Marina Berti, Sherry Buchanan, Paolo Turco, Corrado Gaipa


Inhalt:
Die 15 Jahre alte Silvia Povesi wird im Dachgeschoss eines Mailänder Wohnhauses erhängt aufgefunden. Doch schon kurze Zeit später stellen der zuständige Kriminalbeamte Silvestri und Staatsanwältin Stori anhand von eindeutigen Beweisen fest, dass es sich bei der Todesursache nur um Mord gehandelt haben kann. Rätsel gibt den Ermittlern dabei besonders das Motiv auf. Ein Killer in schwarzer Motorrad-Kluft und Helm, bewaffnet mit einem Metzgerbeil, lässt sie von einem (Mord-)schauplatz zum nächsten hetzen. Wo er hinkommt, richtet er (unter potentiellen Mitwissern und Zeugen) ein wahres Blutbad an. Der ganze Fall riecht förmlich nach einer Verschwörung und schon bald entpuppt sich das Drama um sexuellen Missbrauch, Prostitution und Mord als ganz Große Sache mit vielen mächtigen Hintermännern...


Kommissar Silvestri (Cassinelli)


Staatsanwältin Stori (Ralli)


Die vier Poliziotteschi, deren italienische Titel sich quasi den Schwachstellen der Polizei widmen, sind: Das Syndikat ("La polizia ringrazia": Die Polizei bedankt sich), ,Der unerbittliche Vollstrecker ("La polizia sta a guardare": Die Polizei beobachtet), Killer Cop ("La polizia ha le mani legate": Der Polizei sind die Hände gebunden) und "Der Tod trägt schwarzes Leder" ("La polizia chiede aiuto": Die Polizei ruft um Hilfe).
Trotz unterschiedlicher Regisseure weisen die Werke einige Ähnlichkeiten auf.
Sie alle gehören zu den besten Filmen des gesamten Genres, haben die eingängigsten und hervorragendsten Soundtracks (dank Meister-Komponist Stelvio Cipriani) und sind mit hochkarätigen DarstellerInnen besetzt.
Jedes dieser genannten Werke verfügt über eine für die Handlung maßgebliche politische und systemkritische Komponente.
In der Entstehungszeit dieser Filme war die Bevölkerung Italiens aufgrund von diversen Attentaten und der hohen Kriminalitätsrate und Korruption unter politischen Funktionären mehr als verunsichert.
Diese Art von Kino, das jene Probleme kompromisslos veranschaulichte und die Ängste der "einfachen BürgerInnen" thematisierte, traf genau den Nerv der ItalienerInnen. Was in den Lichtspielhäusern über die Leinwand flimmerte, war inhaltlich sogar näher an der Realität, als damals Vielen bewusst war.

"Der Tod trägt schwarzes Leder" widmete sich unter anderem dem Tabuthema "Sexueller Missbrauch". Dies zu einer Zeit, in der die tatsächlichen psychischen Folgen für Opfer solcher Verbrechen noch kaum erforscht und wenig bekannt (tendenziell sogar eher umstritten und verleugnet) waren.
Es ist allerdings anzunehmen, dass es Regisseur Massimo Dallamano, der bereits 1972 in Das Geheimnis der grünen Stecknadel die Thematik von frühreifen promiskuitiven Mädchen aufgriff, vordergründig um die Schockwirkung auf das Publikum ging als um ein seriöses Problematisieren dieser Form von Gewalt.
Die Szene zu Beginn des Films, in der das nackte Mädchen an einem Seil, das an einem Holzbalken befestigt ist, von der Decke baumelt, erzeugt jedenfalls bereits in den ersten Minuten die intendierte Atmosphäre von Emotionalität und Betroffenheit.

Während Claudio Cassinelli als Kommissar gemeinsam mit Giovanna Ralli als Staatsanwältin die Ermittlungen vorantreibt, steigt die Spannung kontinuierlich.
Die Hinweise auf einen Mord verdichten sich nur langsam und über eine lange Laufzeit ist völlig unklar, was das Motiv für die grausame Tötung des jugendlichen Mädchens (Sherry Buchanan) war. Parallel dazu überschlagen sich die Ereignisse ständig.
Polizei und Staatsanwaltschaft hetzen quasi von einem Hinweis zum nächsten, fahren von einem Tatort zum anderen und werden schließlich selbst vom ominösen Killer mit Fleischerbeil bedroht und gejagt.
Dass dieser nicht einmal vor einem Mordversuch an der Staatsanwältin zurückschreckt zeugt entweder von purer Verzweiflung oder totaler Verrücktheit – man weiß es nicht genau.
Seine Funktion, die Handlung zu beschleunigen, erfüllt der schwarz gekleidete Killer jedenfalls mit Bravour.
Die absolut klaustrophobischen Verfolgungsszenen im Krankenhaus, einer Tiefgarage und einem Aufzug erzeugen schier Atemlosigkeit.

"Der Tod trägt schwarzes Leder" ist packend und geradlinig inszeniert. Er wird häufig als "Genre-Grenzgänger" bezeichnet, da er einige Giallo-Elemente (wenn man das Genre auf Killer mit scharfen Mordinstrumenten und schwarzen Handschuhen reduzieren will) aufweist.
Im Vergleich zu seinen oben genannten Polizei-Genre-Vettern tendiert er an manchen Stellen etwas stärker in die exploitative Ecke, was den Unterhaltungswert in diesem Fall jedoch nicht schmälert.
Sieht man über diese Facette der Inszenierung hinweg, stellt man fest:
"Der Tod trägt schwarzes Leder" ist nicht nur einer der blutigsten, sondern aufgrund seines überraschenden und konsequenten Fazits auch einer der grimmigsten und zynischsten Polizeifilme.
Desillusionierend auf mehreren Ebenen. Hier verlieren nicht nur die bemitleidenswerten Mädchen ihre Unschuld und Naivität.
Definitiv gehört dieses Werk Dallamanos zu denjenigen, an denen Polizeifilm-Fans der Siebziger nicht vorbeikommen.




Foto: Alan Young DVD




Foto: Koch Media VÖ




Foto: Camera Obscura Blu Ray




Foto: OST


                      


Sonntag, 16. Oktober 2016

SPECIAL: 10 JAHRE ITALOCINEMA - DAS JUBILÄUMSFESTIVAL IM KOMMKINO












FREITAG

Angekommen auf der Stadtautobahn öffnete ich ein Fenster und erschnüffelte doch tatsächlich... Lebkuchenduft! Klingt nach (schlechtem) Klischee, ist aber tatsächlich so passiert. Nürnberg im Herbst wirkt überhaupt sehr einladend und zeigte sich auch in den darauffolgenden Tagen von seiner besten Seite. Wir kamen relativ früh an, um die Stadt mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und abseits der bisher üblichen Pfade (Hotel-KommKino und retour) zu erkunden.


Die Stadt sieht mit blauem Himmel...


... und auch bewölkt schön aus


Noch bevor ich zu meinem Filmtagebuch komme, möchte ich vorwegschicken:
Das Italocinema Festival wurde nicht nur in Bezug auf die Film-Zusammenstellung liebevoll gestaltet. Angefangen vom Programmheft über das Design der Dauerkarten, die stimmige Pausen-Musik (von ganz raren Sachen bis zu Altbekanntem war alles vertreten, was das italienische Kino an OSTs so hergibt) bis hin zu den ausgehängten Filmplakaten und der Deko haben sich Organisator Andreas Rick und sein Team sehr ins Zeug gelegt, um allen BesucherInnen ein schönes Wochenende zu bescheren.
Trailershows aus dem Italocinema Archiv rundeten das Rahmenprogramm schön ab.
Zahlreiche Preise, die von Labels wie Camera Obscura, Colosseo, X-Rated und Pidax dankenswerterweise gespendet wurden, fanden in Berühmtheiten wie Laura Gemser, Klaus Kinski und Co. neue BesitzerInnen (statt Zahlen konnte man sich für die Verlosung Namen aussuchen).
Für alle Dauerkarten InhaberInnen, die kein Glück hatten, gab es zum Trost eines dieser schönen Malastrana Plakate.


Willkommen im KommKino


KLAPPE DIE ERSTE...

ALIEN - DIE SAAT DES GRAUENS KEHRT ZURÜCK














Dieser relativ sinnfreie Film mit zum Teil wahnwitzigen Dialogen hat mir bei der jetzigen Kino-Sichtung zum ersten Mal so richtig Freude bereitet. Die Kopie war gut und die Szenen, die mir früher immer eher langatmig vorgekommen sind, wirkten aufgrund der tollen Kino-Atmosphäre dieses Mal viel besser.
Was mir jedes Mal Kopfzerbrechen bereitet, ist, wenn die Hauptdarsteller auf der Steinformation, die "Kamel" genannt wird, herumturnen wie Kinder auf einer Rutschbahn.
Denn (zumindest heute) ist in der Grotte di Castellana (siehe ein paar Fotos unter Drehort-Special) absolutes Fotografierverbot und anfassen darf man natürlich auch nichts. In "Alien - Die Saat des Grauens kehrt zurück" trampeln Michele Soavi und Co. wie die berühmten Elefanten im Porzellanladen durch die Tropfsteinhöhle, greifen unnötigerweise alles an oder rempeln mit Wucht gegen die schönen Stalaktiten. Entweder wurde es anno 1980 noch lockerer gehandhabt oder man hat für den Film eine Ausnahme gemacht.
Jedenfalls war dieser Alien-Verschnitt ein vergnüglicher Festival-Opener, der von häufigem Gelächter begleitet wurde und den Festival-Enthusiasmus zu Beginn schon vergrößerte.

LAURA - EINE FRAU GEHT DURCH DIE HÖLLE














Diese "Women in prison Filme" haben ja eine eingeschworene kleine Fangemeinde. Ich wusste schon immer, dass ich nicht dazu gehöre. Daher war ich kaum überrascht von der gepflegten Langeweile, die der Film verströmt. Wenn er etwas skurriler oder sleaziger gewesen wäre, hätte er zumindest beim Unterhaltungswert punkten können. Doch für mein Empfinden handelte es sich bei "Laura..." um eine unglückliche Mischung zwischen Schmier und Angepasstheit. Für mich hat von Allem ein bisschen gefehlt, was dem Film Wiedererkennungswert verleihen hätte können. Bis auf die Ratten-Szene gab es zu wenig Gore, bis auf ein paar Erotikeinlagen zu wenig Nacktheit. Die Dramatik des Drehbuchs wurde von der unfreiwilligen Komik im Keim erstickt. Oder verhält es sich genau umgekehrt? Wer weiß das schon.
Etwas überraschend fand ich, dass alle, mit denen ich danach geredet habe, wenig Begeisterung für das Gesehene ausdrückten. Also entweder habe ich die falschen Personen gefragt oder es wollte sich niemand als Franca Stoppi Fan outen. Vielleicht ist es aber tatsächlich so, dass dieser Film zu den eher schlechter bewerteten Exemplaren dieses Genres gehört. Es wurde ab und an geraunt, dass der zweite Teil viiiiel besser sein soll...


SAMSTAG


Zum Langschläferfrühstück gab es Burger, Pommes und Bier, was uns nicht nur einen sehr vollen Magen, sondern auch neidvolle Beschimpfungen einbrachte. War natürlich auch etwas fies, Fotos davon an Leute zu verschicken, die sich gerade mit ordinären Frühstücksbrötchen zufrieden geben mussten...


Schmeckte genau so gut wie er aussah


DIE HEISSEN ENGEL














Dieser Film war für mich und einige andere, mit denen ich mich unterhalten habe, die Überraschung des Festivals. Ich habe mir nicht viel erwartet, fühlte mich aber bestens unterhalten. Und das, obwohl in diesem Film nicht wirklich etwas passiert.
Wir begleiten schlicht und einfach diesen beiden umwerfend attraktiven Frauen, die ein hedonistisches Leben führen, bei einer Tour durch Mailand. Sie tanzen, haben Sex, versuchen einen gestohlenen Ring zu verkaufen, finden sich dabei plötzlich auf einer Transvestiten Party wieder und landen schließlich bei extrem reichen Menschen, die gewohnt sind, sich alles zu kaufen (auch Freunde und Sex).
Der Film lässt sich in keine Genre Schublade stecken. Wenn ich in mich gehe und mir die Frage stelle, was ihn für mich zu etwas Besonderem macht, lautet die Antwort: Für mich ist es die pure Lebenslust, die Freude am Sein und die Unbekümmertheit, die "Die heißen Engel" so beschwingt-unterhaltlich wirken lässt. Die beiden attraktiven Darstellerinnen laden das Publikum regelrecht dazu ein, sich von ihrer Energie anstecken zu lassen.
Definitiv ein schöner Start in den Samstag.

HEROIN














"Ein Poliziottesco aus der dritten Reihe" wurde ich vor dem Film dahingehend erinnert, meine Erwartungen ja nicht zu hoch anzusetzen.
Dennoch war "Heroin" besonders kurzweilig und bescherte uns vergnügliche Unterhaltung. Das Drehbuch ist schon mal wirklich originell:
Der nach langjährigem Gefängnis-Aufenthalt frisch entlassene böse Bube Pino (besonders glaubwürdig: Milchbubi Marc Porel), der sich um einen redlichen Lebenswandel bemüht, geht zu einer Prostituierten, in die er sich verliebt und stellt hinterher fest, dass es seine Cousine ist, die er zuletzt als Kind gesehen hatte.
Trotz ihrer offensichtlichen Gegenwehr und Ablehnung will er sie aus dem Bordell holen und nutzt dazu seine alten Kontakte, u.a. zum Zuhälter Gazzosa, der ihn wiederum dem Oberbösewicht Don Ciccio vorstellt. Durch diese besonderen Verstrickungen und Umstände gerät Pino wieder auf Abwege. Dabei wird er von einem windigen Kommissar (George Hilton mit lustigem Schnauzer) beschattet...
Neben der skurrilen Story sorgte die deutsche Synchro für nachhaltiges Amusement.
Besonders zwei Beispiele blieben Vielen in (guter) Erinnerung.
Einmal eine Szene, in der ein Betrunkener weggejagt wird und zu hören bekommt: "Ich polier dir gleich die Fresse." Darauf antwortet dieser: "Nein, nicht polieren!"
Noch witziger wird es dann, als der Herr Papa rausfindet, dass seine Tochter eine Prostituierte ist und sich einer Schimpftirade hingibt, die unter anderem die Formulierung "Ich verdamme sie!" enthält. Seine brave zweite Tochter kniet gerade auf dem Boden, verrenkt sich theatralisch in Papas Richtung und schreit: "Nein Papa, nicht verdammen!" Womit sie alles gesagt hat.
Diese denkwürdigen Sätze sorgten den restlichen Samstag und auch noch am Sonntag für Gelächter, sobald sie wieder von jemandem zitiert wurden. Das kann man schwer beschreiben, das muss man erlebt haben.
Vermutlich gehört "Heroin" zu einem dieser Filme, die nur mit der deutschen Syncho so richtig gut funktionieren.
Und selbstverständlich muss an dieser Stelle noch Al Cliver (Woodoo - Die Schreckensinsel der Zombies) erwähnt werden. Er spielt den persönlichen Assistenten Don Ciccios.
Der Mann war einfach eine Wucht. Er war der Einzige, dem ich seine Rolle wirklich abgenommen habe und bestach durch seine aalglatte schmierige Optik... Einfach super.

Jetzt haben wir trotz ausgiebigem Frühstück wieder Appetit und gehen mit einer großen Gruppe von Festival BesucherInnen passenderweise in ein italienisches Restaurant, in dem Andi einen Tisch für alle reserviert hat.
Nach gutem Essen und netten Gesprächen geht sich dank exzellenter Zeitplanung sogar noch ein kleiner Verdauungspaziergang aus...


Nürnberg bei Nacht


ASPHALT KANNIBALEN














Wie erwartet rockten der irre Charles Bukowski (Giovanni Lombardo Radice), Norman Hopper (John Saxon) und ein weiterer gefräßiger Vietnam Veteran den Kinosaal. "Asphalt Kannibalen" war immer schon einer meiner Lieblingsfilme und konnte auf großer Leinwand noch erheblich dazu gewinnen. Endlich durfte ich diesen Film in annehmbarer Qualität erleben. Eine Wucht!

LUSTHAUS TEUFLISCHER BEGIERDEN














Vor diesem Film wurde ein Trailer angekündigt, der logischerweise auch gezeigt wurde und dann passierte etwas Seltsames. Ich saß circa eine Viertelstunde da, betrachtete "Lusthaus teuflischer Begierden" und kam dann auf die Idee meinen Sitznachbarn zu fragen, wie lange dieser Trailer eigentlich noch geht.
Erst als ich diese Frage laut ausgesprochen hatte, dämmerte mir, dass dies womöglich schon der Film ist. Was mir dann auch prompt mit einem mitleidigen Lächeln bestätigt wurde.
Um ehrlich zu sein: Polselli mag ein (verkanntes) Regie-Genie sein und bestimmt gibt es auch haufenweise Menschen, die mehr sehen als ich in dieser Handlung zu erkennen vermag, aber: er hat mich unendlich gelangweilt und nach einer weiteren zähen Viertelstunde habe ich mich entschieden, ein bisschen versäumten Schlaf nachzuholen...


SONNTAG


Zum Frühstück mampften wir Brötchen und tranken zum letzten Mal unser regionales Lieblingsbier, bevor wir uns auf den Weg zum Kino machten.


Ja, es ist das Zirndorfer Landbier :)


VENUS IM PELZ














Bereits Velvet Underground besangen in "Venus in Furs" Severins Hang zum Masochismus. Näher hatte ich mich allerdings mit dem Roman aus der Feder des berühmten Österreichers Sacher-Masoch nie auseinandergesetzt. Umso spannender empfand ich dann den Verlauf dieser Erzählung rund um ein Paar, das sich findet, bindet und schließlich in einer Schein-Welt und Rollenspielen verliert.
Die Folge daraus ist (zumindest bei Severin scheint es der Fall zu sein) auch der Verlust des Zugangs zur Realität.
Dies ist kein Spoiler, da der Film damit beginnt, dass Severin Patient in einer Nervenklinik ist und seinem Psychiater von seiner Neigung berichtet.
Severins (Vor-)Geschichte wird dann mithilfe von Rückblenden demonstriert.
Dieser Film ist nicht nur Dallamano-typisch (ansprechend) inszeniert, sondern faszinierte mich besonders durch die der Handlung zugrunde liegenden psychologische Phänomenologie und die philosophischen Fragen, die er aufwirft. Manche deutlich, manche nur angedeutet oder völlig subtil.
Severins Neigung zum Voyeurismus entwickelt sich Richtung Masochismus, also die Verknüpfung von sexueller Lust und Schmerz. Dies wird durch eine offenbar unglückliche Konditionierung in seiner Kindheit erklärt.
In Wanda findet er eine Partnerin, die sich seinen sexuellen Bedürfnissen völlig anpasst. Irgendwann verschwimmen dann alle Grenzen und es ist weder für Severin noch für das Publikum des Films noch deutbar, ob Wanda ihre Rolle einfach extrem ausreizt oder ob sie ihren frisch Angetrauten tatsächlich loswerden will.
Außerdem stellt sich die Frage, ob er Wanda wirklich liebt. Kennt er sie überhaupt? Weiß er, wer sie ist oder begehrt er nur die Rollen, die sie für ihn einnimmt? Wie kann er ihre Persönlichkeit erkennen, wenn er von ihr verlangt, dass sie ihm permanent etwas vorspielt? Und kann sein "Beziehungskonzept" auf Dauer funktionieren? Warum wird er zunehmend eifersüchtig, wenn er Wanda beim Liebesspiel mit anderen Männern beobachtet?
"Venus im Pelz" bietet viel Raum für Interpretationen und gibt keine Wertung oder Moral des Gesehenen vor, an der man sich orientieren könnte.
Zum Ende möchte ich meinen filmischen Seelenverwandten Chris Ade zitieren, der einst über diesen Film bzw. Massimo Dallamano schrieb: "Nicht zu derb, aber auch nicht zu verschämt huldigt er Sacher-Masochs devoten Phantasien konsequent bis zur Schlusssequenz und findet dabei genau die richtige Mischung aus Sleaze und nobler Eurotica."
Somit wäre das Wichtigste festgehalten.


Den wahrscheinlich bekanntesten Film aus dem Programm "MEIN NAME IST NOBODY" haben wir ausgelassen. Ich hege schon seit meiner Kindheit eine gewisse Aversion für diese Terence Hill Movies, was sich bis heute nicht beheben ließ.


Wehmütig verließen wir die Stadt und waren traurig, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist und wir viel zu wenig Gelegenheiten für Gespräche mit unseren FreundInnen und anderen (bekannten) Festivalbesuchern hatten.
Wir haben es nicht einmal geschafft, uns rechtzeitig vor dem letzten Film von allen zu verabschieden. Sorry dafür! Grüße an alle, die sich jetzt angesprochen fühlen.


Können sich sehen lassen: Dauerkarte und Programmheft


Mille mille grazie an Andi von Italocinema.de und die KommKino-Mitglieder, die dieses Festival möglich gemacht und tatkräftig unterstützt haben!

Das Beste zum Schluss:
Auf der Homepage von Italocinema wird bereits gespoilert... Nächstes Jahr soll es eine Wiederholung geben.
Alle diesmal Daheimgebliebenen, die italienische Genrefilme auf 35 mm in familiärer Atmosphäre zu schätzen wissen, sollten sich dieses Event unbedingt vormerken!
Ihr seid dieses Mal daheim geblieben?
In diesem Sinne warne ich euch: "Nein Italo-Fans, nicht daheim bleiben!"

Dienstag, 4. Oktober 2016

LA DAMA ROSSA UCCIDE SETTE VOLTE (1972)














DIE ROTE DAME
HORROR HOUSE (Videotitel)

Deutschland, Italien 1972
Regie: Emilio Miraglia
DarstellerInnen: Barbara Bouchet, Sybil Danning, Marina Malfatti, Ugo Pagliali, Nino Corda, Marino Masé, Fabrizio Moresco u.a. 


Inhalt:
Kitty Wildenbrück hat ein dunkles Geheimnis. Sie hat versehentlich ihre Schwester Evelyn getötet, deren Leiche seitdem in einem Schrank im Keller des Wildenbrück-Schlosses vor sich hinmodert.
Eines Tages geschehen Morde in Kittys nahem Umfeld. Diese rätselhaften Tötungsdelikte wurden anscheinend von einer Frau in einem roten Umhang begangen. Will man den Beschreibungen von Zeugen Glauben schenken, hat Evelyn Wildenbrück die Morde begangen. Aber kann das wirklich sein? Kitty macht sich zunehmend Sorgen um ihr eigenes Leben, da auf ihrer Familie ein uralter Fluch lastet, der besagt, dass sie das siebte Opfer der „roten Dame“ sein wird.
Ist Evelyn tatsächlich wieder auferstanden und will ihrer Schwester ans Leder?


Schöne Cousinen: Kitty und Franziska (v.l.n.r.)


Besondere Kulisse: Schloss Neuenstein


"Die rote Dame" ist nach Die Grotte der vergessenen Leichen der zweite und letzte Giallo des Regisseurs Emilio Miraglia. Miraglia muss wohl ein besonderes Faible für den Namen "Evelyn" und die Farbe Rot gehabt haben.
Im Gegensatz zu Die Grotte der vergessenen Leichen, der auf kuriose aber vergnügliche Art etwas wirr erscheint, ist "Die rote Dame" ein Giallo von ernsterer Natur und verblüfft durch eine verschachtelte Geschichte.
Allein schon der Fluch, der auf der Familie Wildenbrück lastet, ist nicht mit einem simplen Einzeiler zu erklären.
Es geht darin nämlich um zwei Schwestern, von denen eine die andere umbringt. Die ermordete Schwester wird als "Rote Dame" wieder auferstehen und sechs Menschen (wie sie auf diese Zahl kommt und nach welchem Gesichtspunkt sie ihre Opfer erwählt, bleibt offen) töten. Das siebte Opfer soll dann die Schwester (die schwarze Dame) sein, die ihr einst das Leben nahm.
Laut dem gutmütigen, etwas ängstlichen Opa Wildenbrück ereilte dieses Schicksal bereits einige Generationen von Schwestern dieser Familie.
Dies erzählte er einst seinen minderjährigen Enkelinnen Kitty und Evelyn.
Einige Jahre später ist Kitty (Barbara Bouchet) erwachsen und Evelyn tot, offiziell allerdings nach Übersee verzogen. Als Opa Wildenbrück einen Herzinfarkt erleidet, lernen wir anlässlich der Testamentseröffnung Cousine Franziska (Marina Malfatti) kennen.
Franziska und ihr Mann Herbert sind die einzigen, die von dem Unfall Evelyns wissen und Kittys Geheimnis bewahren.

Kitty ist im Model Business als Fotografin tätig – ein Umfeld das – wie Fans von Bavas Ur-Giallo Blutige Seide wissen – geradezu prädestiniert ist für Lügen, Intrigen und Mord.
Genau in diesem Dunstkreis ermittelt nach dem ersten Mord der ehrgeizige Kommissar Toller (Marino Masé, u.a. Der Teufel führt Regie, Auge um Auge).
Kittys Vorgesetzter und Geliebter Martin wird dabei rasch zum Hauptverdächtigen des Ermittlers. Er hätte ein Motiv für den ersten Mord. Außerdem fragt man sich, warum seine (Noch-) Ehefrau in der geschlossenen Psychiatrie steckt und was der Gigolo Martin wohl damit zu tun hat.

Wie so oft bei Gialli gilt auch bei "Die rote Dame" das Prinzip "Alles ist möglich, nichts unwahrscheinlich." Jede und jeder könnte für die Morde verantwortlich sein und natürlich ist auch ein Komplott mehrerer Personen denkbar. Kein Story-Twist ist so verrückt, dass er nicht in einem Giallo-Drehbuch Platz finden könnte.
Das übernatürliche Element, der Fluch, wirft die Frage auf, ob der Geist Evelyns tatsächlich umtriebig und für das Ableben zahlreicher Charaktere verantwortlich ist. Dieses Story Element verleiht dem Drehbuch das gewisse Etwas und hebt "Die rote Dame" etwas von den klassischeren Kriminalgeschichten ab.

Doch all dies würde nicht auf so wunderbare Weise zusammenspielen, wenn nicht diese malerischen Drehorte wären.
Das Schloss der Wildenbrücks, das eine Aura von Erhabenheit, Stolz doch zugleich auch Verfall und Einsamkeit umgibt, ist der perfekte Schauplatz für das Mord-Drama, das sich zwischen den ungleichen Schwestern abspielt.
Die Modelagentur, die mit ihren sauberen gefliesten Gängen Modernität und Kälte suggeriert, ist eine ebenso stimmige Kulisse wie der Schlossgarten rund um die Würzburger Residenz, wo sich die mysteriöse rote Dame im Gebüsch versteckt.
Die Mörderin mit den langen dunklen Haaren im roten Kapuzenumhang, die nicht spricht, sondern ausschließlich schrill lacht, hat absolutes Kultpotential.


Das rote Telefon verkündet Unheil


Hot or not? Martin im Bademantel


Auch bei den Effekten wurde bei der Produktion nicht gespart. Sowohl was das eingesetzte Kunstblut (habe ich in manchen zeitgenössischen Filmen schon schlechter gesehen) als auch die stilecht ausgeleuchteten Kulissen betrifft.
Die Szene mit dem "Zaunsturz" erinnert sehr an Die toten Augen des Dr. Dracula und die Geschichte mit dem Fluch ist nicht besonders neu. Wie in die Die Grotte der vergessenen Leichen lässt sich auch hier eine gewisse stilistische Parallele Miraglias zu den Werken Mario Bavas nicht leugnen. Auch beim roten Telefon Kittys, das  in Blutige Seide ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, können Bava KennerInnen einen gewissen Wiedererkennungswert nicht leugnen.

Barbara Bouchet und Sybil Danning sind eine Augenweide und jede für sich strahlt mehr Sex-Appeal und Persönlichkeit aus als Ugo Pagliali (in der Rolle des Frauenhelds Martin Hoffmann) es verdient hat. Immerhin ist er ein etwas selbstverliebter Fremdgänger.
Doch sowohl Kitty als auch Lulu werden von seinem Charakter und beruflichen Erfolg magisch angezogen und wohl eher nicht von seiner Figur im Bademantel oder seinen eigenartigen am Kopf pappenden strohigen Haaren. Doch gerade der untreue Martin ist es, der zum Held und Lebensretter wird, als er zufällig eine Information erhält, die zur Auflösung der Mordfälle führen könnte...

"Die rote Dame" ist ein Giallo von ganz bemerkenswerter Ästhetik, dessen Handlung kaum Leerlauf aufweist und uns deswegen keine Verschnaufpausen gönnt. Wer der Rahmenhandlung nach zahlreichen Plot-Twists und Zusammenhängen, die plötzlich aus dem Nichts herbeigeschafft werden, noch folgen kann, wird feststellen: Am Ende gibt (fast) alles wieder Sinn. Zumindest wenn man sich nicht zu sehr von der Fluch Geschichte verwirren lässt.
Die exquisit selektierten Drehorte in Deutschland heben diesen Film deutlich aus der Masse anderer italienischer Genrefilme hervor und die Killerin ist wie bereits erwähnt eine nachhaltig beeindruckende Erscheinung.

Bruno Nicolai hat für "Die rote Dame" ein musikalisches Thema kreiert, das meiner Meinung nach nicht nur perfekt auf den Film abgestimmt ist, sondern auch gemeinsam mit seiner Komposition für "Die Farben der Nacht" und einigen anderen berühmten Giallo Soundtracks (wie z.B. Morricones Musik zu Una lucertola con la pelle di donna) mit zu den Besten gehört, die das Genre zu bieten hat.

Besonders in der seit Mai verfügbaren sehr guten Bildqualität der Arrow Veröffentlichung kommt die kunstvolle Szenengestaltung und Beleuchtung dieses unterschätzten Werks erst richtig zur Geltung. Für mich ist "Die rote Dame" eines der noch viel zu wenig gewürdigten Highlights des Genres.


Fotos der Drehorte findet ihr hier.




Foto: No Shame USA, Eyecatcher DVD




Foto: Arrow Video VÖ (England)




Foto: Dagored Locandina und Plattencover



Foto: Dagored OST